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Höllentrip ins Ungewisse

Sie riskieren ihr Leben, um in winzigen Booten übers Meer in den verarmten Jemen zu gelangen - zehntausende Somalis und Äthiopier fliehen vor Bürgerkrieg, Armut und Seuchen am Horn von Afrika. Doch diejenigen, die es in den Jemen schaffen, finden mitnichten ein gelobtes Land und ein besseres Leben. Viele versuchen deshalb mit erneuter Hilfe von Menschenschmugglern, sich weiter Richtung Norden durchzuschlagen. Wunschziel: Europa.

Von Birgit Kaspar | 17.05.2008
    In kleinen Grüppchen kauern junge somalische Frauen auf dem steinigen Boden, in traditionelle bunte Tücher gewickelt, die sie auch um den Kopf geschlungen haben. In ihren Augen stehen Angst und Erschöpfung geschrieben, aber sie haben die Fahrt übers Meer immerhin überlebt. Zwei Dutzend Männer sitzen ein wenig abseits an eine Hauswand gelehnt, der Sand klebt ihnen noch in den Haaren. Sie warten auf ihre Registrierung in der Baracke des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Kharraz. Die 19-jährige Obah Mohammed Idli hält schützend ihre Hände vors Gesicht, der starke Wind zerrt an ihrem pinkfarbenen Gewand. Die Menschenschmuggler haben sie kurz vor der jemenitischen Küste aus dem Boot geworfen.

    "Wir landeten im Wasser, es war tief, es ging bis zum Mund."

    Wir mussten gehen, aber wir haben es geschafft, so Obah. 30 weitere Somalis waren in ihrem Boot, das sie aus Djibouti über den Golf von Aden brachte.

    "Ich hatte große Angst. Ich hatte gehört, dass die Schmuggler Leute einfach ins Meer werfen. Es gab Streit zwischen den Flüchtlingen an Bord. Wasser lief ins Boot. Es war überfüllt, ein sehr kleines Boot, jeder hat um seinen Platz gekämpft. Jetzt kann ich nicht mehr laufen, ich habe Schmerzen an den Füßen."

    Für die rund zweiwöchige Reise aus Mogadischu hat das Mädchen 400 US-Dollar gezahlt, 85 davon allein für die dreistündige Überfahrt. In der somalischen Hauptstadt Mogadischu sei das Leben nicht auszuhalten, deshalb habe sie ihre Mutter und ihren Bruder verlassen.

    "Es gibt keinerlei Sicherheit, die äthiopische Armee bombardiert uns, deshalb fliehen wir."

    Seit dem Sturz des Regimes von Siad Barre 1991 haben der Bürgerkrieg, Hungersnöte und Seuchen in Somalia rund eine Million Menschenleben gefordert. Die Kämpfe haben sich in den letzten Monaten verschärft, deshalb steigen auch die Zahlen derer, die sich auf den Höllentrip übers Meer Richtung Jemen machen. Fast 30.000 waren es im vergangenen Jahr nach Angaben des UNHCR, 1.400 sind ertrunken oder gelten als tot. Bisher kamen die meisten über den Hafen Bossasso im Norden Somalias. Samer Haddadin vom UNHCR spricht von unmenschlichen Bedingungen:

    "Die kleinen Boote sind kaum seetauglich. Sie stopfen die Menschen wie Sardinen hinein; sie müssen zwei bis drei Tage in der gleichen Position verbringen, ohne Bewegung. Manche kommen mit Hautproblemen an, weil sie sich gegenseitig mit Urin bespritzen. Schlimmer sind aber Ertrinken, Vergewaltigung oder Exekution durch die Schmuggler."

    Neuerdings kommen diejenigen, die es sich leisten können, über die teurere, aber bislang etwas sicherere Route, über Obock in Djibouti. Doch nur wenige bleiben im Flüchtlingslager Kharraz, rund zwei Autostunden von der jemenitischen Hafenstadt Aden entfernt. Etwa 9.000 Flüchtlinge, bis auf 700 Äthiopier alle aus Somalia, leben in dem ehemaligen Militärcamp Kharraz weitab jeglicher Zivilisation in der Steinwüste. Der Wind bläst kräftig, aber am schlimmsten ist es im Sommer, wenn die Temperaturen bis auf 45 Grad steigen. Immerhin ist die Grundversorgung durch den UNHCR gesichert. Jede Familie hat ihre eigene kleine Steinbaracke, es gibt Latrinen, Wasser und zwei Generatoren. Man versuche, die Lage der Menschen zu verbessern, soweit die Spendengelder es zulassen, sagt Gloria Sagarra, die Leiterin des UNHCR-Büros in Aden.

