Schon bei Homer konnte der Vogelflug ein schlechtes Zeichen sein; bei Edgar Allan Poe und Alfred Hitchcock schließlich wurden Vögel zum Inbegriff von Bedrohung und Tod. Und auch Karl Bruckmaier setzt in seiner Hörspielfassung von Peter Weiss' "Ästhetik des Widerstands" ganz auf die Furcht einflößende Wirkung, die Vögel ausüben können. Dafür geht er ganz nah ran: Nicht Trippeln oder Zwitschern, nur das Schlagen von Flügeln hat Bruckmaier aufgenommen und als immer wiederkehrendes Geräuschelement eingesetzt. Vielfach variiert und meist nur für kurze Momente hört man das Flattern und Klappern der Federn - und zwar so, als säße man im Gefieder, als würde man davon erschlagen, oder auch fortgetragen in eine Welt, von der sicher nichts Gutes zu erwarten ist.
Es braucht für die furchteinflößende Wirkung dieses dantesken Flügelschlagens gar nicht das Wissen um den Ort, an dem es aufgenommen wurde: in der Hinrichtungsstätte Plötzensee in Berlin. Doch er verstärkt dieses Wissen noch den Eindruck, in eine Welt versetzt zu sein, die vom Flügelschlag, nicht vom Menschen beherrscht wird, in eine leere, tote Welt, in der nur kalte Winde pfeifen und Todesschwingen kreisen. Keine Stimmen, keine Schritte.
In Plötzensee wurden 1942 die wichtigsten Mitglieder der Widerstandsbewegung "Rote Kapelle" hingerichtet, und die ausführliche Beschreibung dieser Hinrichtungen bildet den erzählerischen Höhepunkt der "Ästhetik des Widerstands". Peter Weiss' gelingt es hier, seiner Prosa einen bezwingenden Rhythmus zu verleihen, etwa wenn er den den Hinrichtungen beiwohnenden Pastor davon berichten lässt, er habe einem der Verurteilten zuletzt noch Goethes "Urworte, orphisch" vorgelesen.
"Der Gelehrte, dessen Weltbild ein anderes war als das meine, sein Gesicht war entspannt, die Lippen regten sich zu den Worten. Und als ich fertig war, blickte Harnack mich dankbar, freundschaftlich an. Und voller Scham verließ ich ihn."
In der Hörspielversion des Romans nun kommt die rhythmische Qualität dieser Prosa besonders zum Tragen. Dank ihrer droht das zwölfstündige Stück niemals zu zerfasern. Das ist natürlich auch das Verdienst der inspirierten Sprecher, vor allem das Peter Frickes und Robert Stadlobers, die als Erzählerfiguren einen Großteil des Hörspiels bestimmen. Bruckmaiers Idee, die Erzählinstanz aufzuspalten, im Roman gibt es eigentlich nur einen Erzähler, erweist sich als durchaus überzeugend. Fricke, der Ältere der beiden, scheint aus zeitlicher Distanz zu sprechen, Stadlober, der Jüngere, als wäre er noch ganz nah dran am Geschehen. Auch wenn es zwangsläufig beim Jüngeren zu größeren emotionalen Aufwallungen kommt, Stadlober wahrt die Würde der Erzählung und entgeht der Gefahr, sie mit einem Sturm aus Leidenschaft niederzuwalzen. Sowohl Frickes als auch Stadlobers Interpretation ist von einem bewundernswerten Ernst geprägt. Beiden Stimmen ist eine Bedächtigkeit eigen, die nichts Zögerliches an sich hat und darum auch niemals langatmig oder enervierend wirkt.
"Beim Lauf vom Untergrundbahnhof Schwarzkopfstraße über die Chausseestraße hinweg zur Pflugstraße und am Heulen der Alarmsirenen, von Blockwarten angerufen, die mich in den nächsten Luftschutzkeller treiben wollten, verfolgt vom Trillern ihrer Pfeifen, saß eine Frage in mir fest."
