Dienstag, 30. April 2024

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Höhlen in den USA
In der Finsternis der "Mammoth Cave"

Oft sind es die Eindrücke aus der Natur, die im Gedächtnis hängen bleiben: Berge, Meere, Wüsten. Das spielt sich auf der Erde ab. Dabei gibt es auch unterhalb der Erdoberfläche viel zu entdecken. Unterwegs in der weitläufigsten bekannten Höhle der Welt.

Von Rudi Schneider | 17.05.2015
    Die Vegetation ist üppig, hier und da tauchen Kalksteinfelsen auf, die mit ihrer leicht gelblichen Oberfläche in den verschiedenen Grüntönen von Gras und Bäumen wie Farbspritzer anmuten. Der Kalkstein ist es, der hier unter unseren Füßen ein geradezu gigantisches Höhlensystem entstehen ließ. Wer es besuchen möchte, findet sich im Mammoth Cave Visitor Center ein, in der es fast wie in einem Flughafen Terminal zugeht.
    Die Mammoth Cave ist die derzeit größte bekannte Höhle der Welt. Bis jetzt sind etwa 630 km Höhlengänge auf einer Fläche von 214 Quadratkilometern kartographiert. Man muss sich das vorstellen: Unterirdisch verteilen sich die 630 km dreidimensional auf insgesamt 6 Ebenen. Unter der Mammoth Ridge sind es 5 Ebenen und 1 Ebene befindet sich im Frontbereich. Zusammen sind es also 6 Ebenen im Mammoth Cave System. Vor dem Visitor Center hat sich eine Gruppe um die beiden Ranger Vickie Carson und Chuck DeCroix versammelt...
    "Menschen besuchen die Mammoth Cave seit ungefähr 5000 Jahren. Zuerst waren das prähistorische Menschen. Dann kamen Indianerstämme durch diese Gegend. Sie waren hier nicht sesshaft, aber ihre Spuren sind über einen langen Zeitraum in der Höhle zu sehen. Die ersten Europäer kamen um 1790. Sie waren Jäger. Eine Geschichte erzählt, dass einer der Jäger einen Bären angeschossen hat, der sich dann verletzt in ein großes Loch im Berg geflüchtet haben soll. Das war offensichtlich die Mammoth Cave."
    Mit Vickie und Chuck finden wir uns genau an diesem großen Loch im Berg ein. Es sieht eher wie ein schräg nach unten führender Tunnel aus. Über eine lange Treppe geht es ins unterirdische Reich. Hier am natürlichen Eingang finden wir bereits den Handwerker, der das alles geschaffen hat, Wasser. In kleinen Kaskaden plätschert das Nass über den Felsen nach unten. Wasser hat dieses ganze Höhlensystem im Kalksteingebirge über Tausende von Jahre geschaffen. Es gibt mehrere unterirische Flüsse. Das ist ein typisches Karstgebirge.
    Mehr als 600 Kilometer unterirdische Wanderwege
    Von den insgesamt 630 km werden wir heute nur 3 km wandern. Unser Weg führt durch unterirdische Schluchten, Räume, Durchgänge und Hallen, in denen man den Eindruck gewinnt, hier hat sich ein Künstler mit einer schier unerschöpflichen Fantasie in seiner Gestaltungskunst ausgetobt. Nach einem niedrigen Durchgang mündet unser Weg in eine Halle, deren Dimension überwältigend ist. Chuck wirft seinen Kopf in den Nacken und wir folgen seinem Blick.
    "Willkommen in der Rotunda. Wenn Sie an die Decke schauen, sehen sie die runde natürliche Form des Felsens, die diesem großen Raum den Namen gegeben hat. Alle Artefakte, die Sie rund um uns herum sehen, sind authentisch. Das sind unter anderem Werkzeuge und Transportbehälter, mit denen unter anderem Salpeter, der hier unten gewonnen wurde, nach oben befördert wurde. Dieser Salpeter wurde für die Herstellung von Schießpulver verwendet, das im Krieg von 1812 verwendet wurde."
