Wir sind das Volk. Nicht mehr Ratsiraka!
Der Madagasse Jean Marie Ravelson hat die Leipziger Montagsdemonstrationen hautnah miterlebt.
Ich habe das ganz gut erlebt. Ich war damals in Leipzig, bin teilweise mitmarschiert. Bei den Montagsdemonstrationen und war mittendrin sozusagen.
Ravelson hat in der ehemaligen DDR studiert. Die friedliche Revolution der Bürgerrechtler und der Kirchen in der DRR hat ihm jetzt, 13 Jahre später Mut gemacht, Mut für den friedlichen Befreiungskampf auf Madagaskar.
Ich habe festgestellt, dass es viele Analogien mit der Bewegung hier in Madagaskar gibt. Mit den Leipziger Demos. Und mit den Demos, die hier auf dem Platz des 13. Mai stattgefunden haben.
Spurensuche im Verkehrschaos von Tana.
Jean-Marie Ravelson, der madagassische Bürgerrechtler führt uns auf den Platz des 13. Mai. Ein geschichtsträchtiger Platz:
Auf diesem Platz fand immer Volksbewegung statt. Die ganzen Demonstrationen fanden hier statt - die meisten gegen Ratsiraka, die letzten 25 Jahre ja.
Doch die Massendemonstrationen auf den Plätzen und Straßen von Antananarivo zu Beginn dieses Jahres sind nicht nur die größten, die Madagaskar je erlebt hat. Sie sind vor allem der Ausdruck eines gewachsenen Demokratiebewusstseins.
Die Zeiten, da Afrikas Potentaten nach Belieben Wähler einschüchtern und Wahlergebnisse fälschen konnten, sind auch auf Madagaskar vorbei.
Insgesamt waren Millionen da. Monate lang, fast drei Monate tagtäglich.
Ja, da sei auf Madagaskar ein ähnlicher Geist spürbar gewesen wie während der friedlichen Revolution in der DDR. Eine "Wir-sind-das-Volk-Stimmung" - sagt der Leipzig-erfahrene Tana-Bewohner Ravelson.
Engagement der Kirchen, riesige Menschenmenge. Die Gewaltfreiheit der Menschen. Die Rufe nach Freiheit und Wahrheit. Wahrheit. Das waren die Hauptpunkte, die parallel gelaufen waren.
In der Hauptstadt Anntannarivo scheinen die Machtverhältnisse bereits zu Jahresbeginn geklärt: Marc Ravalommanana, der Sieger der Präsidentenwahlen wird von den Menschen als Befreier Madagaskars gefeiert. Doch Ravalomananas Kontrahent, der abgewählte Präsident Didier Ratsiraka ist fest entschlossenen, die Hochburg seines erfolgreichen Kontrahenten zu zerstören. Ratsiraka will die Hauptstadt von der Verbindung zur Außenwelt abschneiden und systematisch aushungern.
Ukrainische Söldner, von Ratsiraka angeheuert, erschießen Dutzende von Ravalomannana–Anhängern. Alle großen Brücken im Landesinneren werden gesprengt.
In Algerien und Syrien ordert Ratsiraka Kampfbomber. Und Söldnertruppen aus Frankreich. Madagassische Soldaten werden gezwungen, auf das eigene Volk zu schießen.
Die Armee wurde privatisiert, Gouverneure nahmen sich Teile der Elite-Armee weg, rissen sich unter den Nagel und machten da ein Stück Terrorherrschaft.
Klaus Treydte, Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung auf Madagaskar, wird Augenzeuge der letzten brutalen Zuckungen des Ratsiraka-Regimes.
Es wurden Brücken gesprengt, es wurde ja auch wahnsinnig viel Geld aus der Staatskasse geraubt. Obwohl die Zentralbank geschlossen hatte, ging der Premierminister mit einem Wagen und Bodyguards rein und kam mit Säcken wieder raus: Er ist ein kleiner Bankräuber gewesen.
Am Morgen des 5. Juli ist der sechsmonatige Machtkampf auf Madagaskar endgültig entschieden.
Ratsiraka flieht gemeinsam mit seiner Familie und seinen engsten politischen Getreuen zunächst auf die Seychellen. Und von dort weiter nach Paris. Der Despot besitzt einen französischen Pass. Und – wie zahlreiche afrikanische Diktatoren vor ihm - ein fürstliches Anwesen in Frankreich. Er werde nach Madagaskar zurückkehren, teilt Ratsiraka den Journalisten mit. Vorausgesetzt, es gebe demokratische Wahlen, fügt er zynisch hinzu.
