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Holocaustvision

Das Wiener fin de siècle, diese geistig unerhört fruchtbare Epoche, war ebenso von Juden geprägt wie vom Antisemitismus. Als im Jahr 1925 der Schriftsteller Hugo Bettauer, ein Bundesgenosse von Karl Kraus, angeschossen wurde und kurz darauf starb, wurde sein Attentäter für gerade ein Jahr eingesperrt. Bettauer war der Autor des satirischen Romans "Die Stadt ohne Juden", der jetzt dramatisiert wurde: in Wien.

Von Günter Kaindlstorfer |
    In den politisch bewegten Zwanzigern war Hugo Bettauers Roman "Die Stadt ohne Juden" ein Weltbestseller, heute ist das Werk nur mehr einschlägig Interessierten ein Begriff. Umso ehrenhafter die Initiative des Wiener Volkstheaters, das seinerzeit hochumstrittene Werk dem Vergessen zu entreißen. Bettauer schildert in seinem, wie er es nennt, "Roman von übermorgen", wie sich die österreichische Bundesregierung unter dem fiktiven Kanzler Schwertfeger Anfang der 20er Jahre entschließt, alle Juden des Landes zu verweisen. Mehrere hunderttausend Menschen werden zunächst ihres Vermögens beraubt, so eins vorhanden, später dann werden die Opfer der "ethnischen Säuberung" in gewaltigen Zugtransporten außer Landes gebracht. Eine gespenstische Vision, wenn man bedenkt, was eineinhalb Jahrzehnte später in Wien und andernorts grausige Realität werden sollte.

    "Raus mit den Juden! Juden hinaus! Hoch, Dr. Schwertfeger, Hoch dem Bundeskanzler. Hoch dem Befreier Österreichs!"

    In seinem Roman nahm Hugo Bettauer die deutschnationale und christlich-soziale Propaganda der 20er Jahre beim Wort. Dr. Schwertfeger ist dem Vorbild des christlich-sozialen Bundeskanzlers Ignaz Seipel nachgezeichnet, der Österreichs Geschicke in den 20er Jahren wesentlich mitbestimmt hat - und durchaus als Virtuose auf der Klaviatur judenfeindlicher Ressentiments gelten durfte.
    Helmut Peschina, der Bettauers Roman für das Wiener Volkstheater dramatisiert hat, sieht das politische Klima im Österreich der Zwischenkriegszeit illusionslos:

    " Damals in den 20er Jahren herrschte kein latenter Antisemitismus, antisemitisch man war in aller Offenheit. Man macht sich heute keinen Begriff mehr, wie viele Graffiti es etwa in Wien gab: "Hinaus mit den Juden, weg mit den Juden" und so weiter. Das war der Anstoß für Hugo Bettauer, diesen Roman zu schreiben. "

    Im Jahr 1920, so hat Helmut Peschina herausgefunden, wurde im österreichischen Parlament ganz offen über eine Massendeportation der Juden debattiert. Die Zeiten waren schlecht, Deutschnationale und Teile der Christlichsozialen Partei erhofften sich von der Vertreibung der Juden eine Besserung der wirtschaftlichen Lage - und eine Befriedigung ihrer antisemitischen Ressentiments. Auch über die Einrichtung von "Konzentrationslagern" wurde damals, 1920, unverhohlen diskutiert. Auch dieses Wort fiel damals schon: Konzentrationslager. Es blieb allerdings - vorläufig - bei Diskussionen.

    " Also Bettauer hat eigentlich ganz reale Fakten genommen, um diesen Roman über die Vertreibung der Juden aus Österreich zu schreiben. "

    Der junge deutsche Regisseur Martin Oelbermann hat Helmut Peschinas Bühnenfassung des Bettauer-Romans nun fürs Wiener Volkstheater inszeniert - und scheitert aufs Peinlichste. Eine vergebene Chance, wie man sagen muss. In seiner inszenatorischen Biederkeit erinnert der Abend frappant an politisch ambitioniertes Studententheater der späten 50er Jahre, so handgestrickt, so altbacken, so dramaturgisch hilflos kommt das alles daher.

    "Um ein Uhr mittags verkündeten Sirenentöne, dass der letzte Zug mit Juden Wien verlassen hat. Um sechs Uhr abends läuteten sämtliche Kirchenglocken zum Zeichen dafür, dass in ganz Österreich kein Jude mehr sei."

    Dass man sich für das unweit des Volkstheaters gelegene "Bellaria"-Kino als Spielstätte entschieden hat, ist im Prinzip kein schlechter Einfall. Normalerweise haben in diesem Nostalgie-Kino mit Senioren-Klientel Marika Roekk und Willi Birgel ihre großen Leinwand-Auftritte. Und was macht Regisseur Oelbermann aus diesem Spielort? Fast nichts. Er projiziert Ausschnitte aus Hans Karl Breslauers Verfilmung der "Stadt ohne Juden" aus dem Jahr 1924 auf die Leinwand, vor der sechs Schauspieler in wechselnden Rollen den Roman mehr oder weniger armselig dramatisieren, das war’s dann auch. Dazu kommen ein paar läppische Overhead-Projektionen, die eher an einen Leistungskurs Geschichte denn an zeitgemäßes Theater gemahnen.

    Und Hugo Bettauers Roman? Der ist im Buchhandel noch lieferbar. Als treffsichere Attacke gegen Xenophobie und antisemitischen Ungeist hat dieses Buch ganz gewiss seine Meriten, obwohl es sich zweifelsfrei um ein Werk der Kolportage handelt, wie Helmut Peschina weiß.

    " Der Roman ist als literarisches Werk von nicht sehr hoher Qualität. Er ist voll von Stereotypen, voll von Klischees, ich würde sogar sagen: Er hat nicht einmal journalistisches Niveau. "

    Das Gleiche muss man leider auch von der Dramatisierung des Romans im Wiener Volkstheater sagen.