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Holy Holdings

Das Teehaus "Cafe des Südens" ist der Treffpunkt der türkischen Fordarbeiter. Es ist später Nachmittag und die Rentner spielen Tavla. Fast jeden Tag kommt auch Teoman (Name geändert) in das Cafe. Manchmal aber taucht er erst spät in der Nacht auf, und dann brüllt er wie ein Tier. "Er hat das alles nicht verkraftet", erzählt der Kaffeehausbesitzer hinter vorgehaltener Hand. Besser, man spreche ihn nicht darauf an. Seine Geschichte müssen andere erzählen. Murat, der Sohn:

Von Cornelia Uebel und Yüksel Ugurlu | 11.01.2005
    Mein Vater hat sein ganzes Erspartes verloren. Bzw wollte er zurück in die Türkei. Er hat seine Eigentumswohnung hier verkauft. Er hat eine Abfindung von den Fordwerken bekommen. Er hat 30 Jahre ununterbrochen gearbeitet. Samstags, sonntags, wir hatten unseren Vater nie gesehen. Der war nur am arbeiten. Sein ganzes erspartes Geld ist in diese Gesellschaft verloren.

    Es geht um 50.000 Euro, die der Vater bei einer türkischen Holding namens Yimpas angelegt hat. Jetzt ist das Geld weg. Teoman, der fest davon überzeugt war, in seinem Leben immer das Richtige getan zu haben, ist heute ein gebrochener Mann. Dass er am Ende diesen Fehler gemacht hat, dass ausgerechnet er sich von türkischen Landsleuten hat abzocken lassen - das kann er nicht verkraften. Längst geht es nicht mehr nur ums Geld. Jetzt geht es um seine Ehre. Hilflos müssen die Freunde und seine Familie zusehen, wie Rachephantasien den einst überlegten Mann nachts zeternd und schimpfend ins Teehaus treiben.

    Ich kann meinen Vater nicht mehr ansprechen über dieses Thema, weil ich sehe, wie er traurig wird.

    Weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit wird die türkische Gemeinde in Deutschland derzeit von einem Finanzskandal erschüttert, der die schlimmsten Betrugsfälle Deutschlands in den Schatten stellen könnte. Zwischen 200.000 und 300.000 Deutschtürken, so Schätzungen, sollen um ihre Ersparnisse gebracht worden sein. Sie alle haben in türkische Holdinggesellschaften investiert, die in Westeuropa ganz gezielt die Gastarbeiter der ersten Stunde und deren Nachkommen umwarben. Dabei geht es nicht um Peanuts. Es geht um Milliarden.

    Mitte der 90er Jahre: In türkischen Fernsehhaushalten, ob in Berlin, Köln oder Castrop-Rauxel, flimmern Namen wie Yimpas, Kombassan, Endüstrie, GAP, Jet-Pa oder UTM über die Bildschirme. Die Holdings machen Reklame. Dreidimensionale Grafik-Animationen zeigen geplante Industrieanlagen, Fleischfabriken, Kaufhausketten oder auch Hotelanlagen. Die Botschaft: Wir sind erfolgreich. Und ihr könnt davon profitieren. Investiert nicht in Deutschland. Investiert in eure wahre Heimat, in eurer Vaterland Türkei.

    Man spricht die patriotischen Gefühle der Auslandstürken an. Mit ihrem Geld werde man Arbeitsplätze in der Türkei schaffen. Die Almanci, die Deutschländer, sind geschmeichelt. Aber man rührt auch an ihren Ängsten. Im Werbespot einer Holding namens United Trade Management tauchen wieder die schrecklichen Bilder auf, die viele Deutschtürken bis heute traumatisieren: der Brandanschlag von Solingen. Das abgebrannte Fachwerkhaus der Familie Genc, die trauernden Hinterbliebenen und die Särge ihrer Toten. Seht her, suggerieren die Bilder, ihr habt hart gearbeitet und wie wurde es euch gedankt? Sie haben euch verbrannt!

