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Hoffen auf das neue Palästina

Jordanien hat über 50 Prozent palästinensischen Bevölkerungsanteil. Die Bindungen zu Palästina sind somit sehr eng; kaum eine Familie, die nicht Verwandte in Palästina hat. Während seit Beginn der Amtszeit Mahmoud Abbas' hinter den Kulissen an einem Konzept für einen Palästinenserstaat gearbeitet, herrscht hier Skepsis. Doch der 48-jährige Adnan al-Asmar glaubt an die Rückkehr.

Von Susanne El Khafif |
    Ortstermin in al-Baqa‘a, eine halbe Autostunde vom Zentrum Ammans entfernt. Al-Baqa‘a wurde 1968 für palästinensische Flüchtlinge errichtet. Mittlerweile hat sich die Siedlung, die noch immer al-muchayyam (Lager) genannt wird, zu einer kleinen Stadt entwickelt: Etwa 300.000 Menschen leben hier, in ärmlichen Verhältnissen, doch immerhin: Die meisten haben Strom und Wasser, eine relativ normale Infrastruktur. Kleine Geschäfte und Werkstätten ziehen sich entlang der Hauptstraße, Fußgänger müssen sich zwischen anfahrenden Bussen, den vielen Taxis und PKW ihren Weg bahnen.

    In al-Baqa’a fallen Fremde auf, Blicke folgen bis in die ruhige Seitenstraße hinein, in der Adnan al-Asmar wohnt: In schmalen einstöckigen Haus in einer Reihe anderer ebenso unscheinbarer niedriger Gebäude. Der Hausherr selbst öffnet die Tür, freundlich reicht er die Hand, geleitet dann durch den dunklen Gang in den Salon, den Raum, in dem die Gäste empfangen werden. Erst jetzt – beim Platz nehmen im hellen Raum - wird deutlich, das Adnan al-Asmar nicht sehen kann, der große, jetzt unbeholfen wirkende Mann ist blind. Und wie bei vielen Menschen, die ihr Augenlicht verloren haben, wirkt auch sein Gesicht unbewegt, seine Mimik – ungewollt - verhalten.

    Adnan al-Asmar, 48 Jahre alt, stammt aus der Nähe von Hebron. Die Familie musste vor den Israelis flüchten, Adnan wuchs in al-Baqa’a auf, verbrachte den Großteil seines Lebens in Jordanien. Dennoch ist ihm das Königreich nicht zur Heimat geworden:

    "Wie könnte es denn? Unsere Dörfer, unsere Städte, unser Land Palästina wird besetzt gehalten. Hier in Jordanien lebe ich mit meinen acht Kindern und weiteren acht Familienmitgliedern auf nur 96 Quadratmetern. Doch in Palästina besitze ich Land und ein großes Haus. Ich sage das auch meinen Kindern: Wir haben ein Land. Und wir werden in dieses Land zurückkehren. Israel mag noch 1000 Kriege gewinnen, doch am Ende wird es in einem letzten Krieg besiegt werden."

    Und durch wen?

    "Ach wissen Sie, die Realität in den arabischen Ländern ändert sich derzeit so grundlegend. Alles ist in Bewegung. Keiner weiß doch, was hier in fünf oder zehn Jahren passieren wird."

    Adnan al-Asmar glaubt an die Rückkehr. Wie so viele andere in al-Baqa’a, denen es schlechter geht als den Palästinensern in Jordanien, die sich vollständig integriert haben. Und die sich als Jordanier fühlen, wenn auch mit palästinensischer Herkunft.

    Adnan al-Asmar will zurück, dafür engagiert er sich politisch. Bislang, ohne Probleme dabei zu haben. In der Vergangenheit war das anders gewesen. Adnan war Kommunist gewesen, hatte sich einer nichtmilitanten, doch verbotenen Gruppe angeschlossen. Mehrfach war er deswegen verhört, misshandelt und inhaftiert worden. Im Gefängnis hatte er sein Augenlicht verloren – infolge "unsanfter" Verhörmethoden.