"Saß eine Frage in mir fest und diese verlangte eine Antwort drauf, ob alle Beschäftigung mit Büchern und Bilden nicht doch nur eine Flucht gewesen war."
Da die "Ästhetik des Widerstands" heute kaum noch gelesen wird, steht zu hoffen, dass man sie nun häufiger hört. Das zwölfstündige Hörspiel erscheint angesichts der 1000 Seiten der Buchfassung zwar wie eine Kurzversion, aber Regisseur Bruckmaier ist es gelungen, ein geschlossenes Ganzes zu komponieren ohne eklatante Auslassungen. Ausführlich erfährt man von den Erlebnissen des Erzählers im spanischen Bürgerkrieg, und auch Chamberlain, Brecht und Wehner haben überzeugende Auftritte. Die Darstellung des Verhältnisses zwischen dem Erzähler und seinem Vater samt der in dieser Beziehung immer virulenter werdenden politischen Konflikte innerhalb der Linken hat vielleicht sogar noch an Prägnanz gewonnen.
Im Roman, wie gesagt, spielt Plötzensee eine Hauptrolle, und auch im Hörspiel bilden die Hinrichtungen der Mitglieder der "Roten Kapelle" den so traurigen wie ergreifenden Höhepunkt. Im Wechsel mit Peter Fricke kommt hier Pastor Poelchau zu Wort, gesprochen von Hanns Zischler. Dessen schwere, beherrschte Stimme lässt den Hörer wissen, auf welche Weise sich die Einzelnen dem Schafott nähern, wie sie ihre Schritte setzen, ihren Blick ausrichten. Zwischendurch schaben Steine als schärften sie das Fallbeil. Und dann - flap, flap - taucht der Flügelschlag alles in Dunkelheit.
"Kuckhoff an den Füßen aufgehängt mit einem Sack über dem Kopf, Coppi nackt, die Haut blau und zerplatzt, in der Lache des Wassers mit dem man ihn übergossen hatte um ihn aus der Ohnmacht zu holen, und Heilmann, abgemagert zum Skelett, doch aufrecht gehalten vom Triumph, dass es der Folter nicht gelungen war, Bekenntnisse aus ihm herauszupressen."
Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands Regie: Karl Bruckmaier. Sprecher: Peter Fricke, Robert Stadlober, Michael Tregor, Hanns Zischler u.a.
Der Hörverlag, München 2007
12 CD, 630 Minuten, 59 Euro
Es braucht für die furchteinflößende Wirkung dieses dantesken Flügelschlagens gar nicht das Wissen um den Ort, an dem es aufgenommen wurde: in der Hinrichtungsstätte Plötzensee in Berlin. Doch er verstärkt dieses Wissen noch den Eindruck, in eine Welt versetzt zu sein, die vom Flügelschlag, nicht vom Menschen beherrscht wird, in eine leere, tote Welt, in der nur kalte Winde pfeifen und Todesschwingen kreisen. Keine Stimmen, keine Schritte.
In Plötzensee wurden 1942 die wichtigsten Mitglieder der Widerstandsbewegung "Rote Kapelle" hingerichtet, und die ausführliche Beschreibung dieser Hinrichtungen bildet den erzählerischen Höhepunkt der "Ästhetik des Widerstands". Peter Weiss' gelingt es hier, seiner Prosa einen bezwingenden Rhythmus zu verleihen, etwa wenn er den den Hinrichtungen beiwohnenden Pastor davon berichten lässt, er habe einem der Verurteilten zuletzt noch Goethes "Urworte, orphisch" vorgelesen.
"Der Gelehrte, dessen Weltbild ein anderes war als das meine, sein Gesicht war entspannt, die Lippen regten sich zu den Worten. Und als ich fertig war, blickte Harnack mich dankbar, freundschaftlich an. Und voller Scham verließ ich ihn."