    "Denke an Dich, investiere in deine eigene Zukunft", sagt die Stimme des Kommentators. Die Holdings weisen dabei den rechten Weg. Ihre Methoden sind nicht neu und in der Türkei schon lange bekannt. So gingen in Konya, der islamischen Hochburg der Türkei, Emissäre schon Anfang der 90er Jahre von Tür zu Tür, um den Menschen Anteilsscheine zu verkaufen. Weil der Koran Zinsgewinne verbietet, wurde den Menschen eine gottgefällige Alternative angeboten: Statt verwerflicher Zinsen lockten die Holdings mit Teilhaberschaften. Gewinnbeteiligungen nämlich erlaubt der Koran.

    Das so genannte "Konya-Modell" war so erfolgreich, schreiben die Turkologen Claudia Danschke und Ali Yildirim in ihrem Buch "Politik im Namen Allahs", dass sich die sogenannten Islam-Holdings zum am schnellsten expandierenden Wirtschaftssektor der Türkei entwickelten. Das türkische Militär – selbst mit zahlreichen Fabriken fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Türkei – betrachtete den Boom der Islam-Holdings von Beginn an mit Misstrauen. Zu eng waren die personellen Verbindungen der Muslim-Manager zu den ebenfalls immer mächtiger werdenden islamistischen Politikern wie Necmettin Erbakan. Der Generalstab rief zum Boykott der Islam-Holdings auf. Doch die Kampagne scheiterte. Stattdessen weiteten die Holdings ihr Aktionsfeld aus – nach Westeuropa.

    Mit den Füßen in Deutschland, mit dem halben Herzen in der Türkei. Das sind die Almanci, die Deutschtürken. Zum Beispiel Murat und sein Freund Hakan Sezer. Ihre Eltern sind in den 60er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Murat und Hakan aber wurden in Deutschland geboren. Sie sind hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Mittlerweile sind die beiden 30jährigen selbst Familienväter. In die Türkei, sagt der Autohändler Hakan Sezer, fährt er nur noch in Urlaub.

    Unsere Eltern sind vielleicht gekommen: Drei Jahre Geld sparen und dann zurück in die Türkei. Aber wir können in der Türkei nicht mehr leben. Ich denke, wenn wir sechs Monate da waren, dann sind wir froh, wenn wir am Kölner Flughafen aussteigen, dann küsse ich wie der Papst erst den Boden.

    Und trotzdem sind die Verbindungen in die Heimat der Eltern nach wie vor stark. "Unsere Politiker", sagt etwa Murat. Und damit meint der deutsche Staatsbürger türkischer Abstammung nicht etwa die deutsche Regierung in Berlin, sondern die Politiker in Ankara. Auch der Alltag ist türkisch geprägt. Man kauft in türkischen Geschäften ein, legt sein Geld bei türkischen Banken an, liest türkische Tageszeitungen. Kurzum: Man vertraut immer erst den "eigenen" Leuten. Das macht es leicht für die türkischen Islam-Holdings. Sie genießen Vertrauen, von vornherein. Dazu präsentieren sie einen mächtigen Verbündeten: Allah. In seinem Namen wirbt man bei den Anlegern für ein gottgefälliges Investment – mit Renditen von bis zu 40 Prozent. Gewinne, so hoch, dass auch nicht so gläubige Türken aufhorchen. Der Autohändler Hakan Sezer:

    Also die meisten, die ihr Geld da angelegt haben, sind strenge Moslems gewesen. Was in Murats Fall nicht der Fall ist und in meinem auch nicht. Wir sind vielleicht ein bisschen gierig gewesen. Aber wir haben gesagt: Das ist ein Geschäft, das man machen kann.

