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Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Bei den Parlamentswahlen im Irak am Sonntag stehen sich Amar al-Hakim und Ministerpräsident al-Maliki als Favoriten für den Posten des Regierungschefs gegenüber. Während al-Maliki sich für einen starken Zentralstaat ausspricht, steht sein Herausforderer für ein föderales Staatenmodell.

Von Felix de Cuveland | 06.03.2010
    Und wieder hat die Zahl der Anschläge im Irak zugenommen. Morgen sollen die Iraker ein neues Parlament wählen. Die Bilder an den Anschlagsorten ähneln sich, es gibt Tote, es gibt Verletzte, es gibt Zerstörung. Doch an das Leid können sich die Menschen nicht gewöhnen. Hissam al-Khoury, Schuldirektor in Bagdad:

    "Noch immer herrscht Gewalt. Völlig unbeteiligte Menschen werden getötet. Wenn es keine echte Versöhnung im Irak gibt, wird die Gewalt weitergehen."

    Versöhnung - das wollen fast alle. Endlich die Zeit der Gewalt hinter sich lassen. Doch die Hoffnung, dass die Parlamentswahl etwas zum Besseren wenden könnte, ist nicht allzu groß. "Demokratie" ist für viele Iraker immer noch ein ziemlich abstrakter Begriff. Sicherheit, elektrischer Strom, Wasser - und Schulen für die Kinder: Das ist es, was die Menschen beschäftigt, tagtäglich. Issam al-Chalabi, früherer Ölminister:

    "Die Stromversorgung ist schlecht. Viele Iraker haben kein sauberes Trinkwasser. Es fehlt an allen Ecken und Enden - und auf diesem Nährboden breitet sich die Korruption aus."

    Auch das Parlament ist nicht gerade für effektive und überzeugende Arbeit bekannt. Im Gegenteil: Tumult, Handgemenge, Geschrei. Szenen wie diese sind nicht selten im irakischen Parlament. Saleh al-Mutlaq vom sunnitischen Parteienbündnis "Iraqija":

    "Jeder will das Land regieren, aber keiner hat die dazu nötige Erfahrung. Und keiner weiß um die politischen Ziele."

    Rund 6200 Kandidaten treten an bei dieser zweiten Parlamentswahl seit dem Sturz Saddam Husseins; 300 Parteien, Parteienbündnisse und Einzelpersonen.

    Stimmberechtigt sind 15 Millionen der 27 Millionen Iraker. Es ist eine gewaltige organisatorische Arbeit, die die irakische Wahlkommission zu leisten hat, aber sie hat Erfahrung - von der Parlamentswahl 2005 und den Provinzwahlen 2009.

    Auch im Ausland kann gewählt werden. Schätzungsweise zwei Millionen irakische Flüchtlinge und Vertriebene leben in anderen Ländern. In 16 Staaten haben sie Gelegenheit zur Stimmabgabe, darunter Jordanien und Syrien, Deutschland, die Türkei und die USA. Binnenflüchtlinge - ihre Zahl wird auf zweieinhalb Millionen geschätzt - müssen diesmal nicht in ihre Heimatprovinz zurückkehren, sie können ein Wahllokal an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort im Irak besuchen.

    Hauptakteure sind mehrere große Parteienbündnisse. Gute Aussichten, die stärkste Fraktion im neuen Parlament zu werden, hat der schiitisch dominierte Block "Irakische National-Allianz" von Amar al-Hakim. Er stammt aus einer der wichtigen Gelehrtenfamilien im Irak, aus der - den Schiiten - heiligen Stadt Najaf, zugleich gilt er als einer der wichtigsten Geschäftsleute des Südirak.

    Politisch war die Bewegung über Jahrzehnte im Iran zu Hause, wurde einst als Widerstandsbewegung gegen Saddam Hussein von Teheran unterstützt. Amar al-Hakim an ihrer Spitze verkörpert bei aller Kontinuität eine neue Generation, er ist weltoffen und geschickt im Umgang mit den Medien. Er macht sich stark für einen föderalen Staat, für ein bundesstaatliches Zukunftsmodell Irak.

