Archiv


Höhere Strompreise infolge einer Gesetzeslücke

Dass die Strom- und Gaspreise 2012 wieder kräftig ansteigen werden, könnte auch an einer Gesetzeslücke liegen. Das Wirtschaftsministerium hat möglicherweise die Brisanz eines Urteils des Bundesgerichtshofes nicht erkannt, das die pauschale Senkung der Netzwerkentgelte für rechtswidrig erklärt hatte.

Aribert Peters im Gespräch mit Ursula Mense |
    Ursula Mense: Weil das Wirtschaftsministerium ein Urteil des Bundesgerichtshofs nicht ernst genommen habe, könnten die Betreiber von Strom- und Gasnetzen im kommenden Jahr bei ihren Kunden bis zu zwei Milliarden Euro abkassieren. Das berichten heute der Kölner Stadtanzeiger und die Frankfurter Rundschau und verweisen auf interne Quellen. Wir wollen versuchen, Licht in die Geschichte zu bringen, und deshalb bin ich jetzt verbunden mit Dr. Aribert Peters, Vorsitzender vom Bund der Energieverbraucher.

    Aribert Peters: Ich grüße Sie, Frau Mense.

    Mense: Ich grüße Sie, Herr Dr. Peters. Was für ein Fehler soll da passiert sein?

    Peters: Der Bundesgerichtshof hatte geurteilt, und zwar am 28. Juni, dass die generellen Effizienzgewinne bei den Netzentgelten in Abzug gebracht werden müssen. Das heißt, jedes Jahr, Jahr für Jahr steigt der Effizienzfortschritt in der Energiewirtschaft, und dieser globale Effizienzfortschritt, der sollte jetzt von den Netzentgelten abgezogen werden. Das hat der Bundesgerichtshof mit zwei Beschlüssen vom 28. Juni für unzulässig erklärt und hat gesagt, man darf das nicht generell sagen, man muss die Unternehmen im Einzelnen sich angucken. Daraus hat dann am 30. Juni der Bundestag das Energiewirtschaftsgesetz novelliert und viele andere Gesetze, das Atomausstiegsgesetz unter anderem, und da hat natürlich dieser Richterspruch, der zwei Tage zuvor erst gefasst wurde, in den zwei Tagen keinen Einfluss mehr auf das Gesetzgebungsverfahren haben können, das ist natürlich klar.

    Mense: Hätte das denn der Fall sein müssen? Kann man dem Ministerium oder der Regierung hier was vorwerfen?

    Peters: Nein, man kann dem Ministerium hier nichts vorwerfen, denn in zwei Tagen lässt sich nun beim besten Willen keine Gesetzesnovelle durchziehen, auch wenn man schon genau weiß, was man ändern will. Das ging so kurzfristig und an dieser Gesetzesnovelle hingen so viele andere Gesetze, Erneuerbare-Energien-Gesetz, Atomausstiegsgesetz, die Schlichtungsstelle für Energieverbraucher, dies alles hing in dem Paket mit drin, das hätte man nicht in zwei Tagen noch ändern können, völlig ausgeschlossen.

    Mense: Dennoch haben aber schon Netzbetreiber doch aufgrund des BGH-Urteils angekündigt, im nächsten Jahr die Gas- und auch die Strompreise zu erhöhen. Dürfen die das denn?

    Peters: Das ist jetzt hier die Frage, ob die Stromnetzbetreiber – es geht nicht um die Stromversorger und auch nicht um Gasversorger, es geht hier um die Netzbetreiber -, dass die Netzbetreiber jetzt einfach gesagt haben, wir setzen die Netzentgelte hoch, weil aufgrund des BGH-Urteils, ob das jetzt zulässig war, das bleibt sehr zu untersuchen, das ist fraglich. Im Grunde haben diese BGH-Urteile auch jetzt zunächst mal die Netzagentur dazu verpflichtet, statt der generellen Produktivitätsfortschritte jetzt unternehmensspezifische Produktivitätsfortschritte zu ermitteln und dann in Abzug zu bringen. Und dann zu sagen, es gab gar keine Produktivitätsfortschritte und deshalb können wir entsprechend erhöhen. Das ist natürlich jetzt abenteuerlich, und man muss jetzt mal überlegen, ob die Netzagentur dem zugestimmt hat. Ob das abgestimmt war, wissen wir nicht. Auf jeden Fall ist es sehr abenteuerlich, einfach diesen Urteilsspruch jetzt dazu zu nehmen, dazu zu verwenden, die Netzentgelte einfach um diesen Betrag hochzusetzen.

    Mense: Das heißt, wir Verbraucher könnten uns dagegen auch wehren?

    Peters: Man muss untersuchen, ob hier ein Rechtsbruch vorlag, und gegebenenfalls muss man auch sich überlegen, wie man als Verbraucher dagegen zu Felde ziehen kann. Aber im Moment ist es noch zu früh, dazu zu spekulieren, weil die Rechtslage noch relativ unübersichtlich ist in dem Fall.

    Mense: Nun soll es aber auch noch Ausnahmen geben für Großbetriebe generell. Was hat es denn damit auf sich?

    Peters: Ja. In diesem schon erwähnten Gesetzpaket, was Ende Juni beschlossen worden ist, ist eine Ausnahmeregelung für Großbetriebe von den Netzentgelten generell reingerutscht, auf Vorschlag des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, und das ist natürlich sehr fragwürdig. Das stellt natürlich eine Bevorzugung, eine indirekte Subvention für die Großbetriebe dar, die künftig eben gar keine Netzentgelte mehr zu zahlen haben. Das halten wir für sehr fragwürdig und wollen das auch mal auf den Prüfstand der Beihilferegelung der EU stellen. Immerhin geht es hier auch um eine Milliarde Euro, die alle Verbraucher insgesamt mehr Netzentgelte zu zahlen haben, weil diese Ausnahmeregelung hier kurzerhand beschlossen worden ist. Übrigens im ursprünglichen Gesetzesvorschlag war das gar nicht drin, das ist auf Vorschlag des Wirtschaftsausschusses des Bundestages hier erst reingekommen.

    Mense: Also nachträglich?

    Peters: Nachträglich sozusagen.

    Mense: Haben Sie vor, dagegen anzugehen?

    Peters: Wir haben vor, dagegen anzugehen und auch bei der EU-Kommission zu fragen, ob das nicht gegen die Beihilferegelungen des EU-Rechts verstößt, dass hier den groß verbrauchenden Industriebetrieben ein solches Geschenk in Milliardenhöhe gemacht wird. Das ist an und für sich unzulässig aus unserer Sicht.

    Mense: Dr. Aribert Peters, Vorsitzender vom Bund der Energieverbraucher. Vielen Dank für das Gespräch.

    Peters: Ich danke Ihnen, Frau Mense. tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.