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"Homers Illias - Achill in Afghanistan"

Volker Lösch wendet sich am Staatstheater Stuttgart dem Krieg in Afghanistan zu. Getreu seiner Devise: "Kunst ohne Anbindung an das Draußen, an die Zeit, in der ich lebe, finde ich sinnlos", ist in diesem Fall Homer mit der Illias der Ideen-und-Entwürfelieferant.

Von Christian Gampert | 15.10.2011
    Das differenzierende Denken war die Sache von Volker Lösch noch nie. Im Gegenteil: unter den Theatermenschen ist Lösch der erste Wutbürger der Republik - mit all der Bigotterie, die damit verbunden ist. Lösch lässt etwa (in Hamburg) die empörenden Einkommensverhältnisse von Millionären auf dem Theater verlesen, aber er schweigt natürlich über die eigenen Regiegagen. Setzte man die in Bezug zum Hirnschmalz, das Lösch für seine Arbeiten aufwendet, so haben die Hamburger Millionäre durchaus faire Tarife.

    Löschs Obsessionen sind der Kapitalismus und der Krieg, die er mit dem Furor eines teutonischen Oberschülers bekämpft, mit starkem Hang zu nervender Selbstinszenierung. Die Ilias, zum Beispiel, die Lösch jetzt in Stuttgart aufführt, ist eigentlich ein großer Gesang, es geht um Götter und Menschen, um komplizierte Beziehungen und die ausweglose Situation vor Troja. Bei Lösch ist die Ilias ein großes Gebrüll, es geht um dumme Männer in Röcken und leider auch um dumme Frauen. Die Ilias zeigt den Zorn des Achill, dem der eitle Heerführer Agamemnon eine Beutefrau wegnimmt. Das hoch subventionierte Staatstheater Stuttgart zeigt jetzt exklusiv - und vier Stunden lang - den Zorn des Volker Lösch auf die Bundesrepublik Deutschland. Der Zorn ist ja berechtigt; aber wer völlig unmusikalisch ist, sollte nicht Beethovens Neunte dirigieren.

    In einer Art Textcollage haben Lösch und die Dramaturgin Beate Seidel Homers Epos mit den verschwitzten Äußerungen deutscher Afghanistan-Soldaten zusammengebracht. Die sprechen so, wie Bundeswehr-Angehörige das eben tun: kleinbürgerlich vulgär und mit entwaffnender Offenheit. Vom Grauen des Krieges erfährt man dabei ungefähr so viel wie beim Veteranentreff oder bei Guido Knopp, also das, was man schon weiß. Vor allem fühlt man nichts dabei. Der proseminaristische Kurzschluss, der kleine dreckige Krieg in Afghanistan sei dem großen Krieg um Troja vergleichbar, ist ja auch völlig falsch: am Hellespont geht es um eine sexuelle Kränkung und das Verlangen, den Gegner völlig zu vernichten; am Hindukusch geht es um höchst strategische Interessen und eine für alle Beteiligten zermürbende Besatzungspolitik.

    Der Regisseur Matthias Hartmann hat kürzlich in Wien Tolstois "Krieg und Frieden" auf die Bühne gebracht. Das geht so, dass die Schauspieler ansagen, was passiert, und dann spielen, was passiert. Diese relativ einfältige Dramaturgie ist aber um Klassen differenzierter als das bioenergetische Brülltheater, mit dem Lösch das Publikum foltert und klein macht. Karl-May-Festspiele, pseudotragisch aufgeblasen und mit Attac-Gestus, die Götter als politische Klasse, die antiken Kämpfer immer auf Overdrive. Agieren statt reflektieren.

    In Stuttgart sieht man unglaublich schlechte Schauspieler mit Spielzeug-MPs, die von Lösch unglaublich schlampig inszeniert werden: so wenig wie der Krieg die Menschen respektiert, so wenig respektiert Lösch seine Akteure. Der Agamemnon: ein spotzendes Monster. Die Hera: eine hysterische Schlampe. Der Achill: ein Nachwuchs-Turner mit zu viel Testosteron. Der Chor: eine Art Straf-Bataillon. Und während man noch hofft, dass Unteroffizier Lösch seinen Kasernenhof-Sound wenigstens zeitweise mal verlässt und aus den Knobelbechern fährt, passiert schon das nächste Unglück: es regnet massenweise Soldatenstiefel auf die Bühne - und diese Schuh-Berge, die unwillkürlich die Ausschwitz-Assoziation auslösen, sind die eigentliche Obszönität des Abends. Wer das Sterben von Soldaten im Einsatz, wer das miese kleine Afghanistan-Abenteuer mit dem Holocaust vergleicht, mit dem Vergasen von 6 Millionen Juden, der hat, mit Verlaub, nicht mehr alle Tassen im Schrank.

    Der gerechte Krieg, den die Alliierten gegen Hitler geführt haben, ermöglicht es dem Regisseur Volker Lösch, heute seinen pauschalisierenden Antikriegs-Nonsense zu verbreiten - am Ende gibt es kübelweise Theaterblut und Eingeweide, es sieht aus wie im Schlachthaus oder bei einer schamanischen Séance. Natürlich ist Krieg furchtbar; furchtbar aber ist auch Löschs intellektuelle Unterforderung des Publikums, das seine eigene Entmündigung allerdings eifrig beklatscht. Stuttgart ist langsam ein Fall für den Sektenbeauftragten. Und mancher braucht hier dringend einen Therapieplatz - außerhalb des Theaters.