    Amar al-Hakims Hauptkonkurrent ist der amtierende Ministerpräsident Nouri al-Maliki, dessen ebenfalls schiitische "Dawa-Partei" sich mit einer Reihe anderer Parteien und auch mit sunnitischen Politikern zu einem Wahlbündnis namens "Rechtsstaat" zusammengeschlossen hat - was selbst seine Gegner anerkennen. Der 59-jährige, stoppelbärtige, immer etwas mürrisch aussehende Regierungschef präsentierte sich im Wahlkampf als Garant für Sicherheit. Er steht - anders als sein Konkurrent - für einen zentralen Staat Irak. Nur eine starke Führung in Bagdad, so al-Maliki, könne den Zerfall des Landes aufhalten. Das kam schon bei den Provinzwahlen 2009 gut an, wo er prompt hohe Gewinne einfahren konnte. Der ehemalige Minister Issam al-Chalabi:

    "Die Provinzwahlen vom vergangenen Jahr haben eins gezeigt: Die Leute haben die Nase voll von den religiös ausgerichteten Parteien, die nur ihre eigenen Teilinteressen im Auge haben. Nouri al Maliki hat da so gut abgeschnitten, weil er mit dem Versprechen angetreten ist, die Iraker miteinander zu versöhnen. Er hat Sicherheit versprochen, er ist gegen die Milizen aller Seiten vorgegangen und er hat sich gegen die "Sektierer" gewandt, also gegen die, denen der Gesamtsstaat Irak egal ist. Das Problem ist nur: Er hat seine eigenen Versprechen nicht gehalten. Jetzt, kurz vor der Wahl des neuen nationalen Parlaments, versuchen Maliki und die religiösen Schiiten-Parteien plötzlich, die Konkurrenz der neuen, überkonfessionellen Kräfte auszuschalten. Mit dem Vorwurf, sie seien Anhänger der verbotenen alten Baath-Partei Saddam Husseins, sollen sie von der Wahlteilnahme ausgeschlossen werden."

    Vor allem die mehrheitlich sunnitische Irakische Nationalbewegung "Iraqija" fühlt sich von diesem Ausschlussverfahren betroffen, nachdem ihrem Spitzenpolitiker Saleh al-Mutlaq die Teilnahme untersagt wurde. Insgesamt sperrte die sogenannte "Gerechtigkeitskommission", die die politische Vergangenheit der Kandidaten durchleuchtet, rund 400 Bewerber. Al-Mutlaq reagierte empört. Er sei, sagt er, schon in den 70er-Jahren aus der Baath-Partei ausgetreten. Von einem abgekarteten Spiel schiitischer Politiker spricht al-Mutlaq und ergeht sich in dunklen Andeutungen, die nichts Gutes ahnen lassen:

    "Die Sunniten spüren jetzt, dass sie nicht an der Regierung dieses Landes beteiligt werden. Deshalb werden sie sich wehren, deshalb werden sie kämpfen. Sie werden kämpfen. Wenn nicht heute, dann morgen."

    Die Kandidatensperre spaltet das Land. Wie repräsentativ ist die Wahl jetzt noch? Manche arabischen Sunniten sprechen von einer politischen Hexenjagd. Boykottieren - wie 2005 - wollen sie die Wahl aber nicht.

