Donnerstag, 18. April 2024

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Hölderlinturm in Tübingen
Der wahnsinnige Dichter im Turm

Er tigerte rastlos in seinem Zimmer umher, klopfte rhythmisch beim Dichten und galt seinen Zeitgenossen als wahnsinnig: der Dichter Friedrich Hölderlin. 36 Jahre verbrachte er in Tübingen - in dem nach ihm benannten Turm. Dort wird nach langer Sanierung eine neu gestaltete Dauerausstellung gezeigt.

Von Thomas Wagner | 16.02.2020
Blick auf die Tübinger Altstadt mit Hölderlinturm und Stocherkähnen am Neckar.
Ursprünglich ein Wehrturm, später die Wohnung des bedeutenden Dichters: der Hölderlin-Turm am Neckar (image / Jürgen Wackenhut)
Die Tübinger Museumschefin Sandra Potsch gut gelaunt auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Links der Neckar, dahinter die mit reichlich Gestrüpp und Bäume bewachsene Neckarinsel, vor ihr, ein Altstadthaus mit einer nagelneuen gelben Fassade; so, als ob die Maler gerade vor wenigen Augenblicke ihre Pinsel eingepackt hätten, ins Auge sticht: Ein verwinkelt erscheinendes Gebäude mit einem eingearbeiteten Turm.
"Das ist der Hölderlinturm. Das Verdeckte in diesem Haus kommt daher ... Also das Gebäude hat sich ursprünglich entwickelt aus einem Wehrturm, der in die äußere Stadtmauer eingearbeitet war. Und der dahinter so einen Hausanbau hatte. Und mit den Jahren ist der Haus mit dem Turm immer mehr zusammengewachsen und sind miteinander verwachsen, kann man so sagen."
Endlich angekommen an der wuchtigen Holztür:
"Nein, eine Klingel gibt es nicht, und die Museumstür ist einfach geöffnet. Und man kann sie aufstoßen."
Versmaß als Lichtinstallation an der Wand
Und die gibt den Blick frei auf einen langen, hellen Gang.
In einem Raum der Dauerausstellung im Hölderlinturm wird der Satz "Die Linien des Lebens sind verschieden" auf eine runde Holzwand projiziert. Hölderlin lebte von 1807 bis 1843 in dem Turm in Tübingen, der seit 2017 saniert wurde.
Hölderlin lebte von 1807 bis 1843 in dem Turm in Tübingen, dessen Sanierung nun abgeschlossen ist (picture alliance / Tom Weller)
"Man hat aber auch den langen Flur, bei dem die Lichthängung so angeordnet ist, dass die Lichtleisten das Versmaß der letzten beiden Verse aus Hölderlins Gedicht 'Hälfte des Lebens' aufgreifen."
"Weh mir, wo nehm' ich, wenn /es Winter ist die Blumen / und wo den Sonnenschein / und Schatten der Erde? / Die Mauern stehen / sprachlos und kalt im Winde / klirren die Fahnen"
"Die betonten Silben haben lange Lichtleisten bekommen. Und die unbetonten Silben haben kurze Lichtleisten bekommen. Und so wird man denn schon in diesem Gang auf die Ausstellung und Hölderlins Umgang mit der Sprache, mit dem Rhythmus dieses Versmaßes, eingeführt."
"Der Neckar war schon da. Auf der anderen Seite war Tübingen nicht bebaut."
Der Wahnsinnige im Turmzimmer
Rundgang zwei Etagen über dem Lichtgang - im "Turmzimmer", der Mittelpunkt des eigentlichen Hölderlinturms. Hier hat Friedrich Hölderlin gewohnt, in etwa die Hälfte seines ganzen Lebens, von 1807 bis zu seinem Tod im Jahr 1843. Die Vorgeschichte ist einigermaßen traurig: Zeitgenossen bescheinigten Hölderlin seinerzeit, immer wieder zu "Wahnsinn und Raserei" zu neigen. Es folgte eine 231 Tage dauernde Behandlung im Tübinger Universitätsklinikum unter der Obhut des berühmten Psychiaters Johann Heinrich Ferdinand von Autenrieth, der, so überliefern es Quellen, Hölderlin mit starken beruhigenden Medikamenten vollgepumpt haben soll. Danach galt der Dichter immer noch als geisteskrank, kam unter die Obhut des Tübinger Tischlers und Hölderlin-Bewunderers Ernst Zimmer - und zwar in jenes Haus mit Türmchen an der äußeren Stadtmauer, in der Hölderlin 36 Jahre lang zubringen sollte. Seine Wohnung war das Turmzimmer.
