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Höchst Komisches aus dem Hochadel

Skurrile Gestalten verwickeln sich in halsbrecherische Liebesränke und Geschäftsintrigen: "Ohne mich, Jeeves!" ist satirischer Slapstick aus dem Milieu des Hochadels - very british!

Von Florian Felix Weyh | 21.01.2010
    Kleiner Einblick in die Psychologie des Hochadels: Was denkt ein Lord über seinen zweiten Sohn, der als Nichterbe von Titel und Besitz ziemlich nutzlos in der Gegend herumhängt? Nun, er stellt sich eine Frage:

    "Aber warum eigentlich nicht? Warum kann ich Algy nicht verhungern lassen?"

    "Welchen Algy denn?"

    "Unseren Algy."

    "Du meinst unseren Zweitgeborenen, den Ehrenwert Algernon Blair Worthington ffinch-ffinch?"

    "Genau den. Er liegt mir Jahr für Jahr mit glatten tausend Pfund auf der Tasche, und das nur, weil ich geglaubt habe, ich könne ihn nicht verhungern lassen. Und meine Frage lautet nun: Warum kann man den Tunichtgut nicht verhungern lassen?"


    Das ist selbstredend eine Verzerrung, wie sie nur im Vorwort eines satirischen Romans stehen kann, um das anschließend geschilderte Milieu in seiner Bärbeißigkeit zu entlarven. Ein solch glückloser Kostgänger ist auch Bertie Wooster, Held vieler Romane von P. G. Wodehouse und zu Beginn der Geschichte irgendwann in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts nach Steeple Bumpleigh unterwegs, dem Landsitz seines grimmigen alten Onkels Lord Percy Worplesdon. Schon die Namen verraten: Wir betreten die Arena literarischer Hochkomik britischer Provenienz.

    Skurrile Gestalten verwickeln sich in halsbrecherische Liebesränke und Geschäftsintrigen, wobei das eherne Gesetz des Slapsticks immer dann für Konfusionen sorgt, wenn ein Konflikt scheinbar kurz vor seiner Lösung steht. Jede der Figuren hat ihre Eigenheiten, und für jede dieser Eigenheiten findet der Interpret Felix von Manteuffel einen eigenen Tonfall. Bertie Wooster zum Beispiel ist ein ziemlich blasierter Kerl, der sich, um seine intellektuellen Schwächen zu verbergen, gern etwas verschraubt ausdrückt, um dann doch in verbalen Niederungen zu landen.

    "Hör zu, Nobby", sagte ich. Das tat sie selbstverständlich nicht. Ich habe noch nie eine Frau getroffen, die dies getan hätte. Sagt man einer Angehörigen des zarten Geschlechts "hör zu", wertet sie dies bloß als Wink, selber loszulegen. Doch da sich das von ihr angeschnittene Thema just als dasjenige entpuppte, das auch ich hatte ventilieren wollen, war der Drang, ihr einen Ziegelstein auf die Rübe zu hauen, nicht ganz so heftig, wie er es sonst wohl gewesen wäre.

    Bertie Wooster ist ein Donald Duck der britischen Oberschicht: Er stolpert von einer Tollpatschigkeit in die nächste, vermasselt dem Onkel ein großes Fusionsgeschäft mit einem amerikanischen Industriellen, erweist sich in Sachen Liebesberatung beim besten Freund als reiner Unglücksbringer und verstrickt sich bei eigenen Abwehrkämpfen gegen heiratswillige Frauen tief ins Unheil. Hätte er nicht den Diener Jeeves an seiner Seite, käme er aus dem selbsterzeugten Dauerschlammassel nie heraus. Jeeves verkörpert die personifizierte Distinguiertheit und ist kulturell derart auf der Höhe, dass er in der Freizeit Spinoza liest und mit lateinischen Zitaten und Shakespearegedichten nur so um sich wirft. Ihm abends im Garten zu begegnen, sollte einem schon allein der vollendeten Umgangsformen wegen als reines Vergnügen erscheinen:

    "Es tut mir leid, Sir, wenn ich Ihnen Ungemach bereitet habe. Angesichts der Unvermitteltheit unserer Begegnung war es mir leider nicht möglich, mein Kommen anzukündigen. Sie sind noch spät auf den Beinen, Sir."

    "Ja."

    "Für eine Promenade zu nachtschlafender Stunde kann man sich kaum günstigere Bedingungen wünschen."

    "Ach, so sehen Sie das?"

    "Durchaus, Sir. Nichts, will mir scheinen, vermag die Sinne mehr zu besänftigen wie ein Nachtspaziergang im Park."

    "Ha!"

    "Die Sterne, Sir."

    "Sterne?"

    "Jawohl, Sir."

    "Was ist mit ihnen?"

    "Ich wollte lediglich Ihre Aufmerksamkeit auf sie lenken, Sir. Seht, wie die Himmelsflur ist eingelegt mit Scheiben lichten Goldes."

    "Jeeves ..."

    "So voller Harmonie sind ew'ge Geister. Nur wir, weil dies hinfäll'ge Kleid von Staub ihn grob umhüllt, wir können sie nicht hören."

    "Jeeves ..."

    "Sir?"

    "Könnten Sie die Platte nicht mal abstellen?"


    Das tut Jeeves selbstredend ohne Zögern, weiß er doch, dass er als eigentlicher Drahtzieher am längeren Hebel sitzt. "Ohne mich, Jeeves", ist ein über neun Stunden anhaltendes Dauervergnügen, das einen nicht selten in schallendes Gelächter ausbrechen lässt, weil P. G. Wodehouse in der kongenialen Übersetzung Thomas Schlachters ein wahres Sprachwitzfeuerwerk zündet, und sich Felix von Manteuffel jeder Herausforderung der Wodehouse-Komik gewachsen zeigt. Ein Telefonat klingt etwa so:

    Onkel Percy: Was? Was? Was-was-was? Was? Was? ... Oh, guten Abend, Clam.

    Clam (aus dem Off): Quack, quack, quack, quack, quack, quack, quack, quack (insgesamt etwa eineinhalb Minuten lang).

    Onkel Percy: Schön, gut. Großartig. Dann halte ich also nach Ihnen Ausschau.


    Am Schluss strebt alles dank Jeeves seiner glücklichen Lösung zu, der Adel kann so tumb, grobianisch oder blasiert bleiben, wie er ist, nur der Leser weiß: Dessen Zeit ist abgelaufen, regiert doch längst das intellektuell überlegene Dienstpersonal. Im angloamerikanischen Raum hat es Jeeves übrigens zu solcher Berühmtheit gebracht, dass eine Internetsuchmaschine - Ask Jeeves - nach ihm benannt wurde. Das ist literarische Wirkung, wie man sie sich erträumt. Oder etwa nicht?

    Jawohl, Sir.

    P. G. Wodehouse: Ohne mich, Jeeves!
    Gelesen von Felix von Manteuffel
    8 CDs, Edition Epoca, 9 Stunden, 20 Minuten