The former president of Madagascar has indicated that he could return if new elections are called. He was speaking in Paris where he arrived on Sunday with members of his family and political colleagues. He was coming from the Seychelles where Ratsiraka was taken refuge.
Ratsiraks Ankündigung, eines fernen Tages vielleicht wieder nach Madagaskar zurückzukehren, lässt den neuen Präsidenten keine Sekunde ruhen. Auf dem Rücksitz seines gepanzerten Mercedes kontert Marc Ravalomanana per Handy in einem Hörfunkinterview.
Keine Chance, es ist aus und vorbei. Marc Ravalomannana lässt keinen Zweifel: Für seinen Gegner, der Madagaskar monatelang einen Bürgerkrieg aufzwang, gibt es in dem Inselstaat keine Zukunft. Die Ratsiraka-Epoche ist endgültig zuende.
Wir kontrollieren jetzt das ganze Land, betont der neue Staatschef. Monatelang war Ravalomananas Machtbereich auf die Hauptstadt beschränkt. Nach Ratsirakas Flucht ist der demokratisch gewählte Marc Ravalomanana nicht nur auf dem Papier, sondern auch de facto der Präsident von ganz Madagaskar.
Die Lebensbedingungen für alle Madagassen will er radikal verbessern.
Ravalomanana will das Armenhaus Madagaskar in eine Insel bescheidenen Wohlstands verwandeln. Mit florierenden Freihandelszonen und großen Textilfabriken. Mit gesteigerten Vanille– und Sandelholzexporten. Madagaskars wertvolle blaue Steine, die Saphire, sollen ab sofort nicht mehr in die Taschen der Mächtigen wandern. Sondern internationale Investoren anlocken.
Weltbank und Europäische Union helfen uns beim Wiederaufbau sagt Ravalomanna. Mehr als 570 Millionen Euro kommen von der Europäischen Union. 2,4 Milliarden US-Dollar werden im Juli bei einer internationalen Geberkonferenz in Paris für den Aufbau Madagaskars zugesagt.
15 000 Kilometer Straßen will Ravalomannana mit Hilfe der Weltbank in nur 3 Jahren bauen. Ohne Infrastruktur kein Binnenhandel, ohne Binnenhandel keine Chance für Madagaskar heißt Ravaomannanas Devise.
Zeit für den Wechsel, verkündet der neue Präsident, der sich in Interviews gerne des Englischen bedient, obwohl er es nur in Ansätzen beherrscht.
Wir sind das Armenhaus der Welt, zählt zu den englischen Standardsätzen des neuen Präsidenten. Bisher artikulierten sich die Herrscher Madagaskars überwiegend in malgasch oder bedienten sich des Französischen, der Sprache der ehemaligen Kolonialherren. Doch Ravalomanana will die Insel aus der französischen Umklammerung befreien. Englisch wird auf Anweisung des Präsidenten ab sofort an allen madagassischen Grundschule Pflichtstoff.
Es ist Zeit für den Wechsel, Zeit für einen radikalen Neubeginn, das war Ravalomananas Wahlkampfdevise. Jetzt muss der millionenschwere Molkereiunternehmer zeigen, dass er nicht nur sein Firmenimperium beherrscht. Sondern auch in der Lage ist, die viertgrößte Insel der Welt vor dem völligen wirtschaftlichen Ruin zu retten.
Der dreißigjährige Edmond aus Antananarivo ist einer von denen, die für Ravalomanana auf die Straße gingen. Für die der neue Präsident die Chiffre für eine bessere Zukunft ist.
Verzweifelt quält Edmond eine 30 Jahre Deux-chevau durch die engen und steilen Gassen von Antannarivo. 2 Liter Benzin im Tank, ein Liter Reserve in der Milchflasche auf dem Beifahrersitz der Ente. Das muss reichen.
Ich bin eigentlich Elektriker, habe in einer der großen Textilfabriken in der Freihandelszone von Tana gearbeitet. Doch wir wurden alle entlassen, insgesamt über 100 000 Arbeiter. Sie wissen schon, wegen des Bürgerkrieges, wegen der Krise unseres Landes.
Um zu überleben, arbeitet Edmond jetzt als Taxifahrer. Einen Führerschein besitzt er nicht, vor 2 Wochen hat er sich zum ersten Mal hinter das Steuer eines Autos gesetzt.
Ich weiß nicht recht. Ich bin noch ein ganz unerfahrener Fahrer. Kuppeln, Gang kommen lassen, ich muss mir das noch selber beibringen, ohne dass meine Fahrgäste es allzu stark merken. Ich muss schließlich Geld verdienen. Habe drei Kinder. Ich muss etwas machen.
