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Hörerwelten
Der Oldenburger Religionsfriede

Als "staatsfromm" kritisierte DLF-Hörer Reinald Leistikow die evangelischen Kirche in der Flüchtlingspolitik, der Islam werde unterschätzt. Das ließ Hörer Jürgen Heumann zusammenzucken: Er engagiert sich in einem interreligiösen Arbeitskreis und glaubt an den Dialog mit Muslimen.

Von Alexander Budde | 04.07.2017
    Der Religionswissenschaftler Jürgen Heumann (Mitte), mit Melanie Blinzler (Geschäftsführerin des Präventionsrats Oldenburg, links) und Ahmed Hazzaa (Leiter des Islamischen Kulturvereins Oldenburg e.V., rechts) in der Maryam Moschee in Oldenburg
    Der Religionswissenschaftler Jürgen Heumann (Mitte), mit Melanie Blinzler (Geschäftsführerin des Präventionsrats Oldenburg, links) und Ahmed Hazzaa (Leiter des Islamischen Kulturvereins Oldenburg e.V., rechts) in der Maryam Moschee in Oldenburg (Alexander Budde/Deutschlandfunk)
    Ein kräftiger Handschlag am Treffpunkt vor der der Methodistenkirche am Friedensplatz. Jürgen Heumann mustert durch seine schwarze Hornbrille den Besucher mit dem forschenden Blick des Religionspädagogen.
    "Ich hatte gedacht, dass wir über unsere Religionsmeile gehen", sagt Heumann. "Religionsmeile heißt: eine Straße in Oldenburg, die Peterstraße, in der die Religionen, die Hauptreligionen in Oldenburg, vertreten sind."
    Der emeritierte Professor an der Universität Oldenburg doziert mit Leidenschaft. Seine Schriften befassen sich mit der kulturellen Bedeutung der Religionen in der Gegenwart.
    "Die alte Stadt Oldenburg ist seit der Reformation protestantisch. Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Straße angelegt und durch Bevölkerungswachstum wurde es erforderlich, anderen Religionen auch einen Raum zu geben."
    Die Kirchenoberen und der Wolf
    In der Sendung vom 22. Mai hatte sich Hörer Rainald Leistikow über die "staatsfromme Kirche" beklagt. Ihn empöre, dass sich die evangelische Kirchenleitung kritiklos hinter die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin stelle. Leistikow sprach von einer offiziellen Meinungsvorgabe, die Andersdenkende ausgrenze. Dabei sollten die christlichen Sonntagspredigten doch lieber die Ausbreitung des Islam anprangern. Den Islam charakterisierte der Berliner in dem Beitrag als kriegerische Eroberungsreligion mit Unterwerfungsanspruch:
    "Der Islam ist der Wolf im Schafspelz. Und wenn der sich in die Lämmerherde begibt, ist das gefährlich. Und unsere Kirchenoberen erkennen eben den Wolf nicht, weil er im Schafspelz daherkommt."
    Als Lamm unter Wölfen hat sich Jürgen Heumann nie gefühlt. Die steile These des Hörers, sagt er, reizt zum Widerspruch. Über Gewaltakte müsse offen geredet werden, es dürfte aber nicht pauschal behauptet werden, der Islam an sich sei gewalttätig. Jede Religion kenne Gewaltexzesse, die mit heiligen Texten gerechtfertigt werden. Auch die endzeitlichen Reden Jesu oder die Offenbarung des Johannes seien nach solcher Lesart hochgewaltsame Bücher. Religionen seien eben ambivalent.
    "In jeder Religion steckt das Böse wie das Gute", sagt Heumann. "Religion heißt natürlich zum Teil auch Abgrenzung. Ich bin einem anderen Gott verpflichtet als andere das sind. Daraus sind unsäglich viele Kriege entstanden -das muss aber nicht sein! Das sollte uns unsere Religion auch sagen, dass der liebe Gott viele Zimmer in seinem Haus hat, in dem jeder bunte Vogel leben kann!"
