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Home in Georgia

Mit Liedern wie "Dock of the Bay" landete Otis Redding einige Welterfolge. Die Heimatstadt des Musikers, Macon, liegt östlich von Atlanta im Staat Georgia und bietet noch heute Südstaatenflair, leckere Eisbuden und reizvolle Flusslandschaften: ein Spaziergang auf den Spuren des Musikers Otis Redding.

Von Rudi Schneider |
    "I left my home in Georgia" - Otis Redding hatte sein Home in Georgia zumindest zeitweise mit der San Francisco Bay getauscht, wo er Konzerte gab. Er wohnte während dieser Zeit in der Hausbootkolonie von Sausalito an der Nordseite der Golden Gate Bridge, und genau dort kann man stundenlang den Schiffen zuschauen, die, vom Pazifik kommend, unter der Golden Gate in die San Francisco Bay einfahren und in den Docks anlegen.

    Aber: Das Home in Georgia - das fiel mir im Text schon Ende der sechziger Jahre auf, als der Song ganz oben in der Hitliste lief. Heute, 40 Jahre nach diesem Erfolg, lud mich seine Tochter Karla nach Georgia ein, um sein "Home in Georgia" kennenzulernen, und das lag zum damaligen Zeitpunkt noch vor den Toren der Stadt Macon, östlich von Atlanta.

    "Macon war unser Zuhause. Ich habe schöne Erinnerungen an meinen Vater, als wir noch auf der Ranch lebten. Er war ein leidenschaftlicher Farmer, und er liebte unseren Garten. Als Kinder hingen wir immer an seinen Füßen, wenn er zuhause war. Er hatte viel zu tun, aber wenn er zuhause war, war er wirklich für uns da."

    Karlas Augen blitzen lustig, während sie sich an ihre Kindheitstage erinnert. Ihren Vater kann sie wahrlich nicht leugnen. Ihre Gesichtszüge, ihre Bewegungen und sogar ein gewisser Klang in ihrer Stimme zeigen viele Ähnlichkeiten. Heute wohnt die Redding-Familie im Herzen der Stadt am Ocmulgee River, die wir mit ihr kennenlernen wollen. Von allen Jahreszeiten ist es der Frühling, der Macon zu einem Fest für die Sinne macht. Die Kirschbaumblüte ist ein Feuerwerk der Natur.

    " Die Blüte beginnt mit Tausenden von Kirschbäumen, die unsere Stadt in ein Blütenmeer verwandeln. Das beginnt Ende März. Zu den blühenden Bäumen kommen unzählige Tulpen und andere Blumen. Von Norden bis Süden ist die Stadt ein Berg von Blumen, und das berührt deine Seele und lässt dich lächeln. Macon ist eine wunderbare Stadt."

    Die Lebensader der Stadt ist seit der Zeit der ersten Besiedlungen vor 12.000 Jahren der Ocmulgee River, dem die Creek Indians vor 1000 Jahren den Namen gaben, erzählt uns Ruth Sykes, die sich zu uns gesellt hat.

    "Ocmulgee ist ein Creek-Wort und bedeutet blubberndes Wasser. Der Grund für die Luftbläschen im Wasser sind Stromschnellen nördlich von Macon. Als die Stadt 1823 gegründet wurde, war Macon eine Hafenstadt. Schiffe konnten von der Küste in Savannah bis hierher kommen, und so konnte die Baumwolle, die hier angebaut wurde, sehr einfach in den Hafen von Savannah transportiert werden."

    Die Creek-Indianer siedelten am Nordufer des Flusses in hügeligem Gelände, in dem heute noch einzigartige Artefakte ihrer Siedlung zu finden sind. Von den Hügeln hat man einen unvergleichlichen Blick auf die Stadt. Heute befindet sich dort das Ocmulgee National Monument, das mehrere Grabhügel, den Tempelhügel und die große Earth-Lodge umfasst. Die Earth-Lodge ist ein Erdhaus, das wir durch einen engen, zehn Meter langen Eingangstunnel betreten, der in eine runde zentrale Halle mündet.

    Im Lehmboden befinden sind mehr als 40 Erdmulden, die sich entlang der Außenwand gruppieren. Die Sitzmulde mit dem höchsten Sitzniveau war der Sitz des Häuptlings. "Je weiter die anderen Sitzmulden von ihm entfernt sind, desto niedriger wird ihr Niveau, was offenbar der sozialen Rangordnung des Sitzinhabers entsprach", erzählt uns Parkranger Jim Branan.

