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Gott in Görlitz

Hans-Michael Hanert ist Religionslehrer und Pfarrer. Manchmal setzt er Sendungen des Deutschlandfunks im Unterricht ein. Zum Beispiel eine Ausgabe der Streitkultur über die Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft. Seine Schülerin und Schüler sollten Argumente haben für die Diskussion mit Atheisten, sagt er.

Von Bastian Brandau | 24.10.2017
    Pfarrer Hans-Michael Hanert vor der Lutherkirche Görlitz
    Er setzt gern den Dlf im Religionsunterricht ein: Pfarrer Hans-Michael Hanert (Bastian Brandau / Deutschlandradio)
    Weiße Haare, ein weißgrauer Vollbart und ein freundliches Lächeln: Hans-Michael Hanert begrüßt in seiner Dienstwohnung im Pfarrgebäude gegenüber der Görlitzer Lutherkirche. Das Programmheft des Deutschlandfunks liegt auf dem Küchentisch, auf dem Herd steht die dem Reporter schon vorher angekündigte Suppe.
    "Also ehe wir anfangen, lesen wir immer das Wort des Tages - Ha, ist das nicht passend? Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge macht beide der Herr. Prüft alles und das Gute behaltet", liest Hans-Michael Hanert vor.
    Angeregte Diskussionen
    Hanert, 62, ist vor sieben Jahren aus Frankfurt/Oder nach Görlitz gezogen, unterrichtet evangelische Religion an mehreren Schulen in der Region. Immer wieder setzt er Beiträge des Deutschlandfunk im Unterricht ein. So eine Ausgabe der Sendung "Streitkultur": Passen Glaube und Vernunft zusammen? Darüber hatten die damalige Kirchentagspräsidentin Christina aus der Au und der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser im Mai diskutiert. Hanert hat seine Schüler in die Rollen der beiden Diskutierenden schlüpfen lassen. Einen Mitschnitt der Schulstunde hat er an die Redaktion von "Tag für Tag" geschickt.
    "Es ist einfach so die Idee gewesen, weil ich vom Deutschlandfunk viele Sachen auch mit reinziehe in den Unterricht", erklärt er. "Damals das war die Geschichte mit Aus der Au und Grosser, wo ich mich eigentlich erregt hatte, wie man da so im Grunde genommen im Metaphysischen hängen bleibt und einfach nicht weiterkommt."
    So richtig nach seiner Zufriedenheit sei die Diskussion in der 11. Klasse in Niesky im Landkreis damals nicht verlaufen, erinnert sich Hanert:
    "Die kam nicht richtig in die Gänge, weil die in Niesky auch nicht so diskutierfreudig sind. Ich hab am Curie-Gymnasium diskutierfreudigere. Da brauche ich in der 12 bloß mal einen harten Satz in die Menge zu werfen, da geht das dann richtig zur Sache."
    Hans-Michael Hanert beginnt zu referieren, worum es ihm gegangen sei. Man bekommt einen Eindruck, wie der Pfarrer für seinen Beruf als Religionspädagoge brennt.
    Er erzählt: "Mit der Gottesfrage umzugehen, das ist eigentlich das, was ich ihnen wirklich mitgeben kann. Dass sie bei Kirche und beim Glauben auch bleiben als Naturwissenschaftler, die sozusagen Auseinandersetzungen haben mit Agläubigen. Das muss man einfach wissen, da kommen ja die Fragen."
    "Wir fangen Fragen aus anderen Fächern auf"
    Und leider kämen gerade in den Naturwissenschaften die Fragen, die etwa hinter den Experimenten stehen, zu kurz. Das müssten dann Religion- und Ethikunterricht auffangen gerade an Gymnasien mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt.
    "Und deswegen sind diese beiden Fächer unheimlich wichtig im Kanon einer Schule. Weil wir Fragen auffangen, die aus anderen Fächerkonstellationen kommen."
    Und so geht es bei Hanert im Religionsunterricht auch um Politik. Pegida hat in Görlitz nie richtig Fuß fassen können, aber bei der Bundestagwahl war die AfD hier stärkste Kraft. AfD-Argumente hört Hanert im Unterricht regelmäßig.
    Reporter: "Wie läuft das ab, was wird da geäußert, wie gehen Sie damit um?"
    "Och, dann versuchen wir, Punkte zu finden. Dann geht's einfach richtig in medias res, wie es so schön heißt. Also richtig rein in die Sache, wo ich ihnen einfach was zum Denken mitgebe. Und dann müssen sie sehen, wie sie damit klarkommen. Na klar gibt es Schüler, die sagen, da muss ich Papa erstmal fragen, von dem habe ich es doch."
    Görlitz - im Mittelpunkt Europas?
    Görlitz, die östlichste Stadt Deutschlands, leidet noch immer unter der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Randlage. Zwar ist die Innenstadt schön herausgeputzt und eine international beliebte Filmkulisse. Görlitz sei eine tolle Kulturstadt, findet Hanert. Aber der Zug in die Landeshauptstadt Dresden braucht für etwa 100 Kilometer quälend lange 75 Minuten - und jede zweite Stunde dauert es noch länger auf der noch nicht elektrifizierten Strecke.
    "Weil die Polen ja die Elektrifizierung bis nach Zgorzelec durchgezogen haben. Das Missing Link, das fehlende Stück ist Sachsen. Von Görlitz nach Dresden. Das müssen sie sich einfach mal überlegen."
    Die deutsch-polnische Gemengelage fasziniert Hanert, der Görlitz immer wieder mit seiner alten Heimat Frankfurt/Oder vergleicht.
    "Ich habe in Frankfurt/Oder mal einen sogenannten Booßener Talk gehabt, da haben wir mal eine Sache gemacht: Wir sind der Mittelpunkt. Und wir denken das mal. Und was brauchen wir? Was gibt es hier? Im Bereich Wirtschaft, Soziales, Ökologie und sowas. Das war ein hochinteressantes Ding. Ich glaube hier habe ich noch keinen Menschen getroffen, der einfach mal gesagt hat, wir sind hier der Mittelpunkt."
    Das hänge in Frankfurt natürlich auch mit der Viadrina zusammen, die als Universität das Deutsch-Polnische Zusammenleben mit ihren Institutionen bereichere. In Görlitz erlebe er eher ein deutsch-polnisches Nebeneinander, sagt Hanert.
    "Man trifft sich zur gemeinsamen Stadtratssitzung, hat so seinen Ablauf, man ist freundlich miteinander, man isst miteinander und geht wieder auseinander."
    Hanert erzählt von seinen polnischen Nachbarn, von einem deutsch-polnischen Chorprojekt. Der Glaube sei hier sichtbarer als in Frankfurt/ Oder, rund ein Drittel der Menschen in Görlitz christlich gebunden seien. Übrigens auch einige der Flüchtlinge. Sie hätten Görlitz bereichert, sagt Hanert und erzählt von zwei neuen Läden in Görlitz, wo er unter anderem parfürmierten Tee und Hammelfleisch einkauft. Was er der Stadt noch wünscht?
    "Oh, das ist eine schwierige Frage. Was ich Görlitz wünschen würde, wäre eine Universität und nicht bloß eine Hochschule. Die würde hierher passen. Auch nochmal so eine Europauniversität. Aber - das ist sehr weit weg."