    Wir wandern weiter durch diese unterirdische Wunderwelt, die uns um jede Ecke herum immer wieder andere Eindrücke bietet. Raffiniert angeordnete Scheinwerfer in unterschiedlichen Farben untermalen das
    Formenfeuerwerk. Vickie bittet uns einen Moment innezuhalten.
    Erkundung mit dem Streichholz
    "Kommen Sie rund um mich herum, wir machen jetzt ein Experiment. Mein Partner Chuck steht dort oben am Lichtschalter und wird das Licht gleich ausschalten. Es interessant, was dann passiert. Es absolut dunkel und absolut still. Also bleiben Sie eng bei einander. Wenn Ihr fertig seid... Chuck schalte das Licht mal kurz aus. Jetzt zünde ich ein Streichholz, Achtung.... Ein einfaches Streichholz... schauen Sie, wieviel Licht es erzeugt. Man kann jedes Gesicht von uns erkennen. Mit einer solchen einfachen Flamme hat man in früherer Zeit diese unglaubliche Höhle erforscht. Chuck, jetzt kannst Du das Licht wieder einschalten."
    Im künstlichen Licht sehen wir natürlich auch jene Lebewesen, die hier unten sonst in ewiger Dunkelheit leben. Vickie und Chuck zeigen uns allerlei Käfer und Wassertiere, natürlich auch Fledermäuse von denen es in der Mammoth Cave neun unterschiedliche Arten gibt. Chuck schätzt ihre Anzahl auf ca. 25.000.
    "Wir sind jetzt eine halbe Meile in der Höhle unterwegs und Sie sind bestimmt von der unglaublichen Dimension beeindruckt. Das wird sich jetzt ändern, denn wir gehen hinter dem Felsen, den wir 'Sarg der Giganten' nennen, zu 'Dantes Tor' in die unteren Ebenen der Höhle. Bitte nutzen Sie das Geländer, seien sie vorsichtig auf der Treppe, achten Sie auf Ihren Kopf, denn die Decke ist jetzt sehr viel niedriger, wenn wir durch diesen schmalen Durchgang klettern."
    Wir passieren den Durchgang und mir fällt auf, wie sehr wir unseren Kopf beim Wandern ständig in alle möglichen Richtungen wenden und die vielen optischen Eindrücke regelrecht einsaugen, das tun wir auch mit den Ohren, denn die akustische Welt hier unten ist wirklich nicht alltäglich. Aber, so erzählt uns Vickie, es geht noch viel wilder hier unten.
    "Wir bieten eine 'Wilde Höhlen Tour' an. Sie geht über 9 Kilometer und dauert 6 Stunden. Bevor es los geht, statten wir Sie mit einem Overall aus, mit Helm, Stirnlampe, Knieschonern und Handschuhen. Das ist keine 'Lauf-Tour', das ist eine 'Kletter-Tour'. Es geht durch enge Gänge und Löcher, man muss stellenweise auf dem Bauch kriechen, steile Passagen nach oben oder unten klettern. Ein Teil ist trocken, ein anderer nass. Meistens gibt es einen Wettbewerb unter den Teilnehmern, wer der Schmutzigste von allen ist, und darauf sind sie dann richtig stolz."
    Unwillkürlich schauen wir unsere Kleidung und Schuhe an um zu sehen, wer von uns gerade der Gewinner ist. Vor uns wird es jetzt richtig eng. Und diese Enge hat natürlich einen treffenden Namen:
    "'Fat Mans Misery' ist eine natürliche Formation und wurde von stark fließendem Wasser wie eine Serpentine im Kalkstein geformt. Passt auf, wo ihr hintretet, seid vorsichtig, nutzt das Geländer. Viel Spaß mit 'Fat Mans Misery' ...wir sehen uns auf der anderen Seite."