    Der Äthiopier Mohammed Assanali verfolgt die Nachrichten aus der Heimat. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern seit zehn Jahren im Lager.

    "Ich bin geflohen, um mein Leben zu retten, die äthiopische Regierung hat mich als Unterstützer der Oromo-Befreiungsbewegung verfolgt."

    Jetzt vegetiere er im Camp vor sich hin, ohne jede Hoffnung auf ein besseres Leben.

    "Schauen Sie mich an. (lacht) Ich spiele mit meinen Kindern. Es ist ein sinnloses Leben, das ist alles, was ich sagen kann, vollkommen sinnlos. Manchmal ist da nur Dunkelheit. Ich bin ein starker Mann, ich könnte arbeiten, Dinge tun. Aber für Äthiopier gibt es keine Chance im Jemen."

    Somalier hingegen werden von der jemenitischen Regierung automatisch als Flüchtlinge anerkannt: Sie dürfen arbeiten, wenn sie einen Job finden. Viele nutzen das und versuchen ihr Glück im Slum Bassateen bei Aden.

    Sie nennen es auch "Klein-Mogadischu" - Männer und Frauen in traditioneller somalischer Kleidung füllen die sandigen Gassen, die durch ein Gewirr einstöckiger Behausungen führen. Rund 45.000 Menschen leben hier, Somalis sowie Jemeniten, die früher einmal in Somalia waren. Einige sind allerdings nur auf der Durchreise.

    Vor einer Tür drängen sich Dutzende junger Männer. Drinnen sitzen Schleuser, die den Weg in die Golfstaaten ebnen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Der 20-jährige Mahed ist erst letzte Nacht aus Mogadischu gekommen.

    "Ich will nach Saudi-Arabien, um irgendeinen Job zu finden. Es ist schwer, dahin zu kommen, aber wir haben eine Landkarte. Natürlich müssen wir 50 Dollar zahlen. Es ist gefährlich, aber wir werden es versuchen."

    Viele gehen zu Fuß durch die Wüste, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, erklärt Samer Haddadin vom UNHCR:

    "Dorfbewohner nahe der Grenze sagen, sie fänden manchmal die Leichen dieser Männer in der Wüste. Es ist eine entsetzliche Situation, sie verrecken im Wüstensand."

    Doch die Männer versuchen es immer wieder, sie wollen Richtung Norden, am liebsten nach Europa. Ihre Frauen und Kinder bleiben zurück. Aisha Said, Sozialarbeiterin des UNHCR, sagt, viele Haushalte würden deshalb von Frauen geführt.

    "Sie müssen überleben, sie müssen arbeiten, auch wenn es keine Jobs gibt. Ihre einzige Chance ist als Haushilfe."

    Und das endet dann meist als "Haushilfe mit Zusatzaufgaben".

    "Prostitution ist überall, unter den Flüchtlingen oder unter Jemeniten."

    Es gebe keine Statistiken, aber dieser "Überlebens-Sex" sei weitverbreitet, so Aisha.

    Der Innenhof gleicht einer Müllhalde. Im Wohnraum der 23-jährigen Fawzia sieht es nicht besser aus. Ihre kleine Tochter liegt in schmutzigen Windeln im eigenen Erbrochenen. Die junge Somalierin mit vollen Lippen und einem stumpfen Blick trägt ein schwarzes, mit orangen Blumen bedrucktes Tuch um den Kopf und ein beige-rot geblümtes Kleid. Sie hat sieben Kinder und ist erneut schwanger:

    "Vorher hat mein Ehemann für alles gezahlt, doch der ist abgehauen. Manchmal arbeite ich als Haushilfe, aber es reicht nicht. Ich habe meine Miete seit sechs Monaten nicht mehr bezahlt. Manchmal denke ich an Selbstmord."

    Seit neun Jahren lebe sie in Bassateen - ohne Hoffnung. Das UNHCR-Camp sei für sie keine Alternative. Fawzia:

    "Es gibt keine Zukunft. Ich hasse mich selbst, ich hasse meine Kinder, ich habe keine Zukunft."