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Hörbare Strahlen

Seine Entwicklung machte es möglich, radioaktive Strahlung zu messen: Der deutsche Physiker Hans Wilhelm Geiger entwickelte den nach ihm benannten Geigerzähler. Als "Wachhund des Atomzeitalters" ist das Messsgerät aus der heutigen Forschung und Alltagswelt nicht mehr wegzudenken.

Von Mirko Smiljanic | 30.09.2007
    Universität Bonn, Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik. Auf dem Schreibtisch von Professor Ulrike Thoma steht ein kleiner Kasten, aus dem ein etwa zehn Zentimeter langes Rohr ragt.

    "Das ist jetzt ein Zählrohr, an einem typischen Dosismesser angebracht, das ist schon ein bisschen älter. Heute hat man Kammern, da sieht man das Rohr nicht mehr ganz so schön, und das Knacken, was man jetzt hört, ist so die typische Untergrundstrahlung, die da ist und mit der Geiger in seinen Experimenten immer auch zu kämpfen hatte."

    Hans Wilhelm Geiger wurde am 30. September 1882 in Neustadt an der Weinstraße geboren. Er war ein guter Schüler, vor allem naturwissenschaftliche Fächer begeisterten ihn. 1901 studierte er an der Universität Erlangen Mathematik und Physik. Im Herbst 1904 legte er die erste Lehramtsprüfung ab, im Frühjahr 1906 folgte die zweite. Wenige Monate später promovierte Geiger mit einer Arbeit über "Strahlungs-, Temperatur- und Potentialmessungen in Entladungsröhren mit starken Strömen". Damit hatte der 24-Jährige sein Thema gefunden: das Zählen von Elementarteilchen.

    "Er hat sich dafür interessiert, wie das Kleinste aussieht. Er hat auch relativ früh experimentell gearbeitet. Er hat Zählrohre entwickelt, um eine ganz genaue Handhabe zu haben, wie man Teilchen nachweisen kann, die bei radioaktiven Zerfällen entstehen."

    Wobei diese Zählrohre - inklusive des klassischen Geigerzählers - genau genommen nur Nebenprodukte von Grundlagenforschung waren. Vor 100 Jahren wussten die Physiker nur wenig über den Aufbau von Materie. Dass es Atome gab, war klar, ihre Struktur lag aber noch im Dunkeln. Das änderte sich, als Geiger 1907 nach Manchester an das Institut von Ernest Rutherford wechselte und dort Experimente mit Alphateilchen machte. Dabei entdeckte er mit seinem Zählrohr, dass einige Teilchen von Goldfolien reflektiert wurden, so, als ob sie gegen eine harte Wand prallten. Heute weiß man: Sie prallten gegen Atomkerne. Ulrike Thoma:

    "Und letztendlich waren das die ersten Experimente, die einen Hinweis darauf gaben, dass es tatsächlich so etwas wie einen Atomkern gibt, also eine bahnbrechende Entdeckung in der Zeit."

    1912 übernahm Geiger eine Stelle an der Physikalisch-Technischen-Reichsanstalt, kurz PTR, Berlin. Seine Aufgabe war klar umrissen: Er sollte ein Laboratorium für Radioaktivität aufbauen. Der Erste Weltkrieg unterbrach allerdings seine Arbeit, erst 1919 konnte er sie fortsetzen. 1925 ging Geiger von Berlin an die Universität Kiel und entwickelte drei Jahre später mit seinem ersten Doktoranden Walter Müller, was ihn weltberühmt machen sollte: Das Geiger-Müller-Zählrohr, mit dem man nicht nur radioaktive Teilchen und Gamma-Strahlen misst, sondern auch deren Energie bestimmt. Geiger hatte festgestellt, dass die bisherige Zählmethode, Lichtblitze zu registrieren, zu ungenau war.

    "Und was sich dann der Herr Geiger überlegt hat, war: Ich hätte gern ein elektrisches Nachweisgerät, was diese Lichtblitze elektrisch sichtbar machen kann und mir dafür dann eine größere Genauigkeit gibt, als ich das mit dem szintillierenden Schirm kann."

    Da Geiger noch nichts von Höhenstrahlung und natürlicher Radioaktivität wusste, machte er die irritierende Beobachtung, dass es eigentlich überall knackte, bis zufällig jemand die Tür zu einem Raum öffnete, in dem ein Student mit radioaktivem Material hantierte und das gelegentliche Knacken in ein Knarren überging: Der Geigerzähler war geboren oder - wie das Gerät in den USA auch hieß - der "Wachhund des 20. Jahrhunderts". Den internationalen Durchbruch seiner Erfindung erlebte er aber nicht mehr. Krank und verarmt starb Hans Wilhelm Geiger am 24. September 1945 in Potsdam.