    Besonders begehrt sind die Anteilsscheine der Yimpas Holding. Denn die Yimpas demonstriert den Almanci ihren wirtschaftlichen Erfolg auch hier: in Deutschland.
    Ende der 90er Jahre entsteht die Yimpas-Kaufhaus-Kette, mit Filialen in Hamm und Ludwigshafen, in Köln, Hannover und Sindelfingen. Die in den Yimpas-Kaufhäusern angebotene Frauenbekleidung ist islamisch-sittsam, Alkohol und Schweinefleisch werden nicht im Sortiment geführt. Ein Zehntel ihres Gehaltes müssen die Mitarbeiter an einen firmeneigenen Hilfsfonds abführen. In der Yimpas-Verwaltung gehören Gebetsräume so selbstverständlich zur Infrastruktur wie in deutschen Unternehmen die Büros des Betriebsrates. Selbst in den Kaufhäusern weist das Schild "Mescit" – Gebetsraum – dem gläubigen Konsumenten den schnellen Weg zum nächsten Gebetsteppich. Gerne stellen sich die Manager als aufrechte Muslime vor und ihre Unternehmen als Teil einer neuen gerechten Ordnung. Als Alternative zum gottlosen West-Kapitalismus. Denn ein ungläubiger Kapitalist fürchtet allenfalls die Kapitalmarktaufsicht, ein kapitalistischer Muslim aber auch das jüngste Gericht.
    Der islamische Glaube als Qualitätssiegel für gute Geschäfte. Das Konzept geht auf.

    In ganz Deutschland sind Vertreter des gottgefälligen Yimpas-Konzerns unterwegs. Sie machen die Höfe der Moscheen zum Umschlagplatz für ihre Anteilsscheine. Nach den Freitagsgebeten finden hier auch die ersten Gewinnausschüttungen statt. Vor den staunenden Augen der Gläubigen bekommen diejenigen, die schon Anteile gekauft haben, bares Geld ausgezahlt.

    Wenn es ein Vorzug ist, ein Muslim zu sein, dann ist auch eine muslimische Geldanlage vorzüglich. So glauben viele. Einem gläubigen Menschen unterstellt niemand böse Absichten. So vertrauen sie blind.

    Die Geldeinsammler von Yimpas, so hört man immer wieder von den Opfern, nutzen die religiösen Gefühle aus. Gutgläubig tragen die Menschen ihre Ersparnisse zu Yimpas.

    Im Jahr 2000 erreicht die Welle ihren Höhepunkt. In den Yimpas-Kaufhäusern werden Einzahlstellen eingerichtet.

    Die Warteschlange, um da Geld zu investieren, war an manchen Tagen musste man sich anstellen, bis man dran kam und sein Geld anlegen konnte, verging mindestens eine Stunde.

    Man hat denen das Geld aufgezwungen. Da kamen Leute aus Berlin mit 800.000 D-Mark cash. Das ist nicht der Einzelfall. Da sind richtig gute Beträge reingelaufen.

    In Hinterzimmern werden letzte Zweifel ausgeräumt. Es sind auch viele Rentner unter den Investoren. Wie zum Beispiel Güldane Yenimezbilek, 67 Jahre alt. 80.000 D-Mark legt sie bei Yimpas an. 35 Jahre hat sie dafür in Frankfurter Textilfabriken und bei Hoechst hart gearbeitet. Mit den versprochenen Gewinnausschüttungen will sie ihre Rente aufbessern.

    Yimpas war doch ein religiöses Unternehmen. Sie würden mir nichts Schlechtes tun, habe ich mir selbst gesagt. Ich hatte ein Grundvertrauen. Dennoch habe ich den Kassierer damals gefragt: Pass auf mein Sohn: Ich werde alle meine Ersparnisse bei Ihnen anlegen, wenn Sie mir die nötige Sicherheit geben können. Liebe Tante, hat er gesagt, wenn du willst gebe ich dir dein Geld schon morgen wieder zurück.

    Frau Güldane hat in einem Kaufhaus im türkischen Eskisehir eingezahlt. Murat in einem Geschäft von Yimpas in Köln. Beiden ist von ganz unterschiedlichen Vertretern dasselbe versprochen worden. Erstens: Du bekommst 21 Prozent Gewinnausschüttung. Zweitens: Dein Geld kannst du jederzeit zurückbekommen. Und drittens: Du bist an allen Yimpas-Aktivitäten beteiligt. Versprochen wird, so erzählen Anleger immer wieder, ein absolut risikoloses Investment. So wird der Schatz der Gastarbeiter gehoben.

    Am Ende sind es allein bei Yimpas nach unternehmenseigenen Zahlen 2,9 Milliarden Euro.