    Schaut man genau hin, welche Kandidaten von dem Ausschluss betroffen sind, so erkennt man, dass es vor allem säkulare Politiker getroffen hat - also diejenigen, die nicht konfessionell orientiert sind - gleich, ob sunnitisch oder schiitisch. Es wurden sogar mehr Schiiten als Sunniten gesperrt, was aber - für sich genommen - nicht viel besagt. Entscheidend ist, dass die Sunniten gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent überproportional betroffen sind - und ihre beiden Spitzenpolitiker Saleh al Mutlaq und Dhafir Ani nicht antreten dürfen. Das wird Folgen haben, fürchtet auch Ex-Minister al-Chalabi:

    "Diese Leute, denen man versprochen hat, sie an der Macht zu beteiligen und sie in den politischen Prozess einzubinden, werden nun vor den Kopf gestoßen. Das kann dazu führen, dass die Gewalt mit aller Wucht wieder ausbricht. Das muss einem Sorgen machen."
    Eine Gewalt, die aus dem Gefühl geboren wurde, keine Chance in einem künftig schiitisch dominierten Irak zu haben. Zwar ging die Zahl der Anschläge in den vergangenen drei Jahren zurück, aber verschwunden ist die Gewalt keineswegs. Im Gegenteil: Wenn die Anschläge in Bagdad, in Mossul, in der Provinz Anbar stattfinden, dann ist das Ausmaß der Zerstörung heute besonders groß. Das prägt den Alltag der Menschen - auch wenn die blutigen Ereignisse inzwischen nur noch selten für Schlagzeilen sorgen.

    "In den vergangenen Monaten hat es etliche Anschläge in der Provinz Anbar gegeben. El Kaida versucht, in einigen Städten wieder Fuß zu fassen, aber es gelingt ihnen nicht","

    … glaubt ein amerikanischer Militärsprecher. Noch stehen fast 100.000 US-Soldaten im Land. Ende nächsten Jahres sollen sie - so besagt es das irakisch-amerikanische Sicherheitsabkommen "SOFA" den Irak komplett verlassen haben. Die Sicherheitslage sei zwar weit besser als in den ersten Jahren nach dem amerikanisch-britischen Einmarsch von 2003, sagt Regierungschef al-Maliki, doch er warnt davor zu glauben, dass die Gewalttäter bereits besiegt seien:

    ""Sie wollen den Irak ins Chaos stürzen. Ich appelliere an alle Iraker: Vergießt nicht das Blut Eurer Landsleute. Niemand darf in diesem Land Gewalt anwenden, um Konflikte zu schüren."

    Al-Maliki hat sich im Laufe der letzten Jahre beachtliches Ansehen in der Bevölkerung erarbeitet. Als er im April 2006 als neuer Regierungschef antrat, galt er als schwach, den einen als Marionette der USA, den anderen als Marionette des schiitischen Regimes im benachbarten Iran. In den knapp vier Jahren seiner Amtszeit hat er die Iraker eines Besseren belehrt. Der Zentralist, der Wert auf gute Beziehungen zu Teheran legt, zugleich aber auf die irakische Souveränität pocht, zeigte allen Seiten nach und nach die Zähne: machtbewusst und durchsetzungsfähig, auch gegenüber politischen Kräften aus dem eigenen - dem schiitischen - Spektrum. Zielgerichtet brachte er Teile der Geheimdienste unter seine Kontrolle und legte sich mit den "Iraqi Special Operations Forces" und der "Bagdad-Brigade", eigene militärische Spezialeinheiten zu.

    "Die Bagdad-Brigade wird wegen ihrer nächtlichen Razzien gegen Maliki-Kritiker auch 'dirty squad' genannt - die 'schmutzige Truppe'","

    schreibt die Zeitschrift "Middle East" und:

    ""Viele Iraker - vor allem gebildete - fragen sich, ob sich ihr Land in einen Polizeistaat zurückentwickelt."

    Andere wiederum schätzen gerade diesen autoritären Führungsstil - überzeugt davon, dass nur ein starker Regierungschef in der Lage ist, die innen- und außenpolitischen Probleme wirksam anzupacken.