"Wir sind an der Stelle, an de Friedrich Hölderlin die zweite Hälfte seines Lebens verbracht hat, 36 Jahre, an der Stelle, an der Hölderlin auf den Neckarinsel, auf den Neckarraum."
Abgebrannt und wiederaufgebaut
Thomas Schmidt vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach hat die Ausstellung im neuen Hölderlin-Turm gestaltet. Und tatsächlich: Das Turmzimmer ist zwar die Originalstelle, aber nicht der Originalraum, in dem Hölderlin einst gelebt hat.
"Weil der Turm, in dem Hölderlin gelebt hat, 23 Jahre nach seinem Tod abgebrannt ist und danach wieder aufgebaut wurde. Allerdings ist es genau der Turm, der durch zahlreiche Gedichte und Zeichnungen ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben wurde. Denn der Turm heißt erst Hölderlin-Turm, seitdem er diese Gestalt hat."
Der sich zwar nicht wesentlich, aber in einigen Details doch von jener Turmstube unterscheidet, die einst Hölderlins Wohnung war.
"Der Originalturm ist ein alter Stadtturm gewesen, an das das Haus quasi angebaut wurde. Er hatte eine polygonale Form, also leicht eckig. Und er hatte, zum Neckar hin, fünf Fenster. Der wiederaufgebaute Turm ist rund oder halbrund, hat drei Fenster. Und die Raumgröße ist dadurch, dass der Raum etwas in den Turm hineingezogen ist, in etwa um ein Drittel größer."
Obwohl der Originalturm Geschichte ist, erscheint aber gerade der Nachbau voll von Geschichten von und rund um Friedrich Hölderlin. Beispiel: die kleine Schreibkommode im Mittelpunkt des Raumes.
"Das ist nicht das Original, sondern eine hundertprozentige Nachbildung des Tischchens, das Hölderlin in seinem Turm in Tübingen hatte, bei dem er denn den Rhythmus geklopft hat, wenn er entweder an einem Text saß, an den so genannten Turmgedichten, die er geschrieben hat, oder auch wenn er sich irgendwie beruhigen musste. Man kolportiert: Wenn er Streit mit seinem Gedanken hatte, dann hat er auf diesen Tisch geklopft."
Im Zimmer rastlos auf- und abgetigert
Professor Johann Kreuzer ist Präsident der Internationalen Hölderlin-Gesellschaft. Er kennt sich bestens aus mit den Texten Hölderlins, aber auch mit so manchen Anekdoten, die Hölderlin nachgesagt werden, und die ebenfalls auf den zahlreichen Dokumenten im neuen Hölderlin-Turm nachzulesen sind.
"Ein kleines Detail: Wir stehen jetzt im Flur im Erdgeschoss. Und es gibt Rechnungen, die Zimmer an die Mutter geschickt hat von Hölderlin, dass Hölderlin wahnsinnig oft Schuhsolen brauchte, weil er hier im Turm auf- und abgelaufen ist hier im Gang. Das soll jetzt hier plastisch gemacht werden."
Johann Kreuzer, Präsident der Hölderlin-Gesellschaft spricht bei einer einer Pressekonferenz im Hölderlinturm.
Kennt alle Anekdoten über den Dichter: Johann Kreuzer, Präsident der Hölderlingesellschaft (picture alliance / Tom Weller)
"Der Frühling
Der Mensch vergisst die Sorgen aus dem Geiste / der Frühling aber blüht / Und prächtig ist das meiste / Der grüne Feld ist herrlich ausgebreitet / Glänzend schön der Bach hinuntergleitet / Die Berge stehen bedecket mit den Bäumen /und herrlich ist die Luft in offenen Räumen / Das weite Teil ist in die Welt gedehnet / Und Turm und Haus an Hügeln angelehnet"
Texte zum Hören und auf Touchscreens
Überall im neuen Hölderlin-Haus Texte, einerseits zum Nachlesen, andererseits zum Nachhören; immer wieder treffen die Besucher auf Hörstationen. Und dann gibt es auch noch das: Das Hölderlin-Sprachlabor.
