Montag, 29. April 2024

Archiv


Homo Sapiens wird Homo Zappiens

In den letzten Jahren hat sich im bereich Lernsoftware viel getan. Herausragende Beispiele sind neue CD-ROMs zum Erlernen von Sprachen, die den gymnasialen Englisch- und Französischunterricht begleiten und oft das weit in den Schatten stellen, was der Frontalunterricht bietet. In der letzten Woche traf sich die E-Learning-Gemeinde auf der Educa in Berlin.

Von Mariann Unterluggauer | 03.12.2005
    Es gibt viele Werkzeuge, die das Lernen unterstützen, aber keines sei so erfolgreich wie Powerpoint. Zumindest ist das das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Studie von Brandon Hall, dem Gründer der Firma "Brandon Hall Research". Und auch kaum ein Vortragender auf der elften internationalen Konferenz für technikunterstütztes Lernen und Training, kurz online educa, verzichtete auf die Unterstützung dieses Präsentationsprogramms von Microsoft. Powerpoint, so die Studie, sei das erfolgreichste Werkzeug für e-learning.

    " Powerpoint wird heute massiv eingesetzt. Es dient nicht nur der Vermittlung von Wissen, sondern mit diesem Präsentationsprogramm werden auch Inhalte hergestellt. Dabei gibt es natürlich auch andere Techniken, vor allem, um das elektronische Lernen zu unterstützen: Weblogs etwa, also Tagebücher im World Wide Web, oder Wikis, das Lesen und Schreiben von Artikeln in der Online-Enzyklopädie Wikipedia."

    Diese Techniken fördern die Zusammenarbeit, aber sie nehmen damit nur eine unterstützende Rolle ein. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern, denn wenn es um die Vermittlung spezieller Lerninhalte geht, scheint der Frontalunterricht, also eben zum Beispiel Vorträge mit Powerpoint, dem vernetzten Austausch überlegen zu sein.


    Powerpoint hat nicht nur Freunde: für den prononciertesten Kritiker, den Informationsdesigner Edward Tufte, steht Powerpoint zuallererst für Informationsarmut. Schließlich würden sich auf den meisten dieser "digitalen Overheadfolien" nicht mehr als 40 Wörter finden – schon eine einfache Tabelle würde mehr Wissen vermitteln als die allseits übliche Auflistung mit Kernpunkt.

    Für Wim Veen von der technischen Universität in Delft, Holland, ist nicht nur der verstärkte Einsatz von Powerpoint ein Zeichen für das wachsende Unverständnis von Lehrern und Erziehern gegenüber der Generation, die inmitten von digitalen Werkzeugen aufwächst. Die könne man seiner Meinung nach nicht mehr zur Spezies der Homo "Sapiens" zählen, sondern zur Gattung der Homo "Zappiens", abgeleitet von "zappen", dem endlosen Wechseln von Fernsehprogrammen. Das müsse man jetzt eigentlich Kulturtechnik nennen, für Wim Veen ist es schlicht ein Ausdruck eines neuen digitalen Lebensstils.

    Homo "Zappiens" lesen keine Handbücher. Wenn sie zum Buch greifen, dann lesen sie nicht linear, sondern von oben nach unten. Lernen sei für sie ein Videospiel. Sie sind in der Lage mit zehn Kollegen gleichzeitig zu kommunizieren und wechseln bei online Spielen zumeist zwischen vier verschiedenen Charakteren hin und her, so Wim Veen. In seinem Vortrag präsentierte er auch eine Untersuchung über die Onlinezeiten von Teenagern. Der zufolge gibt es nur zwei Zeitspannen, bei denen Kinder weder am Computer noch vor dem Fernseher sitzen, und auch nicht ihr Handy benutzen würden: in der Früh und während des Unterrichts.

    Nur selten wurde auf der "online educa" hinterfragt, welches Wissen mit Hilfe von Technik eigentlich vermittelbar und erlernbar sei. Und nur einmal stellte jemand auf dem Podium die Frage, ob nicht auch lineares Denken zur Wissensaneignung notwendig sei genauso wie rationales Denken, Reflektion und Ruhe. Aber als diese Frage fiel, war die Veranstaltung fast zu Ende und kaum mehr ein Zuhörer im Raum. Und so blieb sie leider unbeantwortet.