    Begleitet werden die Wahlen auch diesmal von scharfen Sicherheitsvorkehrungen. 14 Armeedivisionen und Hunderttausende Polizisten und Angehörige von Spezialeinheiten werden Wähler und Wahllokale schützen. Vom 6. bis 8. März gilt landesweit eine nächtliche Ausgangssperre. Der Luft-, See- und Straßenverkehr ist eingeschränkt.

    Damit sollen Gewalttaten nach Möglichkeit verhindert werden. Dabei ist die Sicherheitslage regional sehr unterschiedlich. "Hot Spots" - Gebiete mit hoher Gewalt - sind vor allem Bagdad und ethnisch gemischte Städte wie Mossul. Unverändert ruhig ist dagegen der weitgehend selbst verwaltete kurdische Norden. Die dominierenden Parteien dort, die KDP und die PUK, haben sich zum Bündnis Kurdistan-Allianz zusammengeschlossen - und setzen sich für möglichst viel Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Bagdad ein. Da schimmert natürlich der alte Traum von einem eigenen Kurdenstaat durch. Der ölreiche Großraum Kirkuk, so die kurdische Allianz, sollte der Zuständigkeit Bagdads entzogen und der eigenen, der Kurdenregion, zugeschlagen werden.

    Im Zentralirak fürchten die Menschen dagegen um ihre Sicherheit. Doch es ist nicht nur die angespannte Sicherheitslage, die das Leben erschwert. Viele Menschen machen sich Sorgen über den wachsenden Einfluss Irans, der auch das Alltagsleben prägt. Der Journalist Ahmed Sabri von der kuwaitischen Zeitung "Al Watan".

    "Zwischen vielen der Regierenden im Irak und der Führung im Iran gibt es enge Beziehungen. Die Menschen im Irak spüren den iranischen Einfluss überall. Nehmen Sie die Währung: In einigen Gegenden im Süden des Irak wird mit iranischer Währung bezahlt. Viele Iraner kommen in den Irak, vor allem in Städte mit schiitischen Heiligtümern wie Nadjaf, Kerbala und Samarra. Und die Märkte Iraks werden überschwemmt mit iranischen Billigwaren."

    Dabei agiert Teheran vorsichtig - und setzt vor allem darauf, die schiitische Mehrheit im Nachbarland finanziell, kulturell und wirtschaftlich zu umgarnen. Das muss nicht so bleiben: Sollten Israel oder die USA im Atomstreit iranische Anlagen angreifen, könnte der Iran seinerseits versuchen, den Irak zu destabilisieren. Die "Badr-Brigaden", die große schiitische Miliz im Irak, ist im Iran aufgebaut worden. Misstrauisch beobachten die sunnitisch geprägten arabischen Nachbarregierungen die Entwicklung. US-Botschafter Christopher Hill:

    "Es ist wirklich die Frage: Ob eine Region, die von Regierungen sunnitischer Staaten beherrscht wird, ein arabisches Land akzeptieren wird, das voraussichtlich von Schiiten geführt wird? Ob die Nachbarländer dazu bereit sind."

    Die sunnitischen Staaten zweifeln an der Verlässlichkeit al-Malikis. Der war in den vergangenen Jahren auch nicht immer der Liebling Washingtons - ein schiitischer Ministerpräsident, der häufig den Kontakt mit der Führung Irans sucht. Doch anders als im Westen oft vermutet wird, stammen die meisten ausländischen Untergrundkämpfer nicht aus dem Iran, sondern aus einem Staat, mit dem die USA verbündet sind: dem sunnitischen Saudi-Arabien. Saudi-Arabien seinerseits hat ein Interesse daran, zu verhindern, dass der Irak ins Fahrwasser des Iran gerät, des großen Konkurrenten im regionalen Machtpoker.

    Und die Grundprobleme des Irak sind weiter ungelöst. Was ist mit den offenen Rechnungen der Vergangenheit - Entführungen, Morde, Vertreibungen? Wird es - und kann es - eine nationale Versöhnung geben? Wie können die Streitereien zwischen irakischen Arabern und Kurden zum Beispiel um die ölreiche Stadt Kirkuk gelöst werden?

