Donnerstag, 28. März 2024

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Hohelied des liberalen Kapitalismus

Fasziniert vom wirtschaftlichen Boom in Nigeria, hat sich Rimini Protokoll mit dessen erfolgreichen Protagonisten beschäftigt. Fünf nigerianische Geschäftsleute treffen bei einer Art Firmenmesse auf europäische Geschäftsleute. Wieder einmal ist es Rimini Protokoll gelungen, theaterwirksame Experten des Alltags zu finden.

Von Hartmut Krug | 28.03.2012
    Oluwafemi Ladipo besitzt eine kleine Schuhwerkstatt in Lagos. Hier stellt er mit seinen fünf Angestellten im Monat rund 200 Schuhpaare her. Im Berliner Hebbel Theater tritt er vor einem Foto seiner Werkstatt auf einen Laufsteg und präsentiert uns seine edlen Erzeugnisse, - für jeden privaten und gesellschaftlichen Anlass ein anderes Modell. Strahlend wiederholt er unentwegt immer wieder sein Berufsmotto "Personality and Profession".

    Ladipo ist einer von zehn nigerianischen und deutschen Geschäftsleuten, die uns im zum Messehaus eingerichteten Theater die Stadt Lagos als ideale Stadt für neue Geschäftsmodelle und Geschäftsbeziehungen anpreisen. Dafür ist das Hebbel Theater zum Messehaus geworden: Das in Gruppen aufgeteilte Publikum wandert über einen zehnteiligen Installationsparcours und wird an jeder von sieben zu absolvierenden Stationen als Spiel- und Geschäftspartner behandelt. Dabei wird er nicht um Wirtschaftshilfe gebeten, sondern beraten und gecoacht. Biyi Tunji-Olugbodi, Human-Resources-Managerin, will uns mit Erfolgsbeispielen davon überzeugen, in Nigeria nach unserem Traumjob zu suchen, und Victor Eriabie, sowohl Pastor wie Filmproduzent, zeigt uns Videobilder seiner Tätigkeiten in Lagos, weil er in Europa für seine evangelistische Gemeinde Räume sucht. In ihnen will er seine "Crusades" genannten Gottesdienst-Events veranstalten. Und die Österreicherin Silke Hagen-Jurkowitsch, bei der die nigerianische Oberschicht seit Jahrzehnten hochwertige Stickerei-Textilien kauft, präsentiert uns ihre Ware in einer unterhaltsamen Verkaufsschau.

    Wie alle ist auch der Investmentberater Jude Fejokwu ein charismatischer Erfolgstyp. Vor einem riesigen Videobild der Börse von Lagos sucht er uns zu Investitionen an eben dieser Börse zu animieren und beteuert "we like foreign companies." Wie alle verteilt er seine Visitenkarte, bevor ein Klingelton seine Performance beendet und uns zur nächsten Station treibt. Dieser Abend zeigt wieder: die wohl größte Fähigkeit der Theatergruppe Rimini Protokoll ist es, beim Casting theaterwirksame Experten des Alltags zu finden.

    Fasziniert vom wirtschaftlichen Boom in Nigeria, hat sich Rimini Protokoll nur mit dessen erfolgreichen Protagonisten beschäftigt. Der Blick auf die schnell wachsende Megastadt Lagos ist kein forschender, kann es wohl auch nicht sein, sondern ein zielgerichteter. So erfahren wir nichts über ethnische Konflikte und Armut, nichts über Wohnungsnot und religiöse Konflikte, nichts über die gesellschaftlich verheerenden Folgen der Erdölförderung und über Korruption. Immerhin berichtet die Nürnberger Pinselfabrikantin Frieda Springer, indem sie uns allerlei Schriftstücke zeigt, wie sie nach dem Tod ihres Mannes von nigerianischen Geschäftemachern um viel Geld betrogen wurde. Und nachdem sie jahrelang in Nigeria mit Erfolg für ein Gesetz gegen Wirtschaftsverbrechen gekämpft hat, arbeitet sie heute sowohl weiterhin als Pinsel-Herstellerin in Nürnberg wie auch in der nigerianischen Economic and Financial Crimes Commission. Und der deutsche Start-Up Unternehmer Hassenkamp erwähnt nur beiläufig die Notwendigkeit von Schmiergeldern, wenn er von seinen Versuchen berichtet, einen KFZ-TÜV und ein mobiles Bezahlsystem per Handy zu installieren.

    An diesem Abend wird das Hohelied des liberalen Kapitalismus gesungen. Wenn sich alle zum Schluss noch einmal auf dem Laufsteg präsentieren und sich (Achtung: Ironie) goldener Flitter auf sie ergießt, erklingen all die Macherslogans noch einmal, - und ein Geistlicher tönt mit seiner Motivationspredigt vom Band dazu. Also: Wenn du es glaubst, schaffst du es auch. Oder: Wir sind geboren, zu fliegen. Nach diesem Schmunzel-Theater sehnt man sich nach einem der theatralisch zwar spröden, aber strukturell analytischen Abende des Dokumentarregisseurs Hans-Werner Kroesinger.