Ihm geht es darum, "Instrumente zur kritischen Betrachtung der Wirklichkeit zu entwickeln, ohne in ihr unterzugehen.” Das ist, verfolgt man Ginzburgs immer wieder neu geschärfte Perspektive auf das komplexe Verhältnis zwischen jüdischer und christlicher Tradition, durchaus auch in eigener Sache gesprochen. Seine eigene jüdische Identität im katholischen Italien sieht Ginzburg selbst als historisches Ereignis, mit der Ambivalenz aus Nähe und Distanz, wie sie aus der Erfahrung der Verfolgung resultiert. Sein Engagement wie das Bemühen, sein wissenschaftliches Vorgehen für den Leser bis ins Detail nachvollziehbar zu machen, dienen auch der Selbstbeschreibung. Er wird zum Erzähler, um zu verstehen, was geschehen ist. Schon in früheren Büchern, wie in Der Käse und die Würmer über den Alltag eines Müllers im 16. Jahrhundert oder in Hexensabbat über Hexen und Fruchtbarkeitskulte, hat Ginzburg das eindringlich vorgeführt.
In einem Gespräch mit Adriano Sofri hat Ginzburg einmal angehenden Historikern empfohlen, vor allem viele Romane zu lesen, "weil die moralische Einbildungskraft die grundlegenste Sache ist, und über die Romane besteht die Möglichkeit, sein Leben zu vervielfachen.” Man könne so lernen, die Menschen und die Dinge aus der Nähe zu betrachten. "Das grundsätzliche Instrument”, so Ginzburg zu Sofri, "ist das der Entfremdung, der Fremdmachung, die Fähigkeit, bekannte Dinge als unbegreifbar anzusehen.” Eben das ist der Blick von Pinocchios Holzaugen, die Ginzburgs neuem Buch den Titel gegeben haben. So wie Collodi von einem Stück Holz und seinen phantastischen Abenteuern erzählt, so knüpft Ginzburg aus dem je für sich so trockenen Quellengeschäft des Historikers Zitatketten, ein Netz von Verweisen von biblischen Texten über Aristoteles und Augustinus zu Diderot und Tolstoj.
Greifbar wird so die Geschichte, die kulturbildende Funktion von Vorstellungen, wie sie mit Nähe und Distanz verbunden werden. In einem Essay über "Verfremdung” führt Ginzburg vor, wie von Marc Aurel bis zu Proust die Beschreibung des Fremdartigen zur Selbstbeschreibung genutzt wurde, wie daraus eine Technik entstanden ist, die Schleier der Konvention zu lüften, indem ein fremder Blickwinkel eingenommen wird. Montaigne berichtet von drei brasilianischen Ureinwohnern, die nach Frankreich gebracht worden waren und in deren fremdem, so wenig selbstverständlichem Blick, die Ungerechtigkeiten der europäischen Verhältnisse unverfälscht ans Licht treten. "Weniger verstehen, naiv sein, staunen sind die Reaktionen, die bewirken können, daß wir mehr sehen”, das, was der Wut der Verstehens verborgen bleiben muß. Vor "falschen Vorstellungen”, so schrieb Marc Aurel, muß man sich hüten und Ginzburg will lieber von der Wirklichkeit lernen, als ihr ein Schema überzustülpen. Dazu ist es notwendig, so Ginzburg, die Tradition der Behauptung zu verstehen, daß vor allem die Mythen verantwortlich für die "falschen Vorstellungen” von der Wirklichkeit seien. Bei Macchiavelli, Hobbes oder Nietzsche findet sich, daß der Vorwurf der Lüge dem Mythos einen Wahrheitsanspruch gegenüberstellt, der wiederum eine Geschichte hat, die von der politischen Manipulation der Mythen erzählt. Ein Mythos ist für Ginzburg "eine Erzählung, die schon erzählt wurde”, sie ist vertraut, doch ist in ihr die Grenze zwischen wahr und falsch aufgehoben.
Die Ideologisierung des Stilbegriffs in der jüngeren Vergangenheit ist für Ginzburg ein Beispiel dafür, wie das kulturelle Ineinander von Nähe und Distanz für politische Macht zerschlagen wird. Während schon Cicero und Augustinus sich die Gleichzeitigkeit verschiedener Stile vorstellen konnten, erwuchsen aus der mit Winckelmann im 18. Jahrhundert aufkommenden Vorstellung, Stil könne nicht nur nachgeahmt, sondern auch biologisch weitergegeben werden, schließlich auch rassistische und nationalistische Stildefinitionen. Statt Einzigartigkeit zu betonen, plädiert Ginzburg für den Vergleich verschiedener Stile, dafür, ihre innere Verschiedenheit zu akzeptieren und durch Übersetzungen Zusammenhänge herzustellen. In einem Essay über die Metapher der Perspektive zeigt Ginzburg, wie das unmittelbar Wirkliche erst aus der Ferne Gestalt gewinnt. Die moralischen Implikationen dieser Metaphorik erläutert Ginzburg an der Frage nach den kulturellen Grenzen des Mitleids. Nicht nur Balzac und de Sade haben denkbar verschieden die Frage diskutiert, von welcher Distanz an das Gewissen sich nicht mehr meldet, wenn es darum geht, einen Menschen zu töten. Auch NATO-Luftangriffe halten diese Fragen aktuell.
