"Erstens werden wir viel zu schlecht bezahlt. Und dann macht die Fischereipolitik unsere Fischgründe kaputt. Wenn es so weiter geht mit dem Tempo, dann gibt es in zwei Jahren gar keine Fanggründe mehr. Wir haben viel Industrie hier. 15000 bis 20000 Arbeiter sind alleine in dieser Stadt von den Betrieben abhängig und wenn die Regierung, die Unternehmer und die Gewerkschaften unsere Lebensgrundlage zerstören wollen, kämpfen wir dagegen an."
Vor dem Hintergrund dieser Spannungen wird das Gipfeltreffen in Mar del Plata als pure Geldverschwendung gesehen. Es fällt Adrian Marino schwer zu verstehen, wie die Regierung von Präsident Kirchner einen Gipfel finanzieren und organisieren kann, der knapp 400 Tausend Euro kostet.
"Ich weiß nicht, wie viele Millionen sie insgesamt ausgegeben haben, um die Gehsteige auszubessern, die Parkanlagen anzulegen oder die Brücken zu renovieren, während es hier in der Umgebung von Mar del Plata Leute gibt, die noch nicht einmal Trinkwasser haben. Kein elektrisches Licht, kein Gas, keine Kanalisation. Statt die Gehsteige im Zentrum zu verbessern, sollten sie diese Bezirke in Ordnung bringen."
Fast die Hälfte der Argentinier lebt immer noch unterhalb der Armutsgrenze, und nur wer einen geregelten Arbeitsvertrag hat, ist sozialversichert. Der langsame wirtschaftliche Aufschwung Argentiniens täuscht. Hartmut Hentschel, Leiter des Meinungsforschungsinstitut "Demoscopia" warnt vor allzu großem Optimismus.
"Das soziale Gefälle ist größer geworden. Der Unterschied zwischen arm und reich ist eklatant. Und hat sich nicht vermindert. Die soziale Lage ist weiterhin gespannt, die Arbeitslosenzahlen sind auf dem selben hohen Niveau ungefähr bei 20 Prozent und wird dadurch kaschiert, dass diejenigen, die ausschließlich von staatlichen Subventionen freigehalten werden, als nicht arbeitslos bezeichnet werden, und das sind immerhin über eine Million Personen. Es hat sich im sozialen Bereich nichts verändert."
Mehr als 150 Pesos an monatlicher Sozialhilfe können die Argentinier von ihrer Regierung nicht erwarten – Das sind noch nicht einmal 50 Euro. Viele müssen deshalb auf Eigeninitiative setzen. In Avellaneda, einem Bezirk in der Provinz Buenos Aires, haben sich ehemalige Fabrikarbeiter zusammengetan. Sie wollen ihre verlassene und heruntergekommene Fabrik wieder aufbauen. Arbeitsplätze schaffen und das in eigener Regie. Doch ohne staatliche Unterstützung wird dies nicht gelingen, sagt einer der Fabrikbesetzer.
"Diese Fabrik steht seit 22 Jahren still. Wir haben alle Familien - mit 150 Pesos kommt man niemals aus. Meine Kumpels und ich wollen versuchen, diese Fabrik wieder aufzubauen. Hier wurden früher Nudeln produziert. Die Maschinen stehen noch alle da. Wir machen erst mal sauber, dann schauen wir mal, was wir noch daraus machen können. Aber wir brauchen natürliche finanzielle Unterstützung, denn Geld haben wir nicht"."
Rund 150 solcher verlassener Unternehmen, wie diese brachliegende Nudelfabrik in Avellaneda, wurden bisher besetzt. Viele haben den Betrieb als Kooperative wieder aufgenommen und einige wenige produzieren heute sogar mehr als früher. Die Löhne sind zwar zum Teil niedriger als zuvor, doch immerhin wurden Arbeitsplätze geschaffen. Wem dies nicht gelungen ist, schließt sich der Bewegung der Arbeitslosen, der so genannten "piqueteros" an. Diese Bewegung wurde Ende der 90er Jahre ins Leben gerufen. Sie versteht sich als ein soziales Sammelbecken, für die, die Hilfe brauchen, und als das soziale Gewissen des Landes. Adrian Marino aus Mar del Plata gehört dazu:
""Das Volk wählt die Regierung, damit die Politiker arbeiten. Sie müssten uns Arbeitsplätze garantieren, genauso wie Gesundheit und Erziehung. Das sind die drei grundlegenden Forderungen, die wir an die Regierung haben, aber die sind nicht erfüllt. Wir sind das Volk, und eigentliche müssten sie für uns arbeiten. Deshalb werden wir sie vertreiben, wie das jeder Chef macht, der unzufrieden mit seinen Angestellten ist."
Die Regierung von Nestor Kirchner weiß, dass die hohe Popularität, die sie derzeit noch genießt, eng an die wirtschaftliche und soziale Situation gekoppelt ist. Wenn die Schere jedoch weiter aufgeht, wenn die Inflation zunimmt und die Reallöhne weiter sinken, wenn sich die Lebensbedingungen also weiter verschlechtern, dann könnte das Vertrauen in die Regierung schnell verspielt sein.