Nach halsbrecherischer Fahrt erreichen wir den Sportflughafen von Tana. Die staatliche Fluggesellschaft Air Madagaskar hat alle Inlandsflüge wegen Geld- und Kerosinmangels gestrichen. Gleichzeitig sind viele Straßen im Landesinneren unpassierbar. Ganze Teile Madagaskars sind von der Außenwelt abgeschnitten.
Um die Hungerzentren der riesigen Insel trotzdem versorgen zu können, hat die Deutsche Welthungerhilfe an diesem Tag eine kleine Propellermaschine gemietet. Riesige Kartons mit Babyflaschen und angereichertem Milchpulver werden in den äußersten Südosten der Insel geflogen, in die Kleinstadt Farafangana. Farafangana heißt wörtlich...
... das Ende der Reise, gemeint ist in diesem Fall: das Ende der Welt. Vor dem Start spricht der Pilot ein kurzes Gebet.
For the safety of today’s flight, we pray in Jesus’ Name: AMEN!
Drei Stunden lang fliegen wir über die bizarren Gebirgszüge des madagassischen Hochlandes, gleiten über riesige Reisterassen. Und über die letzten Trocken-, Regen- und Dornenwälder Madagaskars. 90 Prozent aller madagassischen Wälder sind bereits für immer vernichtet. 200 000 Hektar gehen jedes Jahr in Flammen auf. Brandrodung. Der Bevölkerungsdruck ist einfach zu stark. Unser Pilot sieht die Verwüstung jeden Tag aus der Flugzeugkanzel.
Es ist sehr viel Zerstörung zu sehen, also ich sehe jeden Tag Hunderte von Bränden.
Die weltweit einmalige biologische Schatzkammer Madagaskar ist in höchster Gefahr. 80 Prozent aller madagassischen Tier- und Pflanzenarten gibt es ausschließlich auf dieser Insel.
Ob die legendären Lemuren-Halbaffen mit ihrem dichten goldbraunen, weißen oder schwarzen Fell. Ob das so genannte Fingertier mit dem lustigen Namen Aye-Aye. Oder die elegante Fossa-Schleichkatze. Sie alle sind nur hier in freier Natur zu finden. Madagaskar hat sich vor 160 Millionen Jahren vom afrikanischen Festland abgespalten. Und seither liegt die riesige Insel, deren Umriss einem Gigantischer Fußabdruck ähnelt, 400 Kilometer vor der Küste Ostafrikas. Ein biologisches Raritätenkabinett. Inmitten des indischen Ozeans.
Die Zeit der Stoßgebete ist zuende. Wir landen auf dem Mini-Flughafen von Farafangana.
Enthusiastisch begrüßt uns Tussaint Raharison, der Dorfälteste.
Französisch oder malgasch, wie hätten sie es denn gern, fragt der 80-jährige lächelnd.
Jeden Tag arbeiten wir hier! Reinigen die Abwasserkanäle der Stadt. Die Leute von der Welthungerhilfe geben uns dafür zu essen, Reis zum Beispiel und Bohnen.
Die Rede des Dorfältesten geht im Jubel der Frauen von Farangana unter.
Die Deutsche Welthungerhilfe ist hier die einzige Rettung. Denn im Hinterland von Farafangana hungern die Menschen. Wirbelstürme, so genannte Zyklone, haben zahlreiche Reisefelder und Häuser zerstört. Es gibt keine Arbeit, kein Geld. Die Märkte sind fast leer. Die meisten Menschen hier sind Kaffeebauern. Doch die grünen Bohnen bringen wegen der katastrophalen Weltmarktpreise nur noch Verlust.
Viele Kinder sind nur noch wandelnde Gerippe. Caroline Peyre-Koch von der deutschen Welthungerhilfe ist durch die Dörfer gegangen, hat die Zahl der unternährten Kinder genau erfasst.
Wir haben Zahlen von 20-24 Prozent in der Region. Das sind Zahlen, die mit Somalia vergleichbar sind.
Die Expertin der Deutschen Welthungerhilfe, gerade aus Deutschland nach Farafangana eingeflogen, ist sichtlich schockiert. Jeden Tag sieht sie:
5 Jahre alte Kinder, die weder sprechen noch gehen können!
Seit über 4 Jahren ist die deutsche Welthungerhilfe in diesem Teil Madagaskars präsent. Als einzige internationale Hilfsorganisation. Ein Sisyphuskampf.
