Archiv

Horrorfilm "It Follows"
Die Rückkehr des nackten Entsetzens

David Robert Mitchell feiert mit seinem Film "It Follows“ die Rückkehr des Horrorfilms. Die Geschichte über einen sexuell übertragbaren Dämon muss man einfach als AIDS-Allegorie lesen. Mitchells Werk taucht tief in die Welt der Teenager ein - und appelliert direkt an das Animalische und Zivilisationsferne in uns.

Von Patrick Wellinski |
    Der US-Filmemacher David Robert Mitchell hält den Preis für seinen Film "It follows" auf dem 40. Deauville American Film Festival in der Hand.
    Ausgezeichnet: der US-Filmemacher David Robert Mitchell (afp / Charly Triballeau)
    "Als ich noch jünger war, träumte ich davon, endlich Jungs daten zu können. Es ging eigentlich nie darum ein genaues Gefühl zu haben, sondern um Freiheit." Worüber das junge Mädchen Jay zu Beginn von David Robert Mitchells Horrorfilm "It Follows" spricht, ist im Grunde die Wunschvorstellung jedes Teenagers: Sex ist Freiheit. Sex besiegt den Tod. Doch Jays Freiheitsdrang zeigt seine böse Fratze, als sie nach einer Liebesnacht im Auto gefesselt erwacht. Ihr Lover, der schöne Hugh, klärt sie auf:
    "Dieses Ding. Es wird dir folgen. Jemand hat es mir angehängt. Und ich habe es auf dich übertragen. Vorhin