    Von einer Extreme in die andere, das ist ganz offensichtlich in der Mammoth Cave kein Problem, es passiert einfach um die nächste Ecke.
    Sklaven als Fremdenführer
    "Wir sehen jetzt Beispiele von vertikalen Schächten, die im Zusammenspiel von Wasser und Kalkstein entstanden sind. Den tiefsten und größten Schacht sehen Sie hier vorne. Wir nennen ihn 'Bottomless Pit'. Dieser gewaltige, scheinbar bodenlose Schacht wurde 1838 zum ersten Mal von dem Sklaven Steven Bishop, der in der Höhle als Fremdenführer arbeiteten musste, überquert. Er tat das auf einer einfachen Holzleiter auf den Knien kletternd mit der Laterne zwischen den Zähnen. Aus heutigen Messungen wissen wir, hier geht es 105 Fuß nach unten, das ist soviel wie ein zehngeschossiges Gebäude."
    Um bei den Extremen zu bleiben, hier geht es wie ein zehngeschossiges Gebäude nach unten und dann führt uns Vickie in das Gegenteil der Blickrichtung.
    "Wir sind jetzt im 'Mammoth Dome'... Dieser beeindruckende Dom ist 60 Meter hoch. Wenn Sie nach oben schauen, sieht man das Wasser in kleinen Tropfen nach unten fallen. Man sieht auch, wie diese Tropfen unterschiedliche Skulpturen über die lange Zeit geformt und geschaffen haben. An manchen Stellen reagiert das Wasser mit dem Gestein und kristallisiert. Das sieht dann aus wie Eiskristalle oder wie ein gefrorener Wasserfall. Hier vorne an der Wand kann man einige davon sehen."
    Es ist schon beeindruckend, was wir alleine auf unserer drei Kilometer langen Wanderung im unterirdischen Reich gesehen haben. Wir verlassen die Höhle, wieder durch den Haupteingang und draußen im Sonnenlicht erzählt uns Chuck von dem Deutschen Max Kämper, der die Mammoth Cave mit ihrem nahezu unendlichen Höhlensystem 1908 zum ersten mal professionell vermessen hat.
    Ein Deutscher erforschte die Hölle zuerst
    "Mitte 1990 begannen etliche Leute, auch ich selbst, danach zu forschen, was aus Max Kämper seit seiner Arbeit in der Höhle geworden ist. Derjenige, der uns am meisten geholfen hat, war der deutsche Journalist Bernd Kliebhan. Bernd war hier, fand die Geschichte sehr interessant, und als er wieder nach Deutschland zurückreiste sagte er: 'Ja... ich will herausfinden, was mit Max geschehen ist.'"
    Die Nachforschungen haben ergeben, dass Max Kämper nach seiner Zeit in Kentucky als Soldat im ersten Weltkrieg gefallen ist. Aber, der Name Kämper erklang noch einmal in der Mammoth Cave, erzählt Chuck, und damit rundet sich unsere Wanderung in der unteririschen Wunderwelt in besonderer Weise ab.
    "2008 hatten wir zum Hundertjährigen Jubiläum der kartographischen Erfassung des Höhlensystems durch Max Kämper ein Symposium, zu dem Wissenschaftler und Interessierte aus aller Welt kamen, um das Kartenwerk und die Geschichte der Kämper-Familie zu studieren. Der Höhepunkt der Veranstaltung war ein Konzert in der Höhle. Der Neffe von Max Kämper, sein Name ist Klaus Kämper, ist professioneller Cellist. Er spielte zusammen mit Ranger Janet Smith, die ihn auf dem Piano begleitete vor einem begeisterten Publikum. Von Max Kämper gab es eine Information, dass er Violine gespielt habe und hier in einem örtlichen Lokal von einer einheimischen Pianistin begleitet wurde... So hat sich die Geschichte 100 Jahre später wiederholt."