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Hormonell wirksame Chemikalien in Lebensmitteln

Es gibt Millionen von chemischen Verbindungen, die von der Industrie weltweit benutzt und verarbeitet werden, und nur von einem Bruchteil ist bekannt, inwieweit Menschen und Umwelt durch diese Verbindungen einer Gefahr ausgesetzt sind - sei es, indem diese Stoffe Krebs erzeugen, das menschliche Erbgut verändern oder die Fortpflanzung gefährden können. Innerhalb der Europäischen Union gibt es überhaupt erst seit 1994 eine Beschränkung dieser Stoffe, soweit die Gefährlichkeit bekannt ist und seitdem wird die Verbotsliste für diese Chemikalien zwar fortlaufend aktualisiert, aber erst einmal müssen die Wissenschaftler diesen hochgefährlichen Stoffen überhaupt auf die Spur kommen.

Von Ralph Ahrens |
    Und deshalb werden Industriechemikalien immer wieder für Schlagzeilen sorgen, wie schon in der Vergangenheit die "Phthalate" im Babyspielzeug oder die "Tributyl-Zinnverbindungen" in Windeln und T-Shirts oder, wie jetzt ganz aktuell, die "Nonylphenole" in Lebensmitteln. Eine heute veröffentlichte Untersuchung aus dem Forschungszentrum Jülich belegt, diese Massenchemikalie findet sich überall in unseren Lebensmitteln, obwohl sie da wahrlich nicht hineingehört.

    Vor fünf Jahren war es, als dem Chemiker Klaus Günther aus dem Institut für Phytosphäre des Forschungszentrums Jülich eine Wissenslücke auffiel: Niemand weiß so recht, wie Menschen mit sogenannten 'Nonylphenolen’ belastet sind. Und das, obwohl die Industrie diese Stoffe seit 50 Jahren in großen Mengen einsetzt – etwa als Oxidationsschutz in Kunststoffen. Um hierauf eine Antwort zu finden, untersuchte der Wissenschaftler stichprobenartig 60 Lebensmittel aus Supermärkten. Das Ergebnis hat die Fachzeitschrift 'Environmental Science & Technology’ heute veröffentlicht.

    Was man sagen kann ist eben, man findet diese Massenchemikalie in unseren Lebensmittel. Und der 'daily intake’ von 7,5 Mikrogramm liegt ungefähr in dem Bereich von den PCBs mit 10 Mikrogramm pro Tag.

    Und PCBs, also die 'polychlorierten Biphenyle’, zählen zu den stärksten Umweltgiften: Sie können etwa Krebs auslösen und die geistige Entwicklung kleiner Kinder beeinträchtigen. Und die jetzt nachgewiesene Belastung mit Nonylphenolen ist möglicherweise ebenfalls eine Gefahr. Klaus Günther.

    Nonylphenole werden als vor allen Dingen für den Verbraucher hinsichtlich ihrer östrogenen Aktivität als problematisch diskutiert. Und deshalb sind sie auch im Blickpunkt des Interesses vor allen seit zehn Jahren ....

    ... seitdem bekannt ist, dass diese Stoffe Geschlechtsmerkmale von Forellen verändern: In belasteten Gewässern können männliche Tiere nämlich Eidottereiweiße bilden, was sonst ausschließlich Weibchen tun. Dass Klaus Günther mit seinen Kollegen die Nonylphenole wirklich in allen Lebensmittelproben fand – die höchsten Werte bei Äpfeln und Tomaten –, hat selbst Manfred Krautter, Chemiefachmann von Greenpeace, überrascht:

    Denn die Industrie hat immer gesagt, das ist eine Substanz, die sich eigentlich nicht anreichert in der Nahrungskette, die auch von ihrer Abbaubarkeit im Griff ist und man hatte ja auch freiwillige Selbstverpflichtungen in den 80er Jahren dann in die Wege geleitet. Heute muss man feststellen, dass alles hat eigentlich nichts gebracht. Was wir jetzt haben, ist ein worst-case. Und dieser worst-case heißt, wenn da eine Chemikalie durchschlägt in die Nahrungskette, dann hat sowohl die Industrie versagt, als auch die Chemiepolitik.

    Für ihn kommt die Jülicher Studie gerade rechtzeitig – als Mahnung an die Europäische Kommission in Brüssel, die zurzeit die europäische Chemikalienpolitik überarbeitet:

    Wir brauchen ein Chemikalienrecht, das über ein Zulassungsverfahren dafür sorgt, dass solche Chemikalien nicht mehr in die Umwelt freigesetzt werden und nicht mehr in Konsumprodukte gelangen. Und aus meiner Sicht ist das jetzt die Stunde, in der diese Reform auch durchgesetzt werden muss mit dem Ziel, gefährliche Stoffe gehen nicht mehr in Konsumprodukte, gefährliche Stoffe gehen nicht mehr in die Umwelt. Und das muss jetzt rasch passieren.

    Etwa durch ein Verbot, so genannte 'Nonylphenolethoxylate’ in Pestiziden einzusetzen – denn diese Stoffe werden in der Natur zu Nonylphenolen abgebaut. Einen anderen Weg schlägt der Jülicher Chemiker Günther vor:

    Wir möchten eigentlich jetzt auch dahingehend weitermachen, das wir mithelfen, ein Hightech-Nonylphenol zu entwickeln. Also, eine intelligente Chemikalie, die dann das alte Nonylphenol, was ja persistent ist und östrogen aktiv, ablösen könnte. Denn das alte Nonylphenol ist quasi eine Dinosaurier-Chemikalie, 50 Jahre alt, und nicht viel daran verändert an dem Produktionsprozess.

    Welcher Weg letztlich eingeschlagen wird – ob die Politik den Einsatz dieser Stoffe verbietet oder nur einschränkt, oder ob die Industrie es schafft, 'intelligente’ Nonylphenole herzustellen –, Umwelt und Verbraucher werden es danken.