    Der Traum vom schnellen Reichtum platzt im August 2002: Vergebens warten die Türken auf die versprochenen Gewinnausschüttungen. Schlimmer noch: Die Yimpas-Kaufhäuser in Deutschland melden Insolvenz an. Zum ersten Mal bekommt ein Außenstehender Einblick. Der Insolvenzverwalter Karl-Heinrich Lorenz. Sein erster Eindruck: In den Kaufhäusern wurde Kapital durch gigantische Misswirtschaft vernichtet. Als Chefs fungierten keine Profis, sondern die örtlichen Mullahs. Informationen bekommt Lorenz von ihnen nicht.

    Man hatte keine Ahnung, wie hoch der Verluststand war, wie das Betriebsergebnis ist. Die leitende Buchhalterin hat auf meine Frage, wie hoch denn die Verluste seien, geantwortet: ich sei der erste, der überhaupt danach fragt.

    Keine Buchhaltung, dauernd wechselnde Ansprechpartner. Bald glaubt der Insolvenzverwalter nicht mehr an bloße Misswirtschaft. Sondern an kriminelle Energie.

    Der Hintergrund ist, mich oder auch Behörden zu verwirren. Es wird Zeit dadurch gewonnen. Man kann Vermögen anderweitig unterbringen, vielleicht auch verschieben.

    Unter den Anlegern macht sich Verzweiflung breit. Kaufhäuser werden geschlossen, die Geldeinsammler sind verschwunden, Telefone abgemeldet. Es wächst die Angst, das Geld verloren zu haben. Auch Güldane Yenimezbilek ist verzweifelt.

    Das Schlimmste ist, dass die eine Hälfte des Geldes meiner Nichte gehörte. Sie hat jahrelang gespart. Am Essen und am Trinken, um sich damit eine Wohnung kaufen zu können. Ich dachte, ich tue ihr einen Gefallen. Wie kann ich ihr nun ihr Geld zurückzahlen? Ich werde wohl meine eigene Wohnung verkaufen müssen.

    Jetzt – drei Jahre nach dem Boom - spielen sich in der türkischen Parallelgesellschaft menschliche Dramen ab. Vielerorts in Deutschland sind türkischstämmige Großfamilien heute heillos zerstritten, weil in der Euphorie der Vater den Sohn, der Onkel den Neffen von der türkischen Geldanlage überzeugte. Nur ein besonders tragischer Fall bekommt zwei Tage lang eine Schlagzeile in der Zeitung: Im Frühjahr 2004 versucht sich eine 54jährige Türkin aus München das Leben zu nehmen. Aus Verzweiflung über den Verlust von 120.000 Euro zündet sie sich selber an. Die Europaausgabe der türkischen Boulevardzeitung Hürriyet berichtet auf der ersten Seite.

    Bis in die BILD-Zeitung schafft es die Tragödie nicht. Auch nach vierzig Jahren scheint die Welt der "Almanci", der "Deutschländer", durch eine unsichtbare Mauer von der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgeschottet. Man kennt ihr Leben nicht, erst recht nicht ihre Probleme. Und wenn Deutschtürken von Türken um ihr Erspartes gebracht werden, scheinen das Geschichten aus einer fremden Welt zu sein, selbst wenn sie sich hinter der nächsten Wohnungstür abspielen.

    Einer, der schon lange vor den Machenschaften der Holdings warnte, ist Turgut Erkekli. Der 65jährige Geschäftsmann lebt in der anatolischen Kleinstadt Yozgat. Anfang der 70er Jahre hat er eine der ersten Holdings überhaupt mitbegründet: Die Yibitas-Holding. Die Idee hinter der Gründung der Yibitas-Unternehmensgruppe war höchst ehrenwert. Die Urheber, allesamt Geschäftsleute aus dem bitter armen Yozgat, wollten ihre Heimatstadt industrialisieren. Das Geld wiederum sollte von den Gastarbeitern in Westeuropa kommen. Die Arbeiter sollten zu Miteigentümern der Industrieanlagen werden. Eine nahezu revolutionäre Idee. Dafür hat Turgut Erkekli Geld gesammelt. Bei der Citroen-Arbeitern in Frankreich, bei den Ford-Arbeitern in Köln. Am Ende haben 19.000 Türken Yibitas-Papiere gezeichnet. Zunächst läuft alles gut. In der Türkei werden Zementfabriken gebaut, eine Tapetenfabrik, eine Ziegelei und eine Futtermittelfabrik. Doch dann ändert die Yibitas ihr Gesicht. Aus dem genossenschaftsähnlichen Unternehmen wird ein Selbstbedienungsladen für die Vorstandsclique. Und für alle, die dabei ein Auge zudrücken sollten. Bestechungsgelder werden gezahlt - zum Beispiel an den staatlichen Prüfer, der das Unternehmen zu beaufsichtigen hatte. Richter, Staatsanwälte, selbst Politiker halten die Hand auf.