    Und: Wird die Gewalt im sunnitischen Dreieck nördlich von Bagdad wieder aufflammen, wenn die Regierung entgegen ihren Versprechen annähernd hunderttausend Kämpfer der überwiegend sunnitischen Sahwa-Milizen auf der Straße sitzen lässt - anstatt ihnen Jobs in den Sicherheitskräften und im Staatsdienst zu geben? Milizen, die rund zwei Jahre lang von den USA bezahlt wurden - im Kampf gegen El Kaida. Nur ein Bruchteil dieser Milizionäre konnte bislang in den irakischen Sicherheitskräften unterkommen. Jetzt fühlen sich die Sahwa-Kämpfer im Stich gelassen. Der US-Oberkommandierende im Irak, General Odierno, fasst die Haupthürden, die genommen werden müssen, zusammen:

    "Es gibt noch immer eine Menge ungelöster Probleme, die angepackt werden müssen: Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen, arabisch-kurdische Spannungen, Konflikte innerhalb der schiitischen Gemeinschaft, Probleme zwischen Sunniten und Schiiten - das muss alles aufgearbeitet werden. Diese Konflikte sind genau die Themen, die bei der Parlamentswahl jetzt im Mittelpunkt stehen."

    Es sind die wichtigsten irakischen Wahlen seit dem Sturz Saddam Husseins. Nach Abzug der amerikanischen Truppen wird sich die künftige Regierung behaupten müssen - im Spannungsfeld zwischen den USA, der Türkei und Iran, sowie den sunnitisch-arabischen Staaten, darunter auch Syrien. "Immer, wenn in Bagdad, Mossul oder anderswo eine Bombe hochgeht", sagt Makki Nazzal, irakischer Zeitungs- und Fernsehjournalist, "immer beschuldigen wir dann das Ausland."

    "Diesmal ist es Syrien, nächstes Mal Jordanien, übernächstes Mal Saudi-Arabien. Es wird viel geredet im Irak - und es ist eine verdammte Schande, was da ohne verlässliche Beweise behauptet wird."

    Vor allem Syrien saß in den vergangenen Monaten auf der Anklagebank. Damaskus drücke beide Augen zu, wenn alte Gefolgsleute Saddam Husseins vom syrischen Exil aus die Gewalt anheizten, behauptete die Regierung al-Maliki nach den schweren Anschlägen vom Spätsommer und Herbst 2009. Reem Haddad vom syrischen Informationsministerium setzt dem entgegen:

    "Warum sollten wir das tun? Wenn es Unruhe im Irak gibt, wenn es dort keine Stabilität und Sicherheit gibt, kann das leicht auf die Nachbarländer übergreifen. Und das wollen wir nicht."

    Immer, wenn es um die Zukunft der irakischen Kurden geht, ist auch die Türkei mit von der Partie. Joost Hilterman von der unabhängigen "International Crisis Group", deren Experten die Entwicklungen weltweit beobachten und analysieren:

    "Die Türkei lehnt die Entstehung eines eigenständigen Kurdenstaates ganz entschieden ab. Wenn Kirkuk in die Kurdenregion einbezogen würde, wäre das aus türkischer Sicht ein Meilenstein auf dem Weg zur kurdischen Unabhängigkeit. Zugleich muss man sehen, dass die Türkei sehr viel Geld in Irakisch-Kurdistan investiert hat. Das ist eine Art Versuch, diese Region wirtschaftlich unter türkische Kontrolle zu bekommen."