    "Dieses Erdhaus war ein öffentliches Gebäude. Es war gleichzeitig Gericht, Rathaus und Kirche. Der Lehmboden im Inneren ist 1000 Jahre alt, und das Gebäude ist das älteste restaurierte Gebäude der Vereinigten Staaten."

    Diese Hügel sollten in der jüngeren Geschichte Macons noch einmal eine wichtige Rolle spielen. Von hier aus wurde die einzige Kanonenkugel abgeschossen, die im Amerikanischen Bürgerkrieg je auf die Stadt abgefeuert wurde. Der Historiker und Autor Jim Barfield begrüßt uns in der Stadt genau dort, wo diese Kanonenkugel einschlug.

    "Von einem der Indianerhügel jenseits des Flusses feuerten sie eine Kanone ab. Die Kugel flog anderthalb Meilen, schlug hier vorne vor dem Haus auf, bohrte sich durch eine der großen Säulen, krachte dann durch die Hauswand, und blieb vor den Füßen der zu Tode erschrockenen Lady des Hauses liegen, die gerade mit einer Näherei beschäftigt war. In späteren Jahren zeigte sie dann zu besonderen Anlässen diese Kanonenkugel gerne den Besuchern."

    Diese wunderschöne Greek Revival Villa trägt heute folgerichtig den Namen Cannonball House und befindet sich in der Mulberry Street. Und weil das Cannonball House das einzige Haus in Macon ist, das je von einer Kanonenkugel getroffen wurde, ist die Stadt heute geradezu eine Schatztruhe an Antebellum Häusern - und lässt den Besucher wie keine andere Stadt ein Flair wie in den bekannten Südstaaten-Romanen erleben.

    Am Abend sind nahezu alle dieser Prachthäuser in einer Weise beleuchtet, die die architektonischen Besonderheiten sehr geschmackvoll hervorheben. Karla Redding lebt heute in diesem Viertel, wo die Zeit stehen geblieben ist, und erzählt von Ihrer Mutter Zelma.

    "Sie sagte immer zu meinem Vater: "Warum kaufen wir nicht ein Haus auf der College Avenue?" Sie liebte diese wunderbaren Antebellum Häuser. Heute wohnen wir dort. Mein Onkel wohnt in der Nähe meiner Mutter, mein Bruder hat sein Haus um die Ecke. Die historischen Antebellum Häuser haben ein unglaubliches Flair, besonders das Hay House. Alleine von außen lässt es eine interessante Geschichte ahnen."

    Während Karla noch erzählt, sind wir am Hay House in der Georgia Avenue angekommen. Das Hay House, das 1859 fertiggestellt wurde, ist im italienischen Renaissance Stil erbaut und ist eines der schönsten Häuser seiner Art in den gesamten Südstaaten. Die zentrale breite Marmortreppe lädt zur Zeitreise ein.

    "Palast der Südstaaten", so nannte man dieses Haus, in dem zwei Familien über drei Generationen lebten. William Butler Johnston erbaute diesen Palast, und siebzig Jahre später verkauften seine Nachfahren das prachtvolle Anwesen an Parks Lee Hay, einem Versicherungsmagnaten.

    Die meisten Räume der Eingangsetage wurden für gesellschaftliche Anlässe genutzt, was sich in der Wahl erlesener Möbel, aufwändiger Dekoration und großzügiger architektonischer Gestaltung widerspiegelt. Die Johnstons waren anlässlich ihrer Hochzeitsreise monatelang durch Italien gereist und haben nicht nur Gestaltungsideen, sondern einen Großteil der Möbel und Dekorationsgegenstände mitgebracht. Ihre Geschichte wäre schon alleine ein Roman wert. An der Tür zum Dining-Room erwartet uns Jim Barfield.

    "Wir befinden uns im Esszimmer. Der viktorianische Stil der Einrichtung ist bemerkenswert. Die Schnitzereien im dunklen Holz stammen aus Deutschland. Das außergewöhnliche Bleiglasfenster am Ende des Raumes dominiert die ganze Szene mit der Darstellung einer Weinrebe in allen vier Jahreszeiten."

    "Dieser schöne Klang kommt vom Gong des Esszimmers. Nachdem serviert war, rief Mr. Hay damit seine Töchter zum Essen. Die Damen hatten dann fünf Minuten Zeit, um in voller Abendgarderobe zum Dinner zu erscheinen".

    Die Damen in voller Abendgarderobe: In diesen Räumen braucht die Fantasie des Besuchers kaum mehr einen Anstoß, um sich in die Szenen des damaligen Lebens zu versetzen. Ganz in der Nähe des Dining-Rooms befindet sich eine geheimnisumwobene Kammer.

