Freitag, 29. März 2024

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"Horizont" von Leonie singt
Müde, aber aufgeweckt

Mit „Horizont" erscheint das zweite Album der bildenden Künstlerin und Musikerin Leonie Felle alias Leonie singt. Ein deutsch- und englischsprachiges Singer-Songwriter-Album, das Gefühle von Resignation und Empörung verarbeitet und sich stilistisch zwischen Folk, Indie & und Chanson bewegt.

Von Andi Hörmann | 14.03.2020
Die Sängerin Leonie sitzt auf einem Fahrrad. Die Bandmitglieder stehen um sie herum und lachen
Fährt auch mal gerne Fahrrad: Die Musikerin Leonie Felle mit ihrer Band Leonie singt (Andreas Staebler)
Verlorene Töne auf der Geige. Dazu müde Gitarrenakkorde. Klingt niedergeschlagen. Und dann die erste Textzeile, sanft und schwermütig: "There is no way out". Zu deutsch: Es gibt keinen Ausweg. Der Einstieg in das Album "Horizont" klingt düster und deprimierend. Und doch gibt sich Leonie Felle gelassen:
"Ich höre auch öfters, dass die Lieder eher traurig sind, als irgendwie lustig, spaßig oder positiv. Sehe ich jetzt gar nicht selber so, wahrscheinlich weil ich mit meinen Gedanken schon das ganze Leben lang zusammen bin."
Unter dem Bandnamen Leonie singt veröffentlicht Leonie Felle, 1979 geboren, ihr zweites Album als Musikerin. Sie ist auch bildende Künstlerin, hat an der Kunstakademie München studiert und kombiniert in ihren Arbeiten verschiedenste Disziplinen: Bildhauerei, Fotografie, Performance und eben Gesang — drei Männer unterstützten sie als Leonie singt an den Instrumenten:
"Sascha Schwegerle am Schlagzeug, Jakob Egenrieder am Bass und Hagen Keller an der Gitarre und am Akkordeon — und ich."
Empörung als Resignation
Gemeinsam machen sie Musik zwischen Indie-Pop, Kabarett-Chanson und Kunstlied — mit Texten auf Deutsch und Englisch. Musikalischer Eklektizismus kombiniert mit eskapistischen Lyrics. Das Stück "Blow Wind Blow" kommt wie eine jahrmarkthafte Brecht-Weill-Komposition daher. Leave me alone, "Lass mich in Ruhe" heißt es da. Zwei Lieder weiter, im rostigen Punk-Song "Stummer Fisch", wird der Wunsch nach dem Alleinsein auf eine stammelnde Sprachlosigkeit verkürzt: bli, bla, blub. Empörung kann auch mal Resignation bedeuten. Gestammel und Rückzug. Dazu passt vielleicht auch, dass Leonie Felle nicht in München lebt, sondern in einem alten Schulhaus auf dem Land wohnt. Ist Leonie Felle eine einsame Künstlerin?
"Nein, ich bin kein einsamer Mensch. Zum Glück überhaupt nicht. Ich habe einen Mann und ich habe Familie und viele Freunde. Gott sei dank!"
"…Was machst Du wohl, wenn Du abends alleine bist? /
Was tust Du oder nicht, schaust Du aus dem Fenster? /
Vielleicht kaust Du Nägel, vielleicht weinst Du heimlich leise…"
"Wenn man alleine ist, kann man arbeiten an Dingen, aufarbeiten, und hat eben nicht diese Art von Zerstreuung. Wenn man viel unterwegs ist, viel unter Leuten, dann sind die Gedanken oft verdrängt. Wenn man alleine ist, kommen sie dann, aber nicht nur negative."
Nicht einsam, aber gerne allein
Also nicht einsam, aber gerne allein. Eine simple Alltagsphilosophie: Den Gedanken freien Lauf lassen, sie verpacken in Kunst und Musik. Leonie Felle lässt sich dann auch inspirieren, von dem was ihr konkret begegnet.
"Ich finde Gegenstände. Gegenstände kommen einfach zu mir auf irgendwelchen Wegen. Dann stehen die manchmal ewig rum. Dann versuche ich irgendwie, mit denen was zu machen, die zu kombinieren mit Texten, oder eben auch in Fotos zu verwenden, um denen dann eine neue Zuschreibung zu geben."
Das Titelstück "Horizont" geht zurück auf eine Schwarz-Weiß-Fotografie, die auch das Album-Cover ist: Leonie Felle auf einer Wiese vor nebelverhangenem Horizont mit Paddel in der Hand.
"Da war tatsächlich zuerst das Paddel da, dann kam das Bild und dann kam der Text und dann die Musik. Text und Musik läuft meistens parallel."
"…Es schaukelt und ich wanke /
Es schaukelt und ich schwanke /
Der Horizont steht schräg…"
Ermutigung trotz Müdigkeit
Die Welt ist aus den Fugen. Das Paddel ist ein Symbol dafür: Auf der Wiese ist es völlig nutzlos — wie eine der beiden Coverversionen auf diesem Album. Der melancholische Superhit "I`ll be your mirror" von Nico & The Velvet Underground wird leider zu einer verkitschten Uptempo-Nummer. Aber das lethargische "I'm so tired" der US-amerikanischen Post-Hardcore-Band Fugazi bekommt in der intimen Interpretation von "Leonie singt" etwas von Ermutigung trotz Müdigkeit. Es ist das letzte Stück auf dem Album.
"Ich finde es einen wunderschönen Song, einen wunderschönen Text. Und finde auch, dass vielleicht jeder von uns sich auch ein bisschen identifizieren kann damit, dass es Situationen gibt, wo man einfach müde ist, wo die Schafe eher einen selber zählen."
Leonie Felle alias Leonie singt hat mit "Horizont" ein heiter melancholisches Album veröffentlicht. Bleibt aber noch die Frage: Und, heute schon gesungen?
"Heute? Ich singe jeden Tag unter der Dusche. Nein, natürlich nicht. Heute habe ich noch nicht gesungen."