Das Krankenhaus von Farafangana haben die Deutschen mittlerweile in ein Nothilfezentrum für unterernährte Kinder umgerüstet. Kein einfacher Akt. Denn früher wurden hier Cholera-Kranke gepflegt. Das Krankenhaus galt als unrein, war tabu. Caroline Peyre–Koch musste ein Zebu, ein madagassisches Buckelrind opfern.
Wir mussten wirklich eine Zeremonie veranstalten - mit den Dorfältesten, mit Zebu Schlachten, eine richtige Zeremonie - und das ganze Krankenhaus desinfizieren.
Das Spezial-Milchpulver, gerade frisch aus Tana eingeflogen wird in Windeseile zubereitet. Infusionen vorbereitet Viele Kinder müssen künstlich ernährt werden.
Tana, bitte kommen, bitte kommen. Per Funk versuchen die Menschen von Farafangana, Kontakt zur Hauptstadt Tana zu halten.
Habt ihr Zyklonwarnungen für Farafangana? Müssen wir uns vor den mörderischen Stürmen ins Inselinnere flüchten? -eine der Standardfragen im Südosten von Madagaskar.
Keine Gefahr, die Meteorologen geben Entwarnung. Auf dem Weg zurück zum Flugplatz treffen wir einen Mann mit einem blütenweißen T-Shirt: darauf gedruckt das Photo des neuen Präsidenten.
Ja, sagt der Mann Ravalomannana, der sei ein Guter. Nicht nur in der Hauptstadt. Auch in den Küstenprovinzen setzen viele Menschen große Hoffnung auf den neuen Mann an der Staatsspitze.
Die einzigen, die keine Hoffnung haben sind die, die mit der alten Regierung Händchen gehalten haben. Alle anderen sind schwer begeistert,...
...schwärmt unser Pilot, der seit fünf Jahren auf Madagaskar lebt.
Wenn ich die Wahl hätte, würde ich den auch für Deutschland wählen, (lacht). Das ist so.
Wer es wie Ravalomannana auf Madagaskar aus eigener Kraft vom Bauernsohn zum Multi-Millionär bringt, der kann auch die ganze Insel von der Armut erlösen, hoffen viele. Ravalomannana, so erinnert sich sein Anhänger Jean Marie Ravelson:
Er war ja früher Milchverkäufer auf der Straße. Mit einem Fahrrad hat er Milch verkauft. Kuhmilch.
Dann hat er die Milch pasteurisiert und haltbar gemacht. H-Milch gab es vorher nicht auf Madagaskar. Ebenso wenig wie Ravalomannanas Erfolgsprodukt Yoghurt. Und jetzt will der innovative Milch-Mogul das ganze Land im Zeitraffertempo nach vorne bringen. Madagaskar zählt zu den korruptesten Staaten der Welt. Ravalommannana hat deshalb als erstes die erbärmlichen Ministergehälter verzehnfacht. Das soll gegen Bestechung immunisieren. Wer jetzt noch abkassiert, der fliegt.
Der monatelange Bürgerkrieg hat Madagaskars Hotelindustrie ruiniert. Schiffe lagen vor Madagaskar. Und hatten zwar nicht die Pest an Bord. Aber gesperrte Häfen vor Augen. Doch dieser Alptraum ist vorbei. Madagaskar lockt jetzt mit menschenleeren Traumstränden. Tourismusexperten aus der Bundesrepublik feilen an einem ökologisch verträglichen Masterplan. Doch kaum noch eine Airline fliegt die Insel an. Präsident Ravalomannana hat deshalb Manager der Lufthansa-Consulting nach Tana geladen. Die Luftfahrt-Experten aus Frankfurt brüten zur Zeit über einem Sanierungskonzept für die marode Air Madagaskar. Eine zweite Direktverbindung nach Europa ist geplant, in direkter Konkurrenz zu Air France.
Die Voraussetzungen für einen Touristenboom sind gut: Die geheimnisvolle Insel der Lemuren ist nicht nur ein Paradies für Zoologen und Biologen. Madagaskar ist auch ein Eldorado für Taucher: Unter dem türkisblauen Wasser des indischen Ozeans liegen die letzten noch völlig intakten Korallengärten der Welt.
Tako i Madagaskara! Ich liebe Madagaskar, dieses Bekenntnis prangt neuerdings auf den T-Shirts vieler Inselbewohner. Tiako i Madagasikara: Keine Phrase, sondern ein Reflex auf eine Revolution vor der Ostküste Afrikas. Madagaskar, die viertgrößte Insel der Welt, hat- die Demokratie erkämpft.