"Man kann hier mit einem Touchscreen Hölderlin nachspielen. Man kann hier unterschiedliche Stimmungen aus einem Gedicht hören. Da kann man die verschiedenen Reden von Hölderlin hören, vorgelesen in einer sehr wechselnden Stimmung."
"Im Winde, im Winde."
"Ins Offene, ins Offene!"
"Ich duld es nimmer, ich duld es nimmer."
"Ein Zeichen sind wir, ein Zeichen sind wir!"
Ein aufgeschlagenes Originalbuch von Hölderlin wird in der Dauerausstellung im Hölderlinturm ausgestellt.
Texte zum sehen, lesen und hören: Dauerausstellung im Hölderlinturm (picture alliance / Tom Weller)
Ein Touchscreen mit mehreren Smileys, die mal für einen zurückhaltenden, schüchternen, mal für einen bestimmten, mal für einen nachdenklichen Gesprächsfluss stehen. Drückt man die, dann ertönen, gelesen in der jeweiligen Stimmung, literarische Hölderlin-Zitate. Kan Vergeer, Kulturjournalist aus Holland, ist einer der ersten die das ausprobiert. Aber: Naja...
"Ich denke, diese Stelle ist für die jüngere Leute, die so etwas mit einem Touchscreen sich nähen sollen. Man muss sich näheren. Aber ich brauch kein Touchscreen."
Im Klinikum mit drastischen Mitteln behandelt
Es muss ja nicht unbedingt ein Touchscreen sein, mit dem man sich im renovierten Tübinger Hölderlinturm dem großen württembergischen Dichter nähert. Besucherführungen am Eröffnungswochenende vermitteln so manches Wissenswerte. Und, natürlich, auch das wird im Hölderlin-Turm immer wider thematisiert: Hölderlins Geisteskrankheit, belegt durch Behandlungsdokumente, die an der Wand hängen. Doch war Hölderlin wirklich so geisteskrank, wie es immer heißt?
"Das ist eine schwierige Geschichte. De facto ist es so, dass Hölderlin 1806 mit psychotischen Zügen in das Klinikum eingeliefert wurde, Er wurde behandelt mit Mitteln, die ziemlich drastisch waren, und er wurde dann entlassen 1807 mit dem Bescheid, dass er noch zwei, drei Jahre zu leben habe. Und er hat dann doch 36 Jahre gemacht."
So Johann Kreuzer von der internationalen Hölderlin-Gesellschaft, der heute der Diagnose von damals ein Zitat des Schriftstellers Robert Walser entgegenhält:
"Der schreibt; Hölderlin hielt es in seinem 40. Lebensjahr für angezeigt, seinen gesunden Menschenverstand zu verlieren, wodurch vielen Leuten auf die angenehmste Weise Gelegenheit gab, ihn zu beklagen. Hölderlin hat, mit dieser Lösung im Turm zu sein, sozusagen Ruhe gehabt. Und das war die Rolle, die er dann 36 Jahre gelebt hat."
Bild der Statue von Friedrich Hölderlin unter Bäumen in Nürtingen.
Rüdiger Safranski: "Hölderlin wollte ein Priester der Poesie sein!"
Hölderlin gilt bis heute als rätselhaft-unverstandener Dichter. Rüdiger Safranski, Autor eines Buches über den Dichter, erklärte im Dlf: Für Hölderlin sei das Göttliche konkreter Ausdruck im intensiven Leben gewesen.
"Das Angenehme dieser Welt / das Angenehme dieser Welt habe ich genossen / Die Jugendstunden sind wie lang, wie lang verflossen / April und Mai und Julius sind Ferne / Ich bin nichts mehr / ich lebe nicht mehr gerne."