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Hoher Preis für die "Hessen-Bremse"

Der hessische Landtag gilt gemeinhin als Brüllparlament. Insofern ist es etwas Besonderes, dass Mitte Dezember vier der fünf vertretenen Fraktionen einen abgestimmten Gesetzentwurf verabschieden wollen. Es geht um die sogenannte Schuldenbremse, die dem Land ab 2020 verbietet, neue Schulden aufzunehmen. Doch in der SPD grummelt es.

Von Anke Petermann |
    Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel wirkt leicht erschöpft in diesen Tagen: Er hat lange gerungen, die Parteitagsdelegierten davon zu überzeugen, der Schuldenbremse in der Landesverfassung doch noch zuzustimmen. Denn eines war klar: Falls die SPD "Nein" sagt, werden sie es im Wahlkampf nutzen: CDU und FDP. "Wir sparen - die SPD macht Schulden." Ein schöner Slogan – für die anderen Parteien. Ein Horror für die SPD. Denn Schuldenmachen kommt gar nicht gut an beim Wähler.

    So sehr gruseln sich führende Sozialdemokraten vor dem Verschwender-Image, dass sie nun tun, was mit der früheren Frontfrau Andrea Ypsilanti wohl niemals möglich gewesen wäre: Sie steigen ins schwarzgelbe Boot und tragen sie mit, die Schuldenbremse. Bei der Volksabstimmung am 27. März hoffen sie auf breite Zustimmung für ihren Kurs. Ihr Werben für die Schuldenbremse soll zeigen: Sozialdemokraten sind zwar rot, aber nicht für rote Zahlen. Die Schuldenbremse ermögliche sogar die Rückkehr zu sozialdemokratischen Lieblingsforderungen, betont Thorsten Schäfer-Gümbel:

    "Vermögenssteuer, Finanztransaktionssteuer, höherer Spitzensteuersatz und vieles andere mehr, um die notwenigen Ausgaben der öffentlichen Haushalte zu finanzieren."

    Das überzeugte viele Delegierte auf dem Landesparteitag am vergangenen Wochenende. Am Ende stimmten 85 Prozent für die Schuldenbremse. Doch ganz so sicher, wie der Parteichef es gerne hätte, ist die Aussicht auf höhere Steuern für Besserverdienende nicht. Denn der Wortlaut des geplanten Verfassungsartikels 114 bleibt vage:

    "Der Haushalt ist ungeachtet der Einnahmen- und Ausgabenverantwortung des Landtages und der Landesregierung grundsätzlich ohne Kredite auszugleichen."

    Und so interpretieren die Liberalen die Einnahmeverantwortung des Landes selbstverständlich nicht als Auftrag, entgegen ihrem Wahlversprechen Steuern zu erhöhen. Sie wollen stattdessen lieber den Länderfinanzausgleich abschaffen, weil der Hessen als Geberland schröpfe.
    Der Gesetzestext - dehnbar in alle Richtungen. Genau deshalb trauen weite Teile der SPD-Basis ihm nicht. Viele Partei-Mitglieder fürchten, durch die Schuldenbremse werde der Staat kaputt gespart. Die Sozialdemokraten sollten da nicht an vorderster Front mitmachen. Tatsächlich eröffnet das, was im Gesetzentwurf "Einnahmeverantwortung" heißt, Spielräume auch dafür, Leistungen für Familien, Schulen und Hochschulen mit Gebühren zu belegen. Zu frisch ist noch die Erinnerung bei den Studierenden daran, dass sie vor zwei Jahren unter der CDU-Regierung Koch fürs Studium bezahlen mussten. Behnam Yazdani studiert in Frankfurt am Main und führt die südhessischen Jusos:

    "Wenn 'ne Landesregierung bereit war, Studiengebühren zu erheben, wird sie sich wahrscheinlich auch andere Instrumente überlegen, um die Einnahmeseite zu verbessern. Und das wird dann die Menschen treffen, die finanziell nicht so gut ausgestattet sind."

    Aber nicht nur gewohnheitsmäßig aufmüpfige Jusos schimpfen auf die "Hessen-Bremse". Sondern auch Mitglieder des Arbeitnehmerflügels, der Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände - sozialdemokratische Stammkundschaft also. Und auch so mancher Kommunalpolitiker argwöhnt, dass das Land Städte und Gemeinden anders als versprochen schröpft, wenn es auf Biegen und Brechen die schwarze Null schaffen muss. Thomas Przibilla, ehemaliger SPD-Bürgermeister in Rodgau, der größten Stadt im Landkreis Offenbach, fragt:

    "Was passiert denn zum Beispiel, wenn Kommunen kein Geld mehr haben, weil das Land ihnen keine Zuweisungen mehr gibt? Dort wird auf ausgeglichene Haushalte geachtet werden müssen. Was bedeutet das für einen Kindergartenplatz, der 700 Euro im Montag kostet und den Eltern bisher möglicherweise nur 200 Euro abverlangt wird? Wenn's plötzlich heißt, die Haushalte müssen ausgeglichen sein. Wollen wir denn zulassen, dass künftig in dem Bereich Kosten verlangt werden, die doch nur wieder Reiche bezahlen werden können?"

    Indem die SPD am Verbot der Neuverschuldung mitwirkt, macht sie soziale Grausamkeiten erst möglich, meint der Giessener Student und Jungsozialist Kaweh Mansoori.

    "Ich glaube, dass die Schuldenbremse ein Vorwand ist, um Sozialkürzungen durchzuführen, die ohne diesen Vorwand nicht mehrheitsfähig wären. Dass sich Konservative und Neoliberale hinter diesem Verfassungskonstrukt verstecken werden, vor Ort: an Schulen, an Kitas, in Altersheimen. Und dass sie es so darstellen, als ob sie keine andere Wahl hätten, weil ja die Schuldenbremse in der Verfassung steht."

    Thomas Przibilla, ehemaliger Bürgermeister von Rodgau, ist heute Geschäftsführer der AWO Südhessen. Dass der SPD-Parteitag am vergangenen Wochenende für die Schuldenbremse votierte, ist für den Sozialdemokraten kein Grund, bei der geplanten Volksabstimmung im kommenden März einzuknicken:

    "Ich werde am 27. mit Nein stimmen, weil glücklicherweise die Wahl ja geheim ist. Oh - jetzt habe ich die Geheimhaltung wohl durchbrochen! Aber dazu werde ich andere auch auffordern."

    Parteitagsmehrheit ist eben nicht Basis-Mehrheit - insofern steht Thorsten Schäfer-Gümbel bei der innerparteilichen Überzeugungsarbeit vor einem erneuten Kraftakt.