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Höher, fester, aber nicht breiter

Technik. – Deiche sind an den Nordseeküsten der beste Schutz gegen die oft stürmische See. Doch in Zeiten der Klimaerwärmung stellt sich die Frage, ob die derzeitigen Deiche auch in Zukunft noch ausreichen werden. Wie man die Schutzbauten bei gleichem Landverbrauch höher und fester bauen kann, diskutieren Experten zurzeit auf dem 2. Symposium "Sicherung von Dämmen, Deichen und Stauanlagen" am Forschungsinstitut Wasser und Umwelt der Universität Siegen.

Von Mirko Smiljanic | 10.02.2006
    Hauke Haien, der Deichgraf in Theodor Storms Novelle "Der Schimmelreiter", war ein genialer Ingenieur. Deiche - beobachtete er auf seinen langen Ritten entlang der Küste - erfüllen nur dann ihre Aufgabe, wenn sie zur Seeseite flach abfallen und den Brechern viel Platz lassen, um sich auszutoben. Nach diesem Prinzip werden sie auch heute noch gebaut. Allerdings sind die Schutzwälle mit 8,50 Meter Höhe mittlerweile einfach zu schwer. Wer sie höher bauen will, müsste die Deiche an der Basis verbreitert, was aber erstens viel kostet und zweitens häufig am fehlenden Platz scheitert. Als Lösung schlagen Fachleute neue Baumaterialien vor, zum Beispiel Geokunststoffe.

    "Geokunststoffe sind neue Materialien, die uns eine ganz andere Art des Bauens erlauben. Sie stellen ein Verbundsystem zwischen dem Bodensystem und dem Geokunststoff dar. Sie zeichnen sich im wesentlichen dadurch aus, dass sie sehr langlebig sind, dass sie sehr beständig sind, wenn sie vom Boden abgedeckt werden."

    Richard Herrmann, Professor für Geotechnik an der Universität Siegen. Üblicherweise werden Polyäthylen und Polypropylen genutzt, klassische Kunststoffe, die in vielen technischen Bereichen Anwendung finden. Herrmann:

    "Sie werden gewebt als Materialien in Form von Gewebestrukturen, sie haben dadurch sehr hohe Festigkeiten, oder sie werden in so genannten Wearlagen abgelegt, endlos lange Fäden, die miteinander vernetzt, vernadelt werden, um hier eben dem Boden neue Eigenschaften zu verleihen."

    Diese riesigen, grob gewirkten Kunststoffmatten werden beim Bau der Deiche und Böschungen als Zwischenlagen verbaut. Dadurch erhält der Deich eine weitaus höhere Stabilität. Herrmann:

    "Sie verleihen dem Boden neue Eigenschaften, also Zugfestigkeit und Druckfestigkeit werden kombiniert, die Scherfestigkeit wird entsprechend aktiviert. Und so geben uns die Kunststoffe neue Möglichkeiten: Wir können die Dämme steiler bauen, wir schützen sie, wenn sie überflutet werden durch Wasser und verhindern dadurch einen Bruch der Deiche."

    Hauke Haiens Erkenntnis, sichere Deiche hätten seeseitig spitze Winkel, ist natürlich immer noch richtig. Steiler wird zur Landseite hin gebaut, wobei die Effekte sich aber trotzdem sehen lassen können. Normalerweise sind Deiche etwa viermal so breit wie hoch. Dieser Wert könnte auf die Hälfte gesenkt werden. Das spart Platz, vom Geld ganz zu schweigen. Viel Geld und in gewisser Weise auch Platz wird bei einem anderen Deichbaukonzept gespart. Statt aufwändig die Baumaterialien zur Küste zu schaffen, möchte Richard Herrmann einfach der vorhandene Boden nutzen. Mixed in Place heißt das Verfahren. Herrmann:

    "Das heißt, hier wird der Boden in situ vor Ort aufgemischt zu einem neuen betonähnlichen Baustoff, mit so einem aufgemischten Baustoff könnte man dann noch einmal steilere Böschungsneigungen herstellen und man kann Erosionserscheinungen, das Wegschwemmen der Sandkerne, verhindern."

    Und man kann den Deich höher bauen, einen halben bis einen Meter vielleicht, mehr Platz ist häufig nicht vorhanden, denn der gesamte Deich muss ja verbreitert werden. Das ist eine ganze Menge, würde einer Jahrhundertflut aber nicht standhalten. Richard Herrmann schlägt deshalb vor, sensible Bereiche nicht nur mit Deichen sondern mit Ingenieurschutzbauten zu sichern, zum Beispiel mit Stahlbetonwänden, die in die Deichlinie eingelassen werden:

    "Das wären dann Schutzbauten, die man in Deiche einbettet, die kann man natürlich schon beliebig höher bauen, aber man braucht mehr Fläche, das erfordert dann auch einen gigantischen Einsatz an Material."