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Hongkong-Proteste
"Die Bewegung hat jetzt schon Geschichte geschrieben"

Die Hongkonger Studentenproteste haben viel Unterstützung und Solidarität aus der Bevölkerung bekommen, sagt Gabriele Gauler, Leiterin des Goethe-Instituts Hongkong. Die Auflehnung gegen die chinesische Staatsregierung sei vor allem Ausdruck einer eigenen Hongkonger Identität aus der Zeit des britischen Protektorats. Es gehe vielen jungen Menschen auch u die Zukunft nach 2047, wenn der Sonderverwaltungsstatus gegenüber China endet.

Gabriele Gauler im Gespräch mit Dina Netz | 30.09.2014
    Demonstranten in Hongkong.
    Demonstranten in Hongkong. (AFP / Alex Ogle)
    Dina Netz: Zehntausende demonstrieren in diesen Tagen in Hongkong gegen die chinesische Zentralregierung, genauer gegen den aktuellen Hongkonger Verwaltungschef und dagegen, dass bei der Wahl des Verwaltungschefs 2017 nur handverlesene Kandidaten zugelassen werden sollen. Eigentlich gilt für Hongkong die weitgehende Autonomieregelung "ein Land, zwei Systeme".
    Hintergrund ist, dass Hongkong britische Kolonie war, bis 1997 der chinesische Staat die Stadt aufnahm. Seitdem hat es Proteste wie jetzt allerdings nicht gegeben. Und aus welchem Geist die eigentlich kommen, das wollte ich von Gabriele Gauler wissen, der Leiterin des Goethe-Instituts in Hongkong. Ich habe sie gefragt: Frau Gauler, die Regenschirm-Demonstranten, wie man sie nennt, das sind überwiegend junge Menschen. Viele sind Studentinnen und Studenten. Die nicht so recht freie Wahl des Verwaltungschefs ist ja wohl nur der Auslöser. Worum genau geht es bei den Demonstrierenden?
    Gabriele Gauler: Es ist so, dass mit der Übergabe Hongkongs an China 1997 sich hier schon so eine gewisse Hongkong-Identität entwickelt hat, und die wird gerade von den jungen Leuten sehr stark in Anspruch genommen. Diese jungen Leute empfinden sich nach dem Rückzug der Briten als echte Demokraten und sie leben auch die Rechte, die ihnen laut Hongkonger Verfassung, dem "Basic Law", gegeben sind. Die nehmen sie in Anspruch, nämlich die Versammlungs- und die Redefreiheit, und das tun sie auch nicht zum ersten Mal. Wir hatten hier in Hongkong schon vor zwei Jahren einen großen Studentenprotest gegen eine chinesische Initiative in den Hongkonger Schul-Curricula, das Fach "Nationale Erziehung" zu implementieren, was übrigens auch erfolgreich war. Das wurde dann hier von der Erziehungsbehörde in Hongkong zurückgenommen, dass man dieses Fach installiert.
    Ich meine, Studentenproteste in China haben durchaus eine Tradition in der chinesischen Geschichte. Man muss ja nur an 1989 denken, oder natürlich auch noch weiter zurückgehen, 1919 oder so. Diese Protestbewegungen in China waren immer von Studenten getragen.
    Netz: Sie haben jetzt gerade schon von Demokratie gesprochen, von Hongkonger Identität. Woher kommen denn diese ganzen, ja doch letztlich auch vom Westen geprägten Begriffe? Sind es Dinge, Ideen, die die Studenten vielleicht von Auslandsstudien in Europa oder in den USA mitgebracht haben, oder ist das wirklich so ein ganz eigenes Hongkonger Konglomerat an Identitätsbegriff und Vorstellungen?
    Proteste im Hinblick Übergabe an China 2047
    Gauler: Ich denke, es ist eine Mischung von allem. Man muss sich vorstellen, unter diesen Studenten sind auch viele, die in den letzten Jahren zurückgekommen sind nach Hongkong, junge Leute, deren Eltern in den 1980er-Jahren, als damals Margaret Thatcher und Deng Xiaoping die Vereinbarung über Hongkong abgeschlossen haben. Damals haben ja viele Hongkonger ihre Stadt verlassen, haben sich in Kanada angesiedelt, USA und so weiter, und deren Kinder wiederum kommen jetzt zum Teil zurück und versuchen, hier ihre Heimat zu finden. Und mit Blick auf die Übergabe an China 2047 - das ist ja die Zukunft -, da wollen die natürlich sich auch eine möglichst gute und freie Zukunft aufbauen. Ob das wirklich mit unserem westlichen Demokratieverständnis eins zu eins zusammenpasst, das wage ich zu bezweifeln.
    Netz: Sie haben vorhin schon gesagt, Frau Gauler, dass es in China häufiger Studentenproteste gegeben hat. Sind diese Hongkonger Proteste, wie wir sie im Moment mitbekommen, also gar nichts Besonderes, gar nichts, was spezifisch mit dem Sonderstatus von Hongkong zu tun hat?
    Gauler: Würde ich nicht sagen. Die Studenten, die zukünftigen Intellektuellen, die haben die Kraft und die haben den Mut, sich zu artikulieren und auf die Straße zu gehen, und denen schließt man sich auch an. Ich war im Mai 1989 in Peking und habe damals die Demonstrationen in Peking gesehen. Das war ja auch so ein Phänomen, das hat ja mehrere Wochen gedauert. Es ging von Studenten aus und andere Bevölkerungsgruppen, Arbeiter, Hausfrauen, Großeltern, haben sich angeschlossen, haben sich auch auf die Straße gestellt und mitgerufen, bis dann das Kriegsrecht verhängt wurde.
    Netz: Sie haben jetzt gerade schon selber den Bezug zum Tian'anmen-Platz [Peking] hergestellt. Viele vergleichen ja das, was jetzt in Hongkong passiert, mit den Ereignissen dort 1989. Ist das denn wirklich vergleichbar und ist am Ende sogar ein ähnlicher Ausgang, also so eine grausame Niederschlagung der Proteste zu befürchten?
    Nicht vergleichbar mit Peking 1989
    Gauler: Nein. Ich will da gar nicht dran denken, muss ich sagen, wie das hier ausgehen würde. Das wäre nicht auszudenken. Ich glaube nicht, dass sich die Bewegung mit den Forderungen, die Sie auch eingangs erwähnt haben - - Dass es dazu kommen wird, oder dass es dazu sehr schnell kommen wird, das glaube ich nicht. Aber schon jetzt hat diese Bewegung hier Geschichte geschrieben und schon jetzt hat diese Bewegung hier viele, viele Hongkonger erreicht. Die Studenten haben hier eine Unterstützung und eine Solidarität, die ist unglaublich.
    Netz: ..., sagt Gabriele Gauler vom Hongkonger Goethe-Institut über die Proteste dort.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.