    Turgut Erkekli erinnert sich:

    Ich gebe Ihnen ein kleines Beispiel, wie so was läuft: Als ich noch der zweite Direktor war, hat uns Suleiman Demirel, der spätere türkische Staatspräsident, befohlen, Kapital für die Gründung seiner Großtürkischen Partei zur Verfügung zu stellen. Der Vorstandsvorsitzende von Yibitas, Erdogan Akdag, und ich als sein Vize haben das mitgemacht. Erdogan Akdag selbst war sogar im Vorstand dieser neuen Partei. Das hat System in der Türkei. Jede Partei wird bestochen. Damit man nicht behindert wird und einem keine Steine in den Weg gelegt werden. Das funktioniert heute wie damals so.

    Wären keine Schmiergelder gezahlt worden, glaubt Turgut Erkekli heute, dann wäre die kalte Enteignung der 19.000 Anleger wohl nicht so einfach gewesen.

    Turgut Erkekli legt eine Strafanzeige vor, die das türkische Handelsministerium gestellt hat. Darin ist nachzulesen, dass der Vorstand, der einst nur ein Prozent der Anteile besessen hat, heute 84 Prozent der Holding besitzt. Turgut Erkekli weiß noch genau, wie das passiert ist:

    Der Vorstand behauptete, dass das Grundkapital nicht reicht und eine Kapitalerhöhung nötig sei. Weil es das Gesetz so vorschreibt, wurden die Anleger pro forma benachrichtigt. Die aber machten von ihrem Recht neue Anteile innerhalb eines Monats zu zeichnen, keinen Gebrauch. Gleichzeitig wurden sie informiert: Wenn ihr nicht zeichnet, werden die Anteile Dritten angeboten. Der Vorstand aber wusste ganz genau, dass die Arbeiter in Deutschland nicht kaufen würden, weil sie seit Jahren keine Gewinnbeteiligung bekommen hatten. Das Vertrauen war weg. Der Vorstand nutzte genau dies als Gelegenheit und schlug zu. Sie kauften die von ihnen selbst für spottbillig erklärten Wertpapiere auf und verteilten sie unter sich.

    Die Anleger können heute, sagt Turgut Erkekli, mit dem, was ihnen an Gewinnen ausgeschüttet wird, nicht mal eine Packung Zigaretten kaufen. Er selbst wollte bei diesen kriminellen Machenschaften nicht mitmachen. Er wurde ausgebootet. Seitdem hat er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um den geprellten Anlegern zu helfen. Vergebens. Hilflos musste Turgut Erkekli stattdessen zusehen, wie das Geschäftsmodell seiner ehemaligen Yibitas-Holding Jahre später ganz groß Karriere machte. Nun waren es islamische Unternehmer, die bei kleinen Leuten viel Geld einsammelten. Besonders erfolgreich: Dursun Uyar. Der amtierende Vorstandsvorsitzende der Yimpas-Holding. Turgut Erkekli kennt den Mann gut. Dursun Uyar war einst der Chefbuchhalter von Yibitas. Den Yimpas-Anlegern scheint es nun nicht besser zu ergehen als vor Jahren den Yibitas-Teilhabern. Ein Kronzeuge packt aus. Faruk Asiltürk, Ingenieur von Beruf, hat in der Offenbacher Yimpas-Zentrale gearbeitet. Im Januar 2001 stellt Asiltürk Strafanzeige gegen die Yimpas-Verantwortlichen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrugs und Steuerhinterziehung. Über Jahre hat er beobachtet, wie Yimpas-Vertreter Geld in Kisten, Tüten und Koffern aus Deutschland heraus und in die Türkei geschmuggelt haben.

