Archiv


Hohe Selbstreinigungskraft der Ostsee

In der Lübecker Bucht lagern Schwermetalle aus Zeiten sorglosen Umgangs mit Umweltgiften. Ostseeforscher aus Rostock-Warnemünde haben das Schicksal des einstigen Verklappungsgebietes über Jahrzehnte verfolgt. Ihre jüngsten Messdaten belegen eine erstaunliche Selbstreinigungskraft des Meeres. Und wie es aussieht, hat zumindest eine Art die Schwermetallattacke unbeschadet überstanden: die Islandmuschel.

von: Regine Rachow |
    In der Lübecker Bucht lagern Schwermetalle aus Zeiten sorglosen Umgangs mit Umweltgiften. Ostseeforscher aus Rostock-Warnemünde haben das Schicksal des einstigen Verklappungsgebietes über Jahrzehnte verfolgt. Ihre jüngsten Messdaten belegen eine erstaunliche Selbstreinigungskraft des Meeres. Und wie es aussieht, hat zumindest eine Art die Schwermetallattacke unbeschadet überstanden: die Islandmuschel.

    Was auch immer sich an Abfällen sich in der alten Lübecker Metallhütte vor 50 Jahren angesammelt haben mochte, das landete dort. Stäube und Schlämme - hochangereichert mit Blei, Zink, Kupfer. Verklappt in der Lübecker Bucht, ein paar Kilometer von der Küste entfernt. 21 Meter tief ist dort die Ostsee, das Verklappungsgebiet umfasst zwei bis drei Quadratkilometer. Die Hütte gibt es längst nicht mehr. Der Boden auf dem Festland wurde saniert. Und der Meeresgrund? Er ist Forschungsfeld von Dr. Thomas Leipe, Geologe am Institut für Ostseeforschung in Warnemünde:

    "In diesem Gebiet finden wir normalerweise Schlicksedimente vor, und dieses verklappte Material ist in dieses weiche Schlicksediment eingesunken und wird dort durch Neubildung von Sediment allmählich abgedeckt. Es handelt sich hier um sehr hohe Konzentrationen von Blei, Zink, Kupfer, teilweise auch Kadmium und Quecksilber, die etwa um das zehnfache höher sind als sonst normalerweise."

    Wie hat die Natur das verkraftet? Thomas Leipe beobachtete das Gebiet bereits seit Mitte der achtziger Jahre: anfangs nur bis zur deutsch-deutschen Grenze, jetzt im Auftrag des Bundesamtes für Schifffahrt und Hydrografie. Im zurückliegenden Sommer, bei der jüngsten Ausfahrt in die Lübecker Bucht, galt seine Aufmerksamkeit auch einer speziellen Muschelart: der Islandmuschel. Sie wird mehrere Jahrzehnte alt und kann deshalb gut Zeugnis ablegen für eine Langzeitwirkung von Umweltgiften. Jetzt legt Thomas Leipe die ersten Analyse-Daten vor.

    "Die ersten Ergebnisse waren sehr überraschend für uns, weil wir herausgefunden haben, dass zahlreiche Schwermetalle in den Muschelweichkörpern keine höheren Konzentrationen aufweisen als wir sie sonst in normalen unbelasteten Gebieten finden. Das heißt, trotz dieser sehr hohen Schwermetallbelastung der Sedimente in dem Altlastgebiet in dem Verklappungsgebiet liegen diese Metalle offenbar in einer sehr festen Bindungsform vor, so dass sie von den Organismen nicht aufgenommen werden."

    Als nächstes werden – gemeinsam mit Forschern der Universität Mainz – nun die Schalen der Muscheln genauer analysiert. Damit will Thomas Leipe die Kontamination zeitlich rekonstruieren, wie er sagt:

    "Die Sedimente in diesem Gebiet unterliegen einer Dynamik, einer Durchmischung, so dass zeitliche Folgen immer wieder gestört werden. Die Muscheln wachsen kontinuierlich weiter, und ähnlich wie in den Baumringen im Holz kann man also hier in den Kalkschalen der Organismen zurückverfolgen, über die gesamte Lebensdauer dieser Muscheln, ob sich die Umweltbedingungen verändert haben, auch die Belastung mit Schadstoffen sich verändert hat, das ist an diesen Schalenprofilen rekonstruierbar."

    Eine Analyse der räumlichen Ausdehnung hatte bereits gezeigt, wie über die Umweltsünde von einst gewissermaßen Gras zu wachsen beginnt. In diesem Falle ist es das Sediment, das Jahr für Jahr um einen Millimeter wächst: durch Einträge aus Flussmündungen, auch durch biologisches Material abgestorbener Organismen. Thomas Leipe breitet Karten aus, die im Laufe der Zeit eine abnehmende Konzentration im Sediment und die rückweichende räumliche Ausdehnung belegen.

    "Sie sehen hier die Lübecker Bucht, die Mecklenburger Bucht bis zur Insel Femahrn und hier etwa bis in den Raum Rostock. Und man sieht sehr schön die langsam abnehmende Farbe dieser Darstellung. Mitte der neunziger Jahre sehen Sie natürlich noch immer das Zentrum der Altlast hier durch erhöhte Konzentration, aber die Ausbreitung des belasteten Sedimentes reicht hier nur noch wenig in die Mecklenburger Bucht hinein. Wir wissen, das die höchsten Schadstoffkonzentrationen in den Sedimenten heute etwa in einer Tiefe von zehn bis 15 cm sich befinden."

    Für die Geo-Wissenschaft war die Kontamination gewissermaßen ein Glückfall. Indem sie den Weg der Schwermetalle verfolgt, gewinnt sie Erkenntnisse über die Dynamik des Meeresbodens, über Transport und Verteilung der Sedimente. Doch die Arbeiten haben auch ganz praktischen Nutzen für die Umwelt, wie Thomas Leipe sagt.

    "Das ist ein Modellfall, dass wir ein solches stark belastetes Gebiet in der Ostsee haben, das dient uns auch als Untersuchungsfeld, wie wir umgehen mit solchen Problemen. Das kann auch sein, dass wir beispielsweise durch Havarien punktförmige Eintragsquellen von Schadstoffen haben, deren weitere Verteilung wir verfolgen müssen und deren Gefahren wir abschätzen müssen, das ist also in dieser Hinsicht auch ein methodischer Fortschritt unserer Umweltüberwachung in der Ostsee."