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Hoffnung, Wünsche, Wirklichkeit

Heute beginnt der EU-Russland-Gipfel im südrussischen Rostov am Don. Doch wie sehen sich die Russen fast zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall der Sowjetunion? Und wie blickt Europa auf das riesige Land?

Von Robert Baag |
    Michail Margelov pressierte es sichtlich. Bis zum heute beginnenden EU-Russland-Gipfel im südrussischen Rostov am Don sollten damals zwar noch einige Wochen ins Land gehen, doch dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Föderationsrat, der zweiten Kammer der russischen gesetzgebenden Versammlung, war es wichtig, schon im April einigen eigens eingeladenen EU-Botschaftern vorab mit auf den Weg zu geben:

    "Russland heute ist nicht die zweite Version der Sowjetunion, sondern ein Land mit einer Marktwirtschaft, mit einem sich vervollkommnenden demokratischen System, das vielleicht noch weit entfernt ist vom Ideal. Ein Land, das dabei ist sich zu modernisieren. Wir sind jedenfalls bestimmt nicht irgendwelche Bären, die unter Moosbeer-Zweigen sitzen und dabei Wodka aus dem Samowar saufen."

    Margelovs Botschaft: Russland braucht Modernisierung. Und dazu will es Hilfestellung aus dem Westen, sprich: Wissens-Transfer und Investitionen. Doch gebe es leider Kräfte in Europa, die Russland behinderten - und darüber habe er sich eben bei den Botschaftern unmissverständlich beschwert:

    "Wir haben über alle Sorgen, Probleme, Ungerechtigkeiten gesprochen, auf die das russische Business in der EU stößt, über häufige protektionistische Maßnahmen gegen russische Unternehmensaktivitäten, über ungerechte juristische Verfolgungen unserer Geschäftsleute in Europa."

    Dieser Auftritt des 45-jährigen Margelov, eines früheren Arabisch-Lektors an der Hochschule des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstes KGB, der als durchaus einflussreicher russischer Politiker gilt, sollte den europäischen Diplomaten offenbar klar machen, dass es Russland nicht schnell genug vorangeht bei der Zusammenarbeit mit Europa - und dass sie dies doch bitte ihren Regierungen mitteilen mögen.

    Doch es gibt auch eine europäische Gegenrechnung, wenn etwa während der nächsten zwei Tage der russische Wunsch nach Visumsfreiheit für russische Bürger in Europa erneut vorgetragen werden wird. - Brüssels Haltung dazu während des Gipfels in Rostov erläuterte jetzt der Brite Michael Webb, stellvertretender Leiter der EU-Vertretung in Moskau:

    "Hier geht es nicht nur um die Visumsfrage. - Denn wenn man sich erst einmal innerhalb Russlands aufhält, gibt es für EU-Reisende ganz andere Beschränkungen - zum Beispiel. bestimmte Melde-Prozeduren. Unsere praktischen Erfahrungen lehren uns, dass die hiesigen bürokratischen Abläufe um ein Vielfaches komplizierter sind als in der EU. Dies muss mitberücksichtigt und besprochen werden. Wir müssen sicher sein, dass unsere Reisenden es künftig mit einem weniger beschwerlichen System zu tun haben werden, wenn sie sich in Russland aufhalten."

    Und auch auf weitere alte Konfliktpunkte mit Russland wies Webb hin, die seit 2007 unerledigt geblieben sind: So war damals das bis dahin geltende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU ausgelaufen. Moskau aber läßt sich seither Zeit mit einem Nachfolgeabkommen, denn das alte Papier gilt erst einmal weiter, bis ein neues Abkommen geschlossen wird. Die Kreml-Führung will eigentlich lieber Einzelverträge statt eines Gesamtdokuments - zum Beispiel im Energiebereich. Michael Webb:

    Brüssel bedaure Russlands Entscheidung, die unterschriebene Energie-Charta, die unter anderem Prinzipien von Erdgas-Lieferungen definiere, doch nicht zu ratifizieren. Zu deren Inhalt habe sich gemeinsam mit der EU schon vor Jahren eine frühere russische Führung längst bekannt. "Kein Verhandlungsspielraum", bekräftigte bei aller Verbindlichkeit im Ton erneut und prompt Russlands stellvertretender Außenminister Aleksandr Gruschko:

    "Wir halten dieses Abkommen im Zusammenhang mit der künftigen Konstruktion der Energiesicherheit in Europa für nicht hoffnungsvoll genug. Es ist viel zu abnehmerfreundlich und berücksichtigt nicht in vollem Umfang die Produzenten- und Lieferantenseite. Hier ist eine neue Basis notwendig."

    Gruschko bestätigte zugleich, dass jetzt, in Rostov am Don, womöglich nur einziges Abkommen unterschriftsreif sein könnte: Ein Memorandum nämlich zur russisch-europäischen "Modernisierungspartnerschaft". Dennoch, so Gruschko vor Journalisten weiter, halte Moskau den heute beginnenden ersten EU-Russland-Gipfel nach dem Inkrafttreten des "Lissabonner Vertrags" für historisch bedeutsam. Seine Miene dabei blieb diplomatisch-professionell unbewegt.