Mittwoch, 24. April 2024

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"homo faber" - Ein ewig Suchender

Stefan Pucher macht zunächst das, was er am besten kann: Eine ironische Distanzierung vom Inhalt. Auf der Bühne sehen wir ein Talkshow-Podium. Wassergläser, Fünfzigerjahre-Mikrofone, Fernsehbildschirm. Herein schlurfen vier lethargische Max Frisch-Doubles. Der technikgläubige, nüchterne Rationalist Werner Faber, das Alter Ego des ehemaligen Architekten Max Frisch, vierfach geklont, langweilig und lebensüberdrüssig, stellt sich vor:

Von Dorothea Marcus | 06.12.2004
    Ich bin nicht blind, nicht zynisch, nicht pervers. Ich bin nur, was Frauen nicht vertragen, durchaus sachlich. Kein Unmensch. Ich bin zwar kein Genie, immerhin ein Mann in leitender Stellung.

    Wandelnde Tote, diese Fabers, mit grauen Händen, Tweedjacken, Schläfen, die uns in einer Bekennertalkshow ihre erkaltete Psyche aufnötigen. Nach und nach setzen sich die Figuren aus Fabers Leben dazu, seine amerikanische Freundin als rotohriges Playboyhäschen, die alte Liebe Hannah von der "Krankheit Mann" frustiert. Und wie so oft bei Romanadaptionen entwickelt sich aus dieser frontalen Anordnung kein theatraler Zugriff, bleibt es eine Mischung aus Aufsagetheater und flacher Nummernrevue, aufgelockert nur durch ein paar 50er-Jahre-Fernsehspots und mehr schlecht als recht gesungenen Songs.

    Und auch als die bunten Reisen nach Guatemala, Mexiko, Caracas beginnen, bauen die Bühnenarbeiter mit Hängematten, Palmwedeln, Pappgeiern und Liegestühlen eher ein vollgestelltes Kinderzimmer vor uns auf. Fabers Welt scheint ebenso zweidimensional und schal wie die Inszenierung. Wer zu genau auf die Dinge sieht, nimmt ihnen den Zauber, wer sein Schicksal leugnet, hat selber Schuld. Warum soll jemanden heute noch dieser öde Faber-Beamte interessieren, warum um alles in der Welt soll man den Roman in verteilten Rollen aufführen, einzig, um zu erzählen, wie wenig er uns heute betrifft? Doch während sich die Kritiker noch wütend und enttäuscht zurücklehnen, geschieht ein erstaunlicher Umschwung: Als Walter Faber sich in die junge Sabeth verliebt, die eigentlich seine Tochter ist, wird es auf einmal zu gefühlvollem Schauspielertheater, die flache Faber-Welt farbig und vielschichtig. Schlagartig verjüngt sich Homo Frisch. Und während auf Video hinter ihm bereits der Todesgeier blinzelt, verwandelt Daniel Lommatzsch den nüchternen Technokraten in einen jugendlichen Zweifler:

    Ich weiß nicht, WIE verdammte Seelen aussehen. Ich kann mich auch nicht dazu entschließen, etwas wie die Ewigkeit zu hören. Ich weigere mich, Angst zu haben aus bloßer Fantasie.

    Und weil man Frischs Jahrhundertbuch 47 Jahre nach seiner Entstehung wohl nicht zeigen kann, ohne seine ausufernde Rezeptionsgeschichte zu bedenken, berichten Zürcher Intellektuelle auf der Leinwand von Leseerfahrungen und Lieblingsstellen. Homo Faber: das Lebensbegleitbuch von Pubertierenden, hat uns alle zutiefst geprägt. Ein Roman von zeitloser Gültigkeit, schwadroniert der jugendliche Homo Frisch als Reich-Ranicki, während er leidenschaftlich die blondierte Sabeth küsst. Ein frauenfeindliches Abziehbild, lassen sich drei Krankenschwestern feministisch aus, bevor sie ihn plötzlich in die Gummizelle abführen. Die Grenzen verschwimmen: Denn all dies hier könnte auch ein Künstlerdelirium sein, oder eine Altherrenfantasie. Oder doch eine fürchterlich unabwendbare Tragödie, in der ein Mann den Tod des Mädchens verschuldet, das ihn ins wahre Leben zurückgeführt hat. Sie betrifft uns eben doch, diese Metamorphose eines Technokraten zum Sterblichen.

    Vollends abgeschlossen ist sie, als der letzte, sechste Faber-Klon erscheint: Robert Hunger-Bühler, ein rührend altes, offenes Kindergesicht, projiziert in einen riesigen antiken Gipskopf. Der zum Gefühl Erwachte ist eingeschlossen in ein Schicksal von griechischer Wucht. Faber-Frisch, der Unberührbare, ist zum Romantiker geworden, zum zärtlichen Worte-Erfinder, wohl auch zum Künstler. Nach der Pause sitzt er einsam auf der Bühne, auf dem Video balanciert er auf einem Flugzeuggerippe. Die menschliche Hybris, das Flugzeug, ist abgestürzt. Und so endet, was so distanziert begann, als pathetisch-romantischer Abend über die Unausweichlichkeit des Todes, über die Einsamkeit des Menschen vor der universalen Ungewissheit. Und ist ein großartiges Beispiel, wie Romane eben doch für die Bühne adaptiert werden können: nämlich dann, wenn theatrale Formen den Inhalt neu und frisch erzählen.