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Höhensturz

Ich wollte über allgemein menschliche Themen schreiben, dachte zuerst nicht an den argentinischen Präsidenten Carlos Menem; Menem war einzigartig in seiner Frivolität und Leichtfertigkeit. In meinem Roman wird der Präsident jedoch nicht namentlich genannt. Der Roman ist eine Reflektion über Hochmut und Stolz, das Verlassenwerden und den Missbrauch der Liebe. Protagonist ist ein Zeitungsmagnat, der in seinem Blatt gegen die Korruption in Argentinien anzugehen versucht, und außerdem darauf aus ist, sich eine dreißig Jahre jüngere Redakteurin gefügig zu machen.

Von Margrit Klingler-Clavijo | 21.04.2004
    Mit diesen Worten skizziert der argentinische Schriftsteller Tomás Eloy Martínez die Figuren seines Romans Der Flug der Königin, der im Argentinien der 90er Jahre spielt, in der Amtszeit jenes Carlos Menem, der dieses einst so prosperierende und wohlhabende Land in die Verelendung getrieben und das politische System schamlos korrumpiert hat.

    In den Jahren, in denen der Roman "Der Flug der Königin" spielt, war der Journalismus ernsthaft von Korruption bedroht, weil die politische Macht alles erfasste. Die Korruption durchdrang sogar die Luft, die man täglich atmete, und wenn man immer nur Korruption einatmet, läuft man Gefahr, ebenfalls korrupt zu werden.

    Wenn wundert es da noch, wenn im Roman der Sohn des Präsidenten die durch Waffenschmuggel erzielten Dollarmillionen auf ein Konto in Sao Paulo einzahlt und der Vater gleichsam zur Ablenkung und auf Machterhalt bedacht, ein groteskes Medienspektakel inszeniert und Journalisten nach Los Olivos zitiert, um sich in einem altehrwürdigen Kloster vor laufenden Fernsehkameras als gläubiger und bußfertiger Präsident zu gebärden? Um diesen Humbug aufzudecken, schickt Camargo, so heißt der eingangs erwähnte Medienzar des Romans, die junge sprachbegabte Journalistin Reina Remis in das entlegene Kloster am Rand der Pampa, wo Reina ihre investigativen Fähigkeiten unter Beweis stellt. Camargo folgt ihr alsbald dorthin, wenngleich er mit einer Nordamerikanerin namens Brenda verheiratet und Vater von zwei Mädchen ist.

    Der ebenso mächtige wie einsame Camargo verliebt sich in Reina und verhilft ihr zu einer steilen Karriere in seiner Zeitung. Am liebsten möchte er Reina ganz für sich allein besitzen. So mietet er in der Nähe ihrer Wohnung ein Appartement und beobachtet sie von dort aus mit einem Teleskop beim Ausziehen und Zubettgehen. Eifersüchtig wie ein rasender Othello gebärdet sich Camargo, als er herausfindet, dass sich Reina in Kolumbien bei Recherchen über die Guerilla in einen Journalisten namens Germán verliebt hatte. - Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt – mit diesem Spruch lässt sich seitdem sein Verhalten gegenüber Reina charakterisieren. Die erweist sich als hart im Nehmen, übersteht sie doch eine Vergewaltigung, die Infizierung mit diversen Geschlechtskrankheiten, womöglich sogar mit Aids durch einen von Camargo beauftragten Kriegsflüchtling aus Ex-Jugoslawien, der im Gegenzug für sich und seine Frau gefälschte Ausreisepapiere erhält.

    Auf Betreiben Carmargos verliert sie ihre Stelle bei der Zeitung. Mit Germán kommt es zum Bruch, weil sie krankheitsbedingt nicht nach Brasilien reisen kann und er zu einem Abstecher nach Buenos Aires nicht bereit ist. Reina erholt sich allmählich von diesen Schlägen. Zum tödlichen Verhängnis wird ihr schließlich ein Reitausflug in die nähere Umgebung von Buenos Aires, wo sie Camargo, der ihr heimlich gefolgt war, kaltblütig erschießt. Ist dieser Roman somit in erster Linie ein finsteres Eifersuchtsdrama nach üblester Machoart? Dem mag Tomás Eloy Martínez nicht beipflichten und gibt zu bedenken:

    Camargo hegte Ressentiments gegenüber Frauen wegen der fehlenden Zuneigung seiner Mutter. Als er Reina tötet, tötet er in ihr auch seine Mutter. Camargo hat die Macht auf seiner Seite und die Macht kommt ungestraft davon. Die weibliche Würde rangiert hier allerdings vor der Gewalt des Macho. Wenngleich Reina eine faktische Niederlage erleidet, triumphiert in meiner Vorstellung ihre Würde.