Der Madagasse Jean Marie Ravelson hat die Leipziger Montagsdemonstrationen hautnah miterlebt.
Ich habe das ganz gut erlebt. Ich war damals in Leipzig, bin teilweise mitmarschiert. Bei den Montagsdemonstrationen und war mittendrin sozusagen.
Ravelson hat in der ehemaligen DDR studiert. Die friedliche Revolution der Bürgerrechtler und der Kirchen in der DRR hat ihm jetzt, 13 Jahre später Mut gemacht, Mut für den friedlichen Befreiungskampf auf Madagaskar.
Ich habe festgestellt, dass es viele Analogien mit der Bewegung hier in Madagaskar gibt. Mit den Leipziger Demos. Und mit den Demos, die hier auf dem Platz des 13. Mai stattgefunden haben.
Spurensuche im Verkehrschaos von Tana.
Jean-Marie Ravelson, der madagassische Bürgerrechtler führt uns auf den Platz des 13. Mai. Ein geschichtsträchtiger Platz:
Auf diesem Platz fand immer Volksbewegung statt. Die ganzen Demonstrationen fanden hier statt - die meisten gegen Ratsiraka, die letzten 25 Jahre ja.
Doch die Massendemonstrationen auf den Plätzen und Straßen von Antananarivo zu Beginn dieses Jahres sind nicht nur die größten, die Madagaskar je erlebt hat. Sie sind vor allem der Ausdruck eines gewachsenen Demokratiebewusstseins.
Die Zeiten, da Afrikas Potentaten nach Belieben Wähler einschüchtern und Wahlergebnisse fälschen konnten, sind auch auf Madagaskar vorbei.
Insgesamt waren Millionen da. Monate lang, fast drei Monate tagtäglich.
Ja, da sei auf Madagaskar ein ähnlicher Geist spürbar gewesen wie während der friedlichen Revolution in der DDR. Eine "Wir-sind-das-Volk-Stimmung" - sagt der Leipzig-erfahrene Tana-Bewohner Ravelson.
Engagement der Kirchen, riesige Menschenmenge. Die Gewaltfreiheit der Menschen. Die Rufe nach Freiheit und Wahrheit. Wahrheit. Das waren die Hauptpunkte, die parallel gelaufen waren.
In der Hauptstadt Anntannarivo scheinen die Machtverhältnisse bereits zu Jahresbeginn geklärt: Marc Ravalommanana, der Sieger der Präsidentenwahlen wird von den Menschen als Befreier Madagaskars gefeiert. Doch Ravalomananas Kontrahent, der abgewählte Präsident Didier Ratsiraka ist fest entschlossenen, die Hochburg seines erfolgreichen Kontrahenten zu zerstören. Ratsiraka will die Hauptstadt von der Verbindung zur Außenwelt abschneiden und systematisch aushungern.
Ukrainische Söldner, von Ratsiraka angeheuert, erschießen Dutzende von Ravalomannana–Anhängern. Alle großen Brücken im Landesinneren werden gesprengt.
In Algerien und Syrien ordert Ratsiraka Kampfbomber. Und Söldnertruppen aus Frankreich. Madagassische Soldaten werden gezwungen, auf das eigene Volk zu schießen.
Die Armee wurde privatisiert, Gouverneure nahmen sich Teile der Elite-Armee weg, rissen sich unter den Nagel und machten da ein Stück Terrorherrschaft.
Klaus Treydte, Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung auf Madagaskar, wird Augenzeuge der letzten brutalen Zuckungen des Ratsiraka-Regimes.
Es wurden Brücken gesprengt, es wurde ja auch wahnsinnig viel Geld aus der Staatskasse geraubt. Obwohl die Zentralbank geschlossen hatte, ging der Premierminister mit einem Wagen und Bodyguards rein und kam mit Säcken wieder raus: Er ist ein kleiner Bankräuber gewesen.
Am Morgen des 5. Juli ist der sechsmonatige Machtkampf auf Madagaskar endgültig entschieden.
Ratsiraka flieht gemeinsam mit seiner Familie und seinen engsten politischen Getreuen zunächst auf die Seychellen. Und von dort weiter nach Paris. Der Despot besitzt einen französischen Pass. Und – wie zahlreiche afrikanische Diktatoren vor ihm - ein fürstliches Anwesen in Frankreich. Er werde nach Madagaskar zurückkehren, teilt Ratsiraka den Journalisten mit. Vorausgesetzt, es gebe demokratische Wahlen, fügt er zynisch hinzu.