    Im Nebenraum, es war der Ballsaal, steht noch der Originalflügel. Ich lasse meine Finger über die Tasten gleiten - und die wenigen Töne rufen Bilder von rauschenden Ballnächten hervor, und selbst im Park hinter dem Haus sieht man am Brunnen die Damen in bodenlangen Reifröcken lustwandeln. Unser weiterer Weg führt nun bergan in die Poplar Street, wo die St. Josephs Church die Stadt überragt.

    "St. Josephs ist die prächtigste Kirche in der Stadt. Man fühlt sich dem Himmel ein Stück näher, wenn man sie betritt."

    "Der Jesuitenpater Joseph Winkelried wurde 1888 mit den Planungen dieser bemerkenswerten Kirche beauftragt, die 1923 in der Jahrhundert-Jubiläumsausgabe des 'Macon Telegraph' als eine der schönsten Kirchen der Südstaaten gefeiert wurde," erzählt Ruth Sykes.

    "Sie sieht aus wie eine Kathedrale mitten im Herz einer Südstaaten-Stadt. Wir schauen auf die rote Ziegelstein-Architektur mit einer großartigen Bleiverglasung. Das Rosenfenster ist spektakulär. Im Inneren sieht dieses Fenster bei entsprechendem Sonnenlicht unbeschreiblich schön aus. Diese wunderschönen italienischen Marmorstufen führen uns zum hölzernen Portal. Lassen Sie uns hineingehen."

    "Schauen Sie sich diese wunderschönen bayerischen Bleiglasfenster an. Diese achtzehn Fenster mit unterschiedlichen Szenen der Bibel wurden in den Mayer-Studios in Bayern, in der Nähe von München, geschaffen."

    Während die Töne der Orgel noch in unseren Ohren nachklingen, begeben wir uns wieder auf unseren Spaziergang durch Macon. "Musik", erzählt uns Karla Redding, "ist ein wesentlicher Teil der Geschichte der Stadt". Neben ihrem Vater Otis sind es Namen wie Ray Charles, Little Richard, die Allman Brothers, James Brown und viele andere mehr, die untrennbar mit der Stadt verbunden sind. Sie haben ihre Spuren nicht zuletzt in der Georgia Music Hall of Fame hinterlassen, die man auf dem Martin Luther King Boulevard besuchen sollte. An der Ecke des Douglas-Theaters hält Karla inne, und ein Schmunzeln huscht über ihr Gesicht.

    "Es gibt so viele historische Ereignisse, die meinen Vater und meine Familie mit Macon verbinden. Beispielsweise trafen sich mein Vater und meine Mutter zum ersten Mal am historischen "Douglas-Theater", wo er jeden Samstag an den Wettbewerben teilnahm. Auf dem Heimweg trafen sie sich genau an der Ecke des "Douglas-Theaters", an der Bushaltestation, und verliebten sich."

    "Und da ist noch was," schmunzelt Karla, "was ich nie vergessen werde".

    "Wenn mein Vater zuhause war und etwas Zeit hatte, dann kauften wir uns als erstes Eiscreme. Außer meiner Mutter lieben wir alle Eiscreme. "Baskin Robbins" in Ingleside war unsere erste Wahl, und wir haben wirklich jede erdenkliche Sorte probiert, die sie hatten, denn mein Vater liebte Eiscreme über alles."
    Gesagt, getan. Baskin Robbins gibt es noch heute, und wir gönnen uns dort eine köstliche Erfrischung. Einmal mehr bleibt festzustellen, dass kulinarische Genüsse in den Südstaaten zwei Effekte haben, sie sind unvergleichlich lecker - und die Kalorien sollte man lieber nicht zählen.

    Nach dem köstlichen Eis schlendern wir zum Ocmulgee River hinunter, wo der Gateway Park zum Flanieren einlädt. An der Brücke des Martin Luther King Boulevards endet unsere gemeinsame Wanderung an einer Bronzestatue ihres Vaters Otis, der auf den Fluss schaut und gerade mit der Gitarre in der Hand jenen Song zu singen scheint, der von seinem Home in Georgia erzählt.

    "Ich wusste natürlich, dass er nur vorübergehend in San Francisco war und dass er immer wieder in sein "Home nach Georgia" zurückkehren würde. Hier war sein zuhause, hier wollte er immer sein, und hier ist er. Und wir, die Redding Familie, leben immer noch im Herzen von Macon. Das ist unser "Home in Georgia", und hier ist auch mein Vater beerdigt. Wir alle sind mit den Menschen in Macon und dem Staat Georgia eng verbunden."