    Wie bereits in seinen beiden Romanen Der General findet keine Ruhe und Santa Evita, worin er sich mit dem ehemaligen Präsidenten Juan Perón und dessen charismatischer Ehefrau Evita auseinandergesetzt hat, jenen beiden emblematischen Figuren Argentiniens, die die Politik des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussten, geht es Tomás Eloy Martínez auch in dem Roman Der Flug der Königin um die Radiographie der Macht, und zwar um die des Medienmagnaten Camargo. Da in der Romanhandlung Camargos ebenso obsessives wie destruktives Verhältnis zu Reina meines Erachtens zu stark in den Mittelpunkt rückt, geraten andere Krisenphänomene der argentinischen Gesellschaft wie die wachsende Politikverdrossenheit oder die rapide Verelendung des Landes nur am Rande ins Blickfeld. Die Krise Argentiniens hat Tomás Eloy Martínez zufolge mehrere Ursachen:

    Da war zum einen die mustergültige Einhaltung der Verpflichtungen des Internationalen Währungsfonds (....) und andererseits eine äußerst schwerwiegende interne Korruption (...) Wir Argentinier haben lange viel mehrausgegeben, als wir produziert und eingenommen haben, und dies wurde vor allem unter Menem angeregt und gefördert. (...) Wir erleben gegenwärtig die große Wiederbelebung der einheimischen Industrie und das Land wächst wieder, die jährliche Wachstumsrate liegt bei 8%, das Land wird sich wohl in den nächsten zehn Jahren erholen. Hinsichtlich der Zukunft Argentiniens bin ich solange optimistisch wie man die Korruption bekämpft.

    Für mindestens genauso wichtig wie die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hält Tomás Eloy Martínez die Aufarbeitung der politischen Vergangenheit. So spricht er sich aus gegen die Straffreiheit, die der frühere Präsident Raúl Alfonsín Mitte der 80er Jahre verordnet hatte, und die der jetzige Präsident Kirchner wieder rückgängig zu machen versucht.

    Meines Erachtens hat Alfonsín damals einen großen Fehler begangen, als er diese beiden Gesetze vorlegte, die eindeutig verfassungswidrig waren und der Verfassung zuwider liefen. Jetzt müssen diese Gesetze annuliert werden, weil sie gegen die Grundprinzipien zur Errichtung des Nationalstaates verstossen. Die Nichtahndung derart gravierender Verbrechen in Argentinien ist unzulässig.
    Hocherfreut ist Tomás Eloy Martínez, der in den USA arbeitet und häufig zu Recherchearbeiten nach Argentinien reist, über die kulturelle Aufbruchstimmung in Argentinien.

    Meines Erachtens erweist sich die Kultur Argentiniens vor allem in Krisenzeiten als besonders vital. In den allergrößten Krisen hat es den höchsten Kulturreichtum vorzuweisen. In der autoritären Phase des Perónregimes haben sich Jorge Luis Borges, Victoria Ocampo und die Gruppe Sur zu Wort gemeldet. Der argentinische Film, die Oper und das Theater erleben derzeit eine Glanzzeit und die Literatur macht sich bestens: junge Schriftsteller publizieren vor allem in Spanien, dort gibt es einen regelrechten Kreis junger Schriftsteller wie Fogwill, César Aira, etc. Erwähnt werden sollte auch Ana Kazu Mistal - ihr Vater kommt aus Japan, die Mutter aus Amerika –. Und im Journalismus, den wir strenggenommen nicht der Literatur zurechnen, muß auf die Chronik verwiesen werden, eine einzigartige Literaturgattung in Lateinamerika – Borges hat zunächst Chroniken verfasst – und Leila Guerrillero schreibt wunderbare Chroniken.

    Tomás Eloy Martínez
    Der Flug der Königin
    Suhrkamp, 281 S., EUR 22,90