    Und so wirken sich die regionalen Spannungen und internationalen Kräfteverhältnisse direkt auf die Stabilität des Iraks aus. Damit ist klar, dass Militär und Polizei allein die Sicherheitsfrage nicht lösen können; zumal sie sich in einem Zustand befinden, der das unmöglich zu machen scheint. Saleh al-Mutlaq, der von der Wahl ausgeschlossene sunnitsche Politiker:

    "Wir haben jetzt eine Million Soldaten und Polizisten im Irak. Das Problem ist das Chaos in der Verwaltung. Die Regierung hat keine Erfahrung, wie man ein Land regiert. Verschiedenste Behörden sind für die Sicherheit zuständig. Verbesserungen kann es bei einem derartigen Missmanagement nicht geben. Das gleiche gilt für Wirtschaft und Landwirtschaft."

    Kompetenzwirrwarr und unzuverlässige Sicherheitskräfte: Die Anschläge vom Herbst vergangenen Jahres, als in Bagdad das Wirtschafts-, das Außen- und das Justizministerium und die Provinzverwaltung verwüstet wurden und mehr als 350 Menschen starben, haben es wieder gezeigt.

    Mehr Transparenz müsste her, mehr Kontrolle - so wurde gefordert. Eine erste Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist die Änderung des irakischen Wahlrechts. Anders als 2005 stehen jetzt die Namen der Kandidaten auf den Stimmzetteln. Damals konnte man nur Parteien und Parteibündnisse ankreuzen. Die neuen, sogenannten "offenen Listen" ermöglichen es den Wählern, korrupte und unfähige Politiker direkt abzustrafen und anderen, die keine politische Hausmacht haben, eine Chance zu geben. Überdies können die offenen Listen dazu beitragen, konfessionelle und ethnische Strukturen aufzubrechen. Das würde dem Wettbewerb der politischen Ideen nur zugutekommen.

    Und das ist bitter nötig, denn die Parteiprogramme und öffentlich formulierten Zielvorstellungen sind dürftig. Zwar bekennen sich die großen Parteien und Bündnisse stärker als früher zum Gesamtstaat und zur Einheit des Landes. Aber zur Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik sind kaum konkrete Aussagen zu finden. Dabei ist es gerade das, was den Menschen unter den Nägeln brennt: die schlechte Versorgungslage, das Fehlen von Strom und Wasser, die Misere an Schulen und Universitäten.

    Wie wird es weitergehen im Irak? Wen wird das nächste Parlament zum Regierungschef küren? Es wird wohl auf al-Hakim oder al-Maliki hinauslaufen. Zum Zünglein an der Waage könnten die Kurden mit ihrem Wahlbündnis Kurdistan-Allianz werden. Unklar ist, ob die Vertreter der sunnitischen Minderheit beteiligt werden. Der Ausschluss ihres populärsten Politikers, Saleh al-Mutlaq, ist da kein gutes Vorzeichen. David Mack, Vizepräsident des unabhängigen "Middle East Institute" in Washington:

    "Das schlimmste Szenario sieht so aus, dass die sunnitischen Araber wie bei der Wahl 2005 zu der Meinung gelangen, sie würden um ihre Wahlchancen betrogen. Das könnte dann zu Gewaltakten gegen die Regierung und gegen schiitische Zivilisten führen. Wir hätten dann wieder eine Spirale ethnischer Gewalt zwischen den Volksgruppen wie bereits 2005. Die USA werden auf jeden Fall ihre Truppen abziehen, das hat Vizepräsident Biden den irakischen Führern unmissverständlich klargemacht. Er hat ihnen gesagt, dass sie nun selbst die Verantwortung übernehmen müssen."

    Die künftige Regierung wird also viel Kraft brauchen, um die auseinanderdriftenden Kräfte im Inneren zu bändigen. Wird sie dafür stark genug sein? Ahmed Sabri, der Journalist, ist skeptisch:

    "Die USA haben den Irak entscheidend geschwächt. Im Endeffekt haben sie das Land auf diese Weise dem großen Nachbarn Iran auf einem goldenen Tablett serviert. Was nun geschieht, haben die Amerikaner nicht mehr in der Hand."