In einem Gespräch mit Adriano Sofri hat Ginzburg einmal angehenden Historikern empfohlen, vor allem viele Romane zu lesen, "weil die moralische Einbildungskraft die grundlegenste Sache ist, und über die Romane besteht die Möglichkeit, sein Leben zu vervielfachen.” Man könne so lernen, die Menschen und die Dinge aus der Nähe zu betrachten. "Das grundsätzliche Instrument”, so Ginzburg zu Sofri, "ist das der Entfremdung, der Fremdmachung, die Fähigkeit, bekannte Dinge als unbegreifbar anzusehen.” Eben das ist der Blick von Pinocchios Holzaugen, die Ginzburgs neuem Buch den Titel gegeben haben. So wie Collodi von einem Stück Holz und seinen phantastischen Abenteuern erzählt, so knüpft Ginzburg aus dem je für sich so trockenen Quellengeschäft des Historikers Zitatketten, ein Netz von Verweisen von biblischen Texten über Aristoteles und Augustinus zu Diderot und Tolstoj.
Greifbar wird so die Geschichte, die kulturbildende Funktion von Vorstellungen, wie sie mit Nähe und Distanz verbunden werden. In einem Essay über "Verfremdung” führt Ginzburg vor, wie von Marc Aurel bis zu Proust die Beschreibung des Fremdartigen zur Selbstbeschreibung genutzt wurde, wie daraus eine Technik entstanden ist, die Schleier der Konvention zu lüften, indem ein fremder Blickwinkel eingenommen wird. Montaigne berichtet von drei brasilianischen Ureinwohnern, die nach Frankreich gebracht worden waren und in deren fremdem, so wenig selbstverständlichem Blick, die Ungerechtigkeiten der europäischen Verhältnisse unverfälscht ans Licht treten. "Weniger verstehen, naiv sein, staunen sind die Reaktionen, die bewirken können, daß wir mehr sehen”, das, was der Wut der Verstehens verborgen bleiben muß. Vor "falschen Vorstellungen”, so schrieb Marc Aurel, muß man sich hüten und Ginzburg will lieber von der Wirklichkeit lernen, als ihr ein Schema überzustülpen. Dazu ist es notwendig, so Ginzburg, die Tradition der Behauptung zu verstehen, daß vor allem die Mythen verantwortlich für die "falschen Vorstellungen” von der Wirklichkeit seien. Bei Macchiavelli, Hobbes oder Nietzsche findet sich, daß der Vorwurf der Lüge dem Mythos einen Wahrheitsanspruch gegenüberstellt, der wiederum eine Geschichte hat, die von der politischen Manipulation der Mythen erzählt. Ein Mythos ist für Ginzburg "eine Erzählung, die schon erzählt wurde”, sie ist vertraut, doch ist in ihr die Grenze zwischen wahr und falsch aufgehoben.
Die Ideologisierung des Stilbegriffs in der jüngeren Vergangenheit ist für Ginzburg ein Beispiel dafür, wie das kulturelle Ineinander von Nähe und Distanz für politische Macht zerschlagen wird. Während schon Cicero und Augustinus sich die Gleichzeitigkeit verschiedener Stile vorstellen konnten, erwuchsen aus der mit Winckelmann im 18. Jahrhundert aufkommenden Vorstellung, Stil könne nicht nur nachgeahmt, sondern auch biologisch weitergegeben werden, schließlich auch rassistische und nationalistische Stildefinitionen. Statt Einzigartigkeit zu betonen, plädiert Ginzburg für den Vergleich verschiedener Stile, dafür, ihre innere Verschiedenheit zu akzeptieren und durch Übersetzungen Zusammenhänge herzustellen. In einem Essay über die Metapher der Perspektive zeigt Ginzburg, wie das unmittelbar Wirkliche erst aus der Ferne Gestalt gewinnt. Die moralischen Implikationen dieser Metaphorik erläutert Ginzburg an der Frage nach den kulturellen Grenzen des Mitleids. Nicht nur Balzac und de Sade haben denkbar verschieden die Frage diskutiert, von welcher Distanz an das Gewissen sich nicht mehr meldet, wenn es darum geht, einen Menschen zu töten. Auch NATO-Luftangriffe halten diese Fragen aktuell.