    Jenseits aller politischen Ideologien setzt sich Adnan heute für die Menschen im Lager ein, er klärt auf, spricht vom Recht auf Rückkehr, er verweist auf UN-Resolutionen, spricht immer wieder von der Schaffung eines Staates Palästina. Doch wie fast alle Palästinenser setzt auch er nur geringe Hoffnung in das, was der neue palästinensische Präsident Mahmoud Abbas derzeit auszuhandeln versucht.

    "Mahmoud Abbas wird keinen Staat schaffen können. Zumindest keinen, der gemäß internationalem Recht diese Bezeichnung auch verdiente. Er wird einen Staat möglich machen, wie ihn die Israelis wollen. Dieser Staat wird ein Teil Israels sein und ihm Untertan. Wir werden uns nicht selbst regieren können. Und Palästina wird nicht all das Land umfassen, das palästinensisch ist – noch nicht einmal das Land von 1967. Nein, Mahmoud Abbas wird es nicht schaffen."

    Und dabei tue der neue palästinensische Präsident sein Bestes. Mit Blick auf die dringend anstehenden Reformen. Und mit Blick auf Israel. Er versuche das möglich zu machen, was eben möglich sei. Abbas sei ein Pragmatiker, ein Realist. Und derzeit besitze er auch große Unterstützung – die Waffen schweigen. Die Palästinenser seien bereit zu verhandeln.

    Doch wie lange noch? Angesichts des fortgesetzten Ausbaus jüdischer Siedlungen, angesichts der anhaltenden Repressionen. Adnan beginnt ruhig, wird dann immer bestimmter im Ton:

    "Sollte es Abbas nicht schaffen, bei den Verhandlungen mit den Israelis eine Balance zu finden zwischen Israel und den palästinensischen Gruppen, dann läuft er Gefahr, getötet zu werden. Und dann steht fest: Nach ihm wird es keinen mehr geben, der bereit ist zu verhandeln. Abbas hatte es bereits schwer, er hat auch Gegner. Im Parlament und in al-Fatah. Die erste Regierung, die er vorstellte, wurde abgelehnt."

    Und wie werden die Palästinenser reagieren, wenn eintritt, was Adnan und mit ihm eine Mehrheit befürchten - wenn sie nicht zu ihrem Recht kommen sollten? Haben die Palästinenser eine weitere Option?

    "Die Palästinenser können erneut Widerstand leisten. In all seinen Formen. Sie können kämpfen, auch als Partisanen."

    Und werden sie kämpfen? Ja, sagt er. Und will dem nichts mehr hinzufügen.

    Die Menschen in al-Baqa’a sind so nah und doch so fern dem Land ihrer Sehnsüchte. Nur wenige Kilometer sind es bis zur Grenze. Was die geringe Entfernung angeht, wäre es leicht, Waffen hinüber zu schmuggeln, von al-Baqa’a aus zu operieren. Doch Adnan beteuert, dass das Lager nicht Ausgangspunkt militanter Aktionen ist. Mit Nachdruck schüttelt er den Kopf.
    "Die palästinensischen Gruppen kennen die jordanischen Gesetze, und sie achten und respektieren sie. In Jordanien leben wir als Flüchtlinge ein viel besseres Leben als in allen anderen Ländern. Und unter dem neuen König haben sich unsere Lebensbedingungen sogar noch verbessert."

    Ein Hohelied auf Jordanien, ein Hohelied auf das Königreich der Haschemiten. Eingedenk seiner Erfahrungen in jordanischen Gefängnissen wirken Adnans Worte unglaubwürdig. Ob er die Wahrheit sagt?! Doch, doch, sagt er, das sei die Wahrheit. Er habe keine Angst mehr, die Zeiten hätten sich geändert.
    Aber ist dann die Forderung von Israels Hardlinern, aus Jordanien "Palästina" werden zu lassen, tatsächlich so abwegig? Immerhin sollen doch schon über die Hälfte der Bevölkerung Jordaniens palästinensischen Ursprungs sein. Adnan al-Asmar stutzt. Doch dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht ...

    "Nein", sagt er mit einer Spur Ironie in der Stimme, "nein, das dürfte schwierig werden. Das jordanische Volk wird das nicht akzeptieren. Und auch das palästinensische nicht. Warum auch! Wir sind doch nicht miteinander verheiratet."