In der Hörspielversion des Romans nun kommt die rhythmische Qualität dieser Prosa besonders zum Tragen. Dank ihrer droht das zwölfstündige Stück niemals zu zerfasern. Das ist natürlich auch das Verdienst der inspirierten Sprecher, vor allem das Peter Frickes und Robert Stadlobers, die als Erzählerfiguren einen Großteil des Hörspiels bestimmen. Bruckmaiers Idee, die Erzählinstanz aufzuspalten, im Roman gibt es eigentlich nur einen Erzähler, erweist sich als durchaus überzeugend. Fricke, der Ältere der beiden, scheint aus zeitlicher Distanz zu sprechen, Stadlober, der Jüngere, als wäre er noch ganz nah dran am Geschehen. Auch wenn es zwangsläufig beim Jüngeren zu größeren emotionalen Aufwallungen kommt, Stadlober wahrt die Würde der Erzählung und entgeht der Gefahr, sie mit einem Sturm aus Leidenschaft niederzuwalzen. Sowohl Frickes als auch Stadlobers Interpretation ist von einem bewundernswerten Ernst geprägt. Beiden Stimmen ist eine Bedächtigkeit eigen, die nichts Zögerliches an sich hat und darum auch niemals langatmig oder enervierend wirkt.
"Beim Lauf vom Untergrundbahnhof Schwarzkopfstraße über die Chausseestraße hinweg zur Pflugstraße und am Heulen der Alarmsirenen, von Blockwarten angerufen, die mich in den nächsten Luftschutzkeller treiben wollten, verfolgt vom Trillern ihrer Pfeifen, saß eine Frage in mir fest."
"Saß eine Frage in mir fest und diese verlangte eine Antwort drauf, ob alle Beschäftigung mit Büchern und Bilden nicht doch nur eine Flucht gewesen war."
Da die "Ästhetik des Widerstands" heute kaum noch gelesen wird, steht zu hoffen, dass man sie nun häufiger hört. Das zwölfstündige Hörspiel erscheint angesichts der 1000 Seiten der Buchfassung zwar wie eine Kurzversion, aber Regisseur Bruckmaier ist es gelungen, ein geschlossenes Ganzes zu komponieren ohne eklatante Auslassungen. Ausführlich erfährt man von den Erlebnissen des Erzählers im spanischen Bürgerkrieg, und auch Chamberlain, Brecht und Wehner haben überzeugende Auftritte. Die Darstellung des Verhältnisses zwischen dem Erzähler und seinem Vater samt der in dieser Beziehung immer virulenter werdenden politischen Konflikte innerhalb der Linken hat vielleicht sogar noch an Prägnanz gewonnen.
Im Roman, wie gesagt, spielt Plötzensee eine Hauptrolle, und auch im Hörspiel bilden die Hinrichtungen der Mitglieder der "Roten Kapelle" den so traurigen wie ergreifenden Höhepunkt. Im Wechsel mit Peter Fricke kommt hier Pastor Poelchau zu Wort, gesprochen von Hanns Zischler. Dessen schwere, beherrschte Stimme lässt den Hörer wissen, auf welche Weise sich die Einzelnen dem Schafott nähern, wie sie ihre Schritte setzen, ihren Blick ausrichten. Zwischendurch schaben Steine als schärften sie das Fallbeil. Und dann - flap, flap - taucht der Flügelschlag alles in Dunkelheit.
"Kuckhoff an den Füßen aufgehängt mit einem Sack über dem Kopf, Coppi nackt, die Haut blau und zerplatzt, in der Lache des Wassers mit dem man ihn übergossen hatte um ihn aus der Ohnmacht zu holen, und Heilmann, abgemagert zum Skelett, doch aufrecht gehalten vom Triumph, dass es der Folter nicht gelungen war, Bekenntnisse aus ihm herauszupressen."
Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands Regie: Karl Bruckmaier. Sprecher: Peter Fricke, Robert Stadlober, Michael Tregor, Hanns Zischler u.a.
Der Hörverlag, München 2007
12 CD, 630 Minuten, 59 Euro