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Hofbauer-Kongress in Nürnberg
Schlüpfriger Anspruch

Der künstlerische und inhaltliche Wert von Filmen wie "Schulmädchenreport" oder "Verbotene Lust im Sperrbezirk" erschließt sich den wenigsten. Dennoch stehen beim Hofbauer-Kongress in Nürnberg solche Sexfilme aus mehreren Jahrzehnten im Fokus - und deren teils gut verborgene Aussagen.

Von Matthias Dell | 07.01.2019
Drei junge Frauen sitzen und liegen gemeinsam auf einem Sessel und lesen Aufklärungsbücher (Filmszene aus dem "Schulmädchen-Report").
Filme wie der "Schulmädchen-Report" stehen beim Hofbauer-Kongress im Fokus (picture-alliance / dpa)
Der Hofbauer-Kongress ist ein freudvolles Unterfangen, das merkt man schon an der Sprache: "Ich würde mich am liebsten auch nur in dieser Vorfreude-Panade wälzen und in das heiße Fett dieses Film springen."
Christoph Draxtra ist ein Mitglied des ehrenamtlichen Kuratorenteams hinter dem Festival. Gestartet vor Jahren als halblegale Untergrundsichtung...
"Ich komm gern wieder zu dir, aber du musst mir versprechen, dass das unser Geheimnis bleibt."
... ist der Hofbauer-Kongress mittlerweile der wichtigste deutsche Schauplatz einer neuen Form von Cinéphilie.
"Dieser Film zeigt, was Eltern nicht wahrhaben wollen, weil unsere Moral verlogen ist."
80 Leute im übervollen Saal des Nürnberger Komm-Kinos schauen fünf Tage lang...
"Wie Kinder und blutjunge Menschen in das Sexualleben eingeführt werden - durch sträflichen Leichtsinn, durch Neugier, durch Verführung Erwachsener und durch Erpressung."
Aber sie tun das zumeist mit einem feinen Gespür für inszenatorischen Eigensinn und erzählerischen Überschuss. Die Idee hinter dem Festival ist, dass die Sex- und Exploitationfilme aus den fünfziger bis achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts sich durch das Ausstellen sexueller Schauwerte durchaus Räume künstlerischer Freiheit erschlossen haben.
Gegensätzliche Geschlechtervorstellungen
Für den griechischen Schwarz-weiß-Film "Neun Mädchen auf der Hölleninsel" bedeutet das etwa, die meiste Zeit gut aussehenden, leicht bekleideten Frauen beim dreckverschmierten Graben auf einer Insel zuzuschauen. Der Film von Dinos Dimopoulos führt aber nicht nur Dekolletés vor Augen, sondern lässt Geschlechtervorstellungen jener Jahre aufeinanderprallen. Auf der Insel, auf die die Frauen aus einer Besserungsanstalt geflohen sind, treffen sie auf eine Gruppe Männer...
"Warum habt ihr das Boot versteckt? - Wer seid ihr? Was wollt ihr überhaupt? - Nichts"
... Verbrecher, die einen Schatz suchen. Es geht um einen Geschlechterkonflikt, für den es keine friedliche Lösung gibt, weil er mythisch ist; der Anführer der Männer hat die Familie von einer der Frauen umgebracht: "Der Kerl ist wirklich an dem ganzen Elend schuld."
Die Handlung ist sparsam. Fast scheint es, als schaue der Film seiner einmal etablierten Konfrontation zu, weil er selbst keine Lösung weiß; als grabe er sich immer tiefer in sich selbst hinein, weil die Macht der Männer 1963 zu groß ist, um mit ein paar Genrehandgriffen gebrochen zu werden.
Blick auf den Sexismus der 70er
Eine andere Entdeckung des diesjährigen Kongresses war der deutsche Film "Ich – Das Abenteuer heute eine Frau zu sein" von 1972, eine Art "Schulmädchenreport" aus weiblicher Sicht. Monika verliebt sich in Kai, der unter Ehe nur leider müffelige Routine versteht: "Kannst Du nicht endlich Deine verflixte Zeitung weglegen? - Ich lese gerade einen sehr interessanten Artikel. Willst du den Modeteil haben? - Nein, ich will nicht lesen, nun sitzen wir gemütlich am Sonntagstisch, und dir fällt nichts Wichtigeres ein als deine scheiß Zeitung."
Monika sucht nach Selbstbestimmung, auch nach sexueller: "Du onanierst? Aber warum hast du mich dann geheiratet?" Und sie stürzt sich in Abenteuer mit schleimigen Gesellen - wie dem väterlichen Hausarzt oder einem Casanova: "Um Himmels Willen! - Ich nehme an, Sie möchten gerne wissen, wer ich bin, aber selbstverständlich, ich heiße Carsten."
Der Film "Ich" ist auch ein Gang durchs Museum eines historischen Sexismus. Aber dass er durch die zeitgenössische Schmierigkeit seiner kommerziellen Interessen hindurch vorsichtig von weiblicher Selbstbefragung erzählt, lässt ihn bemerkenswert erscheinen. Ein Fund, wie er sich beim Hofbauer-Kongress machen lässt – eine gewisse Reife vorausgesetzt, den zeitlichen Abstand, aus dem die Filme neu gesehen werden: "Du siehst aus wie 18, und ich glaube Du denkst auch wie 18."