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Hoffen auf Erdwärme

Ungarn ist extrem abhängig von Energie-Importen. Die Stromerzeugung, die Industrie und zwei Drittel aller Privathaushalte hängen am Gashahn der russischen Gazprom. Und dieses Gas wird unablässig teurer. Bisher wurde es aus dem Staatshaushalt subventioniert. Dabei gibt es auch andere Möglichkeiten, um an Strom zu kommen. Jan-Uwe Stahr berichtet.

    Festakt im Rathaus von Tamási. Der Bürgermeister der 9000-Einwohner-Stadt und der Vorstand der Budapester Firma Pannergy haben soeben einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Nun ist der Weg frei für die Erschließung eines Schatzes, der 2000 bis 4000 Meter tief unter der Kleinstadt liegt: Bis zu 180 Grad heißes Wasser. Damit will Tamási zukünftig Strom erzeugen, sowie Heizenergie für Wohnhäuser, Gewerbe und Industrie bereitstellen, sagt der 37-jährige Bürgermeister Joszef Ribany:

    "Wir machen uns unabhängiger. Die Energiekosten für unsere öffentlichen Institutionen werden kalkulierbarer. Und es hilft uns bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, denn die Erdwärme ist ein guter Nährboden für neue Unternehmen, weil sie Heizung und Strom zu günstigen Preisen liefern kann."

    Die erneuerbare Energiequelle aus dem Untergrund soll 20-30 Prozent weniger als Erdgas kosten. Tàmasi wird der Beginn sein für eine Energiewende in Ungarn, glaubt György Horuczi, der 56-jährige Entwicklungsdirektor von Pannergy, einem ehemaligen Kunststoff-Hersteller, der sich nun mit der Geothermie auf ein neues Geschäftsfeld gewagt hat.

    "Vielleicht finden Sie es etwas seltsam, dass wir von einer Mission sprechen", sagt Horuczi, aber die die Lage ist dramatisch: Ungarns Energieversorgung ist, wie in keinem anderen Land Europas, abhängig vom importierten Erdgas aus Russland. Doch das wird immer teuerer. Und der Staat kann sich die bisherigen Gas-Preis-Subventionen immer weniger leisten. Eine politische Strategie, die Ungarn mit Hilfe der heimischen Erdwärme aus der Energiefalle befreien könnte, gibt es bisher nicht. Dabei schlummert in der Tiefe ein riesiges geothermisches Potential.

    "Wir sind näher an der Hölle als alle Anderen in Europa", sagt Horuczi. Im Pannonischen Becken, in dem Ungarn und Teile seiner Nachbarstaaten liegen, ist die Erdkruste dünner als anderswo auf dem Kontinent. Das bedeutet: Die Temperaturen im Untergrund steigen kräftiger an. Gleichzeitig gibt es riesige unterirdische Wasserreservoirs. Zusammen genommen ideale Bedingungen für die Nutzung der Geothermie.

    Trotzdem wird diese Energiequelle , abgesehen von Thermalbädern, bisher kaum angezapft. Das sei kein Zufall, sagt Pannergy-Manager Horuczi. Und nennt das Beispiel des ehemals staatlichen Öl- und Gaskonzern Mol, der trotz bester technischer und finanzieller Voraussetzungen kaum Interesse an der Geothermie zeigt. MOL wolle seinen Produkten Öl- und Gas mit billiger Geothermie keine Konkurrenz machen und die Regierung handle ganz nach den Wünschen der Öl-und Gaskonzerne.

    MOL ist einer der größten Steuerzahler. Und die etablierte Energiewirtschaft gilt als einer der wichtigsten Partei-Sponsoren. Fakt ist: Es gibt bisher keinerlei staatliche Unterstützung zur Erschließung der heimischen Geothermie. Keine einheitlichen Regeln für die Bohrkonzessionen und noch nicht einmal genaue Daten über die Vorkommen und Verteilung der thermischen Reservoirs im Untergrund.

    "Keiner konnte uns darüber Auskunft geben, wo wir mit dem Bohrungen beginnen könnten", erinnert sich Horuczi. Deshalb musste das junge Energieunternehmen Pannergy zunächst alle aus der Öl- und Gassuche vorhandenen, öffentlich zugänglichen Datensätze neu auswerten. Sie nach Hinweisen auf die Lage interessanter Heißwasser-Vorkommen neu bewerten. Auf eigene Kosten. Es hat ein Jahr Arbeit und unglaublich viel Geld gekostet, sagt Horuczi, aber nun sind wir Eigentümer einer wertvollen Daten-Basis, die alle möglichen Vorkommen erfasst.

    Nun kann Pannergy mit seinen Bohrungen beginnen. Zunächst in der Kleinstadt Tamási. Dann in zehn weiteren ungarischen Kommunen, die schon Vorverträge für die Erschließung der Erdwärme unterzeichnet haben. Großes Interesse zeigen auch holländische Gewächshausbetreiber, sie suchen dringend günstigere Alternative zum Erdgas und würden gerne nach Ungarn umsiedeln. Leider haben die meisten Ungarn noch immer nicht erkannt, welche Chancen in der Geothermie stecken, sagt Tamásis Bürgermeister Joszef Ribany:

    "Die Situation in Ungarn und Tamási ist äußerst interessant. Aber leider werden die Menschen immer noch irregeführt, durch die Subvention der Gaspreise."