The former president of Madagascar has indicated that he could return if new elections are called. He was speaking in Paris where he arrived on Sunday with members of his family and political colleagues. He was coming from the Seychelles where Ratsiraka was taken refuge.
Ratsiraks Ankündigung, eines fernen Tages vielleicht wieder nach Madagaskar zurückzukehren, lässt den neuen Präsidenten keine Sekunde ruhen. Auf dem Rücksitz seines gepanzerten Mercedes kontert Marc Ravalomanana per Handy in einem Hörfunkinterview.
Keine Chance, es ist aus und vorbei. Marc Ravalomannana lässt keinen Zweifel: Für seinen Gegner, der Madagaskar monatelang einen Bürgerkrieg aufzwang, gibt es in dem Inselstaat keine Zukunft. Die Ratsiraka-Epoche ist endgültig zuende.
Wir kontrollieren jetzt das ganze Land, betont der neue Staatschef. Monatelang war Ravalomananas Machtbereich auf die Hauptstadt beschränkt. Nach Ratsirakas Flucht ist der demokratisch gewählte Marc Ravalomanana nicht nur auf dem Papier, sondern auch de facto der Präsident von ganz Madagaskar.
Die Lebensbedingungen für alle Madagassen will er radikal verbessern.
Ravalomanana will das Armenhaus Madagaskar in eine Insel bescheidenen Wohlstands verwandeln. Mit florierenden Freihandelszonen und großen Textilfabriken. Mit gesteigerten Vanille– und Sandelholzexporten. Madagaskars wertvolle blaue Steine, die Saphire, sollen ab sofort nicht mehr in die Taschen der Mächtigen wandern. Sondern internationale Investoren anlocken.
Weltbank und Europäische Union helfen uns beim Wiederaufbau sagt Ravalomanna. Mehr als 570 Millionen Euro kommen von der Europäischen Union. 2,4 Milliarden US-Dollar werden im Juli bei einer internationalen Geberkonferenz in Paris für den Aufbau Madagaskars zugesagt.
15 000 Kilometer Straßen will Ravalomannana mit Hilfe der Weltbank in nur 3 Jahren bauen. Ohne Infrastruktur kein Binnenhandel, ohne Binnenhandel keine Chance für Madagaskar heißt Ravaomannanas Devise.
Zeit für den Wechsel, verkündet der neue Präsident, der sich in Interviews gerne des Englischen bedient, obwohl er es nur in Ansätzen beherrscht.
Wir sind das Armenhaus der Welt, zählt zu den englischen Standardsätzen des neuen Präsidenten. Bisher artikulierten sich die Herrscher Madagaskars überwiegend in malgasch oder bedienten sich des Französischen, der Sprache der ehemaligen Kolonialherren. Doch Ravalomanana will die Insel aus der französischen Umklammerung befreien. Englisch wird auf Anweisung des Präsidenten ab sofort an allen madagassischen Grundschule Pflichtstoff.
Es ist Zeit für den Wechsel, Zeit für einen radikalen Neubeginn, das war Ravalomananas Wahlkampfdevise. Jetzt muss der millionenschwere Molkereiunternehmer zeigen, dass er nicht nur sein Firmenimperium beherrscht. Sondern auch in der Lage ist, die viertgrößte Insel der Welt vor dem völligen wirtschaftlichen Ruin zu retten.
Der dreißigjährige Edmond aus Antananarivo ist einer von denen, die für Ravalomanana auf die Straße gingen. Für die der neue Präsident die Chiffre für eine bessere Zukunft ist.
Verzweifelt quält Edmond eine 30 Jahre Deux-chevau durch die engen und steilen Gassen von Antannarivo. 2 Liter Benzin im Tank, ein Liter Reserve in der Milchflasche auf dem Beifahrersitz der Ente. Das muss reichen.
Ich bin eigentlich Elektriker, habe in einer der großen Textilfabriken in der Freihandelszone von Tana gearbeitet. Doch wir wurden alle entlassen, insgesamt über 100 000 Arbeiter. Sie wissen schon, wegen des Bürgerkrieges, wegen der Krise unseres Landes.
Um zu überleben, arbeitet Edmond jetzt als Taxifahrer. Einen Führerschein besitzt er nicht, vor 2 Wochen hat er sich zum ersten Mal hinter das Steuer eines Autos gesetzt.
Ich weiß nicht recht. Ich bin noch ein ganz unerfahrener Fahrer. Kuppeln, Gang kommen lassen, ich muss mir das noch selber beibringen, ohne dass meine Fahrgäste es allzu stark merken. Ich muss schließlich Geld verdienen. Habe drei Kinder. Ich muss etwas machen.