    Streiten, um den Frieden zu finden
    Heumann erzählt vom Arbeitskreis Religionen, den er seit der Gründung 2011 berät. Von der Bahá'í-Gemeinde bis zum Yezidischen Forum - unter dem Dach des Oldenburger Präventionsrats kommen dort Vertreter aus elf Religionsgemeinschaften der Stadt ins Gespräch. Im Ringen um eine gemeinsame Stellungnahme zu den religionsrelevanten Grundrechten im Grundgesetz etwa ging es hart zur Sache: Die satirische Darstellung von Religionen in Medien fällt unter die Meinungsfreiheit; Kritik und Infragestellung von Glaubensgrundsätzen, Symbolen, Ritualen muss möglich sein - am Ende unterschrieben alle das Bekenntnis, auch der ansässige DITIB-Vertreter.
    "Respekt vor der anderen Tradition ist elementar wichtig!", sagt Heumann. "Fremdsein und Sich-Begegnen in einem Land heißt immer Aushandeln."
    Ein Netzwerk von Vertrauten ist entstanden, es gibt gegenseitige Besuche.
    "Die Tür ist auf und für jeden"
    In der Maryam Moschee des Islamischen Kulturvereins beten Menschen sunnitischen Glaubens an diesem Freitag dicht gedrängt. Rund 200 überwiegend junge Leute verteilen sich über die zwei Etagen eines ehemaligen Oldenburger Bürgerhauses. Ahmed Hazzaa leitet die freie Gemeinde mit Mitgliedern aus 30 Nationen ehrenamtlich.
    "Wir freuen uns, wenn wir uns sehen!", sagt Hazzaa. "Jeder kann herkommen."
    Heumann, ermattet vom langen Fußmarsch, streckt sich auf dem Teppich aus. Hazaa entspannt nicht. Er wird zornig und spricht den Grund dafür auch aus: Er sei es gründlich leid, dass seine Religion immer nur mit Terror in Verbindung gebracht werde:
    "Jeder Moslem ist Terror, bis er sich anders vorstellt! Ob sie im Geschäft sind, am Ausbildungsplatz - das merke ich regelmäßig, kriege Beschwerden von unseren Mitgliedern, dass das wirklich im Moment sehr schwierig ist. Das macht mich persönlich auch traurig! Wir tun auch viel für die Gesellschaft, wir haben große Verantwortung, um das friedliche Leben in Oldenburg auch durchzuführen."
    "Schaffen es offenbar nicht, die jüngeren Generationen anzusprechen"
    Viele Zugewanderte und Geflüchtete fordern die Alteingesessen auch mit ihrer religiösen Inbrunst heraus, gibt Heumann zu bedenken. Natürlich sei das Bedürfnis nach Spiritualität in Migrantenkreisen größer. Das erkläre aber nicht, warum sich der Gottesdienst in vielen christlichen Gemeinden vor leeren Bänken abspielt.
    "Die christlichen Kirchen schaffen es offenbar nicht, die jüngeren Generationen so anzusprechen, dass sie an solchen Veranstaltungen teilnehmen", sagt Heumann. "Das schaffen die Muslime offenbar besser! Ich bin da inzwischen auch ein bisschen ernüchtert, muss ich sagen. Wir haben Generationen von Pfarrern und Lehrern ausgebildet in einer modernen, liberalen Theologie. Kaum sind die Pfarrer in der Gemeinde verhalten sie sich anders, predigen zum Teil in gestanzten Worten, weil Gemeinde es so verlangt. Und da müssen wir raus aus der ganzen Kiste!"
    Kirche ist Widerspruch, sagt Heumann. Sie müsse sich viel präsenter auch politisch gegen Unrecht artikulieren. Auf Kanzelpredigten wider den Islam, wie sich das Reinald Leistikow wünscht, könne er verzichten, stattdessen sein zum Beispiel deutliche Worte gegen die Ausbeutung moderner Lohnsklaven in deutschen Schlachthöfen dringend nötig.
    "Wir haben jetzt das Lutherjahr und Ökumene und all diese Dinge. Naja, was kommt dabei heraus, dass man sich nett auf die Schultern klopft und Gottesdienst zusammen macht - mehr aber auch nicht! Das ist in dieser Zeit zu wenig. Für die Streitigkeiten des 16. Jahrhunderts interessiert sich keiner mehr."