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Hoffnung für Nachteulen

Medizin. - Das Schlafbedürfnis ist bei unterschiedlichen Menschen ganz verschieden ausgeprägt - jeder besitzt eine eigene innere Uhr. Auf der ESOF in München diskutierten Forscher die aktuellen Erkenntnisse – Erkenntnisse, die besonders die Langschläfer unter uns erfreuen dürften.

Von Frank Grotelüschen |
    "Die innere Uhr ist so was wie eine richtige Uhr. Warum benutzen wir eine Uhr? Weil wir wissen wollen, dass wir jetzt weggehen müssen, damit wir irgendwann einen Zug erreichen. Die innere Uhr macht etwas ganz ähnliches. Die will wissen: Muss ich jetzt die Temperatur oder die Hormone hochschrauben, damit ich in zwei Stunden aufstehen kann."

    Till Roenneberg ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie der Universität München. Die innere Uhr, von der er spricht, ist eine Antwort der Evolution auf den Wechsel von Nacht und Tag. Sie steuert, genetisch programmiert, wann wir wach sind und wann wir schlafen – und sie ist von Mensch zu Mensch verschieden. Da wären – jeder kennt sie – die Lerchen: ausgeprägte Frühaufsteher. Auf der anderen Seite: die Eulen, ausgewiesene Nachtmenschen.

    "Zwischen den extremen Lerchen und den extremen Nachteulen können durchaus 12 Stunden liegen, sodass der eine ins Bett geht, wenn der andere aufsteht."

    Für alle aber gilt: Lebt man gegen seine innere Uhr, etwa weil einen jeden Morgen um sechs der Wecker aus dem Bett klingelt, wird der Körper gehörig gestresst. Experten wie Till Roenneberg sprechen vom "social Jetlag", dem sozialen Jetlag.

    "Wenn ich eine innere Uhr habe, die so eingestellt ist, dass sie zwei bis drei Stunden später dran ist als der eigentliche Tag, dann ist es so, als ob ich in Moskau arbeiten würde, aber in München leben müsste. Das ist ein sozialer Jetlag."

    Welche Folgen hat es, wenn ein Leben gegen seine innere Uhr führt? Till Roenneberg berichtet Erstaunliches.

    "Das Spannendste ist, dass es dazu führt, dass die Leute eher Raucher sind. Je mehr Social Jetlag, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand zum Raucher wird und bleibt. Das Erstaunliche an diesem Ergebnis war diese unglaubliche Korrelation mit dem Social Jetlag, dass die Leute, die vier Stunden oder mehr Social Jetlag haben, zu 60 Prozent Raucher als Gruppe haben. Während die, die keinen Social Jetlag haben, bis zu zehn Prozent Raucher haben."

    Nun sollen diverse Studien die Frage klären, ob auch andere Krankheiten mit dem sozialen Jetlag verknüpft sind – Herz-Kreislauf-Beschwerden etwa, oder auch Krebs. Sollten wir in Zukunft also lieber sklavisch nach dem Rhythmus unserer inneren Uhr leben, ohne die kleinste Abweichung?

    "Eine Stunde, würde ich sagen, ist noch verkraftbar. Aber Sie müssen sich vorstellen, dass 50 Prozent der Bevölkerung zwei Stunden oder mehr gezwungen werden, umzustellen oder zu überbrücken zwischen innerer und äußerer Zeit. Und das ist auf die Dauer nicht verkraftbar. Das heißt, dass die meisten unter der Arbeitswoche viel zu wenig Schlaf bekommen. Sagen wir mal, sie bekämen täglich eine halbe Stunde weniger als sie eigentlich bräuchten – das summiert sich unheimlich auf."

    Was also ist zu tun, was empfiehlt der Experte? Kein Leben mehr nach Stechuhr und Pausengong, sagt Till Roenneberg – sondern Arbeitszeiten, angepasst an unseren Chronotyp.

    "Das Einrichten der Arbeitszeiten auf die inneren Zeiten wäre ein Riesenschritt weg vom Social Jetlag hin zu viel mehr Produktivität innerhalb dieser Gesellschaft."

    So sollten Jugendliche ab 14 erst um neun oder gar um zehn in die Schule müssen statt in der Früh um acht. Forscherratschläge, die den Teenies glockenhell in den Ohren klingen dürften.