    Die eingesammelten Gelder von den Vertretern wurden hier in der Zentrale in Offenbach registriert, gezählt. Ein sehr geringer Teil wurde hier behalten, um die Kosten, besser die negativen Zahlen, die Verluste auszugleichen. Und der größere Betrag über 95 Prozent wurde durch diese Vertreter in die Türkei gebracht.

    Der Aussteiger behauptet auch, dass das Geld nicht nur unternehmerischen Zwecken diente:

    Herr Dursun Uyar geht mit den Anlegergeldern so um, wie er das möchte. Er finanziert den Wahlkampf, er spendet in Moscheen hübsche hohe Summen. Darüber wissen die Anleger überhaupt nicht Bescheid.

    Inzwischen ermitteln auch deutsche Staatsanwaltschaften gegen die Holding. Doch zwei Sprachen und zwei Rechtssysteme stellen die Ermittlungen vor Schwierigkeiten. Da das Kapital in großen Teilen in die Türkei transferiert worden ist, geht es auch nicht ohne eine Zusammenarbeit mit den türkischen Strafverfolgungsbehörden. Bis heute ist nicht einmal sicher, ob die Yimpas-Manager sich des Kapitalanlagebetrugs schuldig gemacht haben. Oder ob die Anleger einfach zu vertrauensselig waren. Mit dem Koran in der Hand wurden sie geworben, und immer bürgten die Geldeinsammler mit ihrem guten Namen. Die schriftlichen Verträge wurden erst am Ende des Verkaufsgesprächs ausgehändigt – als notwendiges Übel sozusagen.

    Tatsächlich sicherten sich die islamischen Geschäftsleute mit Hilfe des Kleingedruckten im kapitalistischen Vertragsrecht ab. Denn bei der gottgefälligen Geldanlage handelt es sich nicht um ein festverzinsliches Wertpapier mit Rückzahlungsgarantie, wie man die Anleger glauben ließ. Mit den Kauf der Papiere sind die Investoren zu Teilhabern geworden - mit eigenem unternehmerischen Risiko. Der Schatz der Gastarbeiter, darauf deutet alles hin, befindet sich heute in der Türkei. Dort hat Dursun Uyar mit dem Geld der Almanci sein Imperium ausgebaut. Der deutsche Insolvenzverwalter Karl-Heinrich Lorenz hat den mächtigen Vorstandsvorsitzenden mehrere Male getroffen. Sein Urteil steht fest:

    Der Herr Dursun Uyar hat mir gegenüber den Eindruck erweckt, dass er ein sehr freundlicher, mildtätiger Mensch ist, der sehr salbungsvoll spricht. Für mich war aber auch erkennbar, dass er seine Führungskräfte deckt, und dass er hinter der Fassade ein gerissener Geldeintreiber ist, der unter dem Deckmantel des Glaubens Anleger, insbesondere einfache Anleger, das geringe Einkommen an sich zieht, um damit seinen Yimpas-Konzern zu versorgen.

    Zurück bleiben 120.000 Teilhaber – mit Papierscheinen in der Hand, bei denen überaus fraglich ist, ob sie dafür noch einen Cent bekommen werden. Murat Yildirim hat vieles versucht, um sein Geld zurückzubekommen. Mittlerweile hat er die Hoffnung aufgegeben. Mit dem Vater spricht er schon lange nicht mehr über den Verlust. Aus Rücksicht. Sein Freund Hakan versteht das.

    Wir sind jung. Diese 15, 20.000 Euro kann man wieder verdienen. Aber wenn einer 40 Jahre lang arbeitet, Toiletten schrubbt, um das Geld da anzulegen, dann ist das Leben für den Mann zu Ende. Der wird das Geld nie wieder verdienen. Das war seine Rente, die er da verzockt hat.