Nach halsbrecherischer Fahrt erreichen wir den Sportflughafen von Tana. Die staatliche Fluggesellschaft Air Madagaskar hat alle Inlandsflüge wegen Geld- und Kerosinmangels gestrichen. Gleichzeitig sind viele Straßen im Landesinneren unpassierbar. Ganze Teile Madagaskars sind von der Außenwelt abgeschnitten.
Um die Hungerzentren der riesigen Insel trotzdem versorgen zu können, hat die Deutsche Welthungerhilfe an diesem Tag eine kleine Propellermaschine gemietet. Riesige Kartons mit Babyflaschen und angereichertem Milchpulver werden in den äußersten Südosten der Insel geflogen, in die Kleinstadt Farafangana. Farafangana heißt wörtlich...
... das Ende der Reise, gemeint ist in diesem Fall: das Ende der Welt. Vor dem Start spricht der Pilot ein kurzes Gebet.
For the safety of today’s flight, we pray in Jesus’ Name: AMEN!
Drei Stunden lang fliegen wir über die bizarren Gebirgszüge des madagassischen Hochlandes, gleiten über riesige Reisterassen. Und über die letzten Trocken-, Regen- und Dornenwälder Madagaskars. 90 Prozent aller madagassischen Wälder sind bereits für immer vernichtet. 200 000 Hektar gehen jedes Jahr in Flammen auf. Brandrodung. Der Bevölkerungsdruck ist einfach zu stark. Unser Pilot sieht die Verwüstung jeden Tag aus der Flugzeugkanzel.
Es ist sehr viel Zerstörung zu sehen, also ich sehe jeden Tag Hunderte von Bränden.
Die weltweit einmalige biologische Schatzkammer Madagaskar ist in höchster Gefahr. 80 Prozent aller madagassischen Tier- und Pflanzenarten gibt es ausschließlich auf dieser Insel.
Ob die legendären Lemuren-Halbaffen mit ihrem dichten goldbraunen, weißen oder schwarzen Fell. Ob das so genannte Fingertier mit dem lustigen Namen Aye-Aye. Oder die elegante Fossa-Schleichkatze. Sie alle sind nur hier in freier Natur zu finden. Madagaskar hat sich vor 160 Millionen Jahren vom afrikanischen Festland abgespalten. Und seither liegt die riesige Insel, deren Umriss einem Gigantischer Fußabdruck ähnelt, 400 Kilometer vor der Küste Ostafrikas. Ein biologisches Raritätenkabinett. Inmitten des indischen Ozeans.
Die Zeit der Stoßgebete ist zuende. Wir landen auf dem Mini-Flughafen von Farafangana.
Enthusiastisch begrüßt uns Tussaint Raharison, der Dorfälteste.
Französisch oder malgasch, wie hätten sie es denn gern, fragt der 80-jährige lächelnd.
Jeden Tag arbeiten wir hier! Reinigen die Abwasserkanäle der Stadt. Die Leute von der Welthungerhilfe geben uns dafür zu essen, Reis zum Beispiel und Bohnen.
Die Rede des Dorfältesten geht im Jubel der Frauen von Farangana unter.
Die Deutsche Welthungerhilfe ist hier die einzige Rettung. Denn im Hinterland von Farafangana hungern die Menschen. Wirbelstürme, so genannte Zyklone, haben zahlreiche Reisefelder und Häuser zerstört. Es gibt keine Arbeit, kein Geld. Die Märkte sind fast leer. Die meisten Menschen hier sind Kaffeebauern. Doch die grünen Bohnen bringen wegen der katastrophalen Weltmarktpreise nur noch Verlust.
Viele Kinder sind nur noch wandelnde Gerippe. Caroline Peyre-Koch von der deutschen Welthungerhilfe ist durch die Dörfer gegangen, hat die Zahl der unternährten Kinder genau erfasst.
Wir haben Zahlen von 20-24 Prozent in der Region. Das sind Zahlen, die mit Somalia vergleichbar sind.
Die Expertin der Deutschen Welthungerhilfe, gerade aus Deutschland nach Farafangana eingeflogen, ist sichtlich schockiert. Jeden Tag sieht sie:
5 Jahre alte Kinder, die weder sprechen noch gehen können!
Seit über 4 Jahren ist die deutsche Welthungerhilfe in diesem Teil Madagaskars präsent. Als einzige internationale Hilfsorganisation. Ein Sisyphuskampf.
