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Hohes Risiko der Mangelernährung bei alten Menschen

Neue Studien belegen: mehr als die Hälfte aller alten Patienten, die ins Krankenhaus kommen, sind unterernährt. Das wird oft einfach nicht erkannt. Mit gravierenden Folgen, denn nicht entdeckte Mangelernährung führt zu längeren Krankenhausaufenthalten und die Patienten sterben eher. Dies war auf der Tagung "Ernährung, Diätetik und Infusionstherapie" am letzten Wochenende in Berlin zu erfahren.

Von William Vorsatz |
    " In dieser Studie haben wir fast 2000 Patienten untersucht, am Tag der Aufnahme ins Krankenhaus. Und es waren auch 300 geriatrische Patienten dabei."

    Die Ergebnisse bestätigen, was die Forscher befürchtet haben. Der Ernährungsmediziner und Tagungspräsident Matthias Pirlich von der Berliner Charite:

    " Wir haben in dieser Studie nach Häufigkeit von Mangelernährung geschaut, mit einem etwas ausgefallenen Instrumentarium, und waren überrascht, dass wir bei praktisch jeden vierten Patienten, der aufgenommen wurde, schon am Tag der Aufnahme ins Krankenhaus Defizite festgestellt haben. Klinisch relevante Defizite. "

    Je älter die Patienten, desto kritischer wurde es. Von den Geriatriepatienten waren fast 60 Prozent mangelernährt. Doch den meisten Ärzten ist dies nicht aufgefallen. Gerade bei Älteren sagt nämlich der Body-Maß-Index nicht mehr viel über ihren Ernährungszustand aus. Normalerweise verrät dieser Quotient aus Gewicht und Körpergröße, ob jemand zu viel oder zu wenig wiegt. Wenn sich der Körper durch Krankheit und Alter verändert, beispielsweise Wasser ins Gewebe einlagert, kann das jedoch zu falschen Schlüssen führen. Die Patienten können schwer sein, und trotzdem mangelernährt. Deshalb haben die Forscher bei ihrer jüngsten Studie auch verschiedene Messungen durchgeführt:

    " In der körperlichen Untersuchung wird gezielt auf Muskelabbau, Fettverlust geschaut, dann haben wir als zweites apparative Methoden, das eine ist eine elektrische Leitfähigkeitsmessung zur Bestimmung der Körperzusammensetzung, und wir haben dann auch mechanische Methoden zur Bestimmung der Körperzusammensetzung verwendet, das sind Hautfaltemessgeräte bzw. Umfangsmessungen von Armen und Beinen, haben wir durchgeführt. "

    Neben Fett und Muskelmasse fehlen älteren Patienten oft vor allem B-Vitamine wie etwa die Fohlsäure. Zu wenig davon kann zu Verwirrtheit führen und damit auch zu Unfällen, die bei klarem Verstand vermeidbar wären. Durch Mangelernährung verlängert sich der Krankenhausaufenthalt durchschnittlich um 40 Prozent. Und die aktuelle Studie belegt auch: wer die Klinik mangelernährt verlässt, stirbt in den folgenden zwei Jahren eher. Besonders Patientinnen sind betroffen, Oberarzt Ralf-Joachim Schulz vom Evangelischen Geriatriezentrum Berlin:

    " Frauen sind im höheren Alter gefährdeter, Komplikationen durch Mangelernährung zu bekommen, da der Muskelapparat schneller abgebaut wird und daher das Risiko für Sturz und kognitive Einschränkungen auch, mit Gleichgewichtsstörungen, höher ist. "

    Nicht nur Ärzte müssen für das Thema Mangelernährung sensibilisiert werden. Pflegekräfte und Angehörige sollten ebenfalls genau hinsehen: Denn die Symptome sind schleichend und die Betroffenen merken es selbst oft nicht. Wenn sie den Gürtel immer enger schnallen und die Bekleidung ein paar Nummern zu weit wirkt, sind das alarmierende Zeichen. Es gibt einige Faktoren, die Mangelernährung im Alter begünstigen, warnt Ernährungsmediziner Pirlich:

    " Zum Beispiel soziale Isolation, also wenn jemand sehr alleine ist, Depression, ganz simple Dinge wie schlecht sitzende Prothesen, Zahnprothesen, oder auch schlechter Zahnstratus können dazu führen, das Menschen quasi halb verhungern. Und es gibt auch Untersuchungen aus Amerika, die zeigen, dass beispielsweise die Menge der Nahrungsmittel im Kühlschrank bei alten Menschen eng assoziiert ist mit der Prognose. Also hat jemand einen gähnend leeren Kühlschrank, ist die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden oder vorzeitig zu sterben, höher, als wenn man sozusagen einen vollen Kühlschrank hat. "

    Die Art und Weise, wie gegessen und getrunken wird, hat ebenfalls wesentlichen Einfluss auf den Ernährungsstatus. So verderben schäbige Tabletts oder Porzellan in Grautönen gründlich den Appetit. Farbige Teller und gemeinsame Malzeiten in netter Gesellschaft dagegen machen Hunger und Durst auf mehr.