Das Krankenhaus von Farafangana haben die Deutschen mittlerweile in ein Nothilfezentrum für unterernährte Kinder umgerüstet. Kein einfacher Akt. Denn früher wurden hier Cholera-Kranke gepflegt. Das Krankenhaus galt als unrein, war tabu. Caroline Peyre–Koch musste ein Zebu, ein madagassisches Buckelrind opfern.
Wir mussten wirklich eine Zeremonie veranstalten - mit den Dorfältesten, mit Zebu Schlachten, eine richtige Zeremonie - und das ganze Krankenhaus desinfizieren.
Das Spezial-Milchpulver, gerade frisch aus Tana eingeflogen wird in Windeseile zubereitet. Infusionen vorbereitet Viele Kinder müssen künstlich ernährt werden.
Tana, bitte kommen, bitte kommen. Per Funk versuchen die Menschen von Farafangana, Kontakt zur Hauptstadt Tana zu halten.
Habt ihr Zyklonwarnungen für Farafangana? Müssen wir uns vor den mörderischen Stürmen ins Inselinnere flüchten? -eine der Standardfragen im Südosten von Madagaskar.
Keine Gefahr, die Meteorologen geben Entwarnung. Auf dem Weg zurück zum Flugplatz treffen wir einen Mann mit einem blütenweißen T-Shirt: darauf gedruckt das Photo des neuen Präsidenten.
Ja, sagt der Mann Ravalomannana, der sei ein Guter. Nicht nur in der Hauptstadt. Auch in den Küstenprovinzen setzen viele Menschen große Hoffnung auf den neuen Mann an der Staatsspitze.
Die einzigen, die keine Hoffnung haben sind die, die mit der alten Regierung Händchen gehalten haben. Alle anderen sind schwer begeistert,...
...schwärmt unser Pilot, der seit fünf Jahren auf Madagaskar lebt.
Wenn ich die Wahl hätte, würde ich den auch für Deutschland wählen, (lacht). Das ist so.
Wer es wie Ravalomannana auf Madagaskar aus eigener Kraft vom Bauernsohn zum Multi-Millionär bringt, der kann auch die ganze Insel von der Armut erlösen, hoffen viele. Ravalomannana, so erinnert sich sein Anhänger Jean Marie Ravelson:
Er war ja früher Milchverkäufer auf der Straße. Mit einem Fahrrad hat er Milch verkauft. Kuhmilch.
Dann hat er die Milch pasteurisiert und haltbar gemacht. H-Milch gab es vorher nicht auf Madagaskar. Ebenso wenig wie Ravalomannanas Erfolgsprodukt Yoghurt. Und jetzt will der innovative Milch-Mogul das ganze Land im Zeitraffertempo nach vorne bringen. Madagaskar zählt zu den korruptesten Staaten der Welt. Ravalommannana hat deshalb als erstes die erbärmlichen Ministergehälter verzehnfacht. Das soll gegen Bestechung immunisieren. Wer jetzt noch abkassiert, der fliegt.
Der monatelange Bürgerkrieg hat Madagaskars Hotelindustrie ruiniert. Schiffe lagen vor Madagaskar. Und hatten zwar nicht die Pest an Bord. Aber gesperrte Häfen vor Augen. Doch dieser Alptraum ist vorbei. Madagaskar lockt jetzt mit menschenleeren Traumstränden. Tourismusexperten aus der Bundesrepublik feilen an einem ökologisch verträglichen Masterplan. Doch kaum noch eine Airline fliegt die Insel an. Präsident Ravalomannana hat deshalb Manager der Lufthansa-Consulting nach Tana geladen. Die Luftfahrt-Experten aus Frankfurt brüten zur Zeit über einem Sanierungskonzept für die marode Air Madagaskar. Eine zweite Direktverbindung nach Europa ist geplant, in direkter Konkurrenz zu Air France.
Die Voraussetzungen für einen Touristenboom sind gut: Die geheimnisvolle Insel der Lemuren ist nicht nur ein Paradies für Zoologen und Biologen. Madagaskar ist auch ein Eldorado für Taucher: Unter dem türkisblauen Wasser des indischen Ozeans liegen die letzten noch völlig intakten Korallengärten der Welt.
Tako i Madagaskara! Ich liebe Madagaskar, dieses Bekenntnis prangt neuerdings auf den T-Shirts vieler Inselbewohner. Tiako i Madagasikara: Keine Phrase, sondern ein Reflex auf eine Revolution vor der Ostküste Afrikas. Madagaskar, die viertgrößte Insel der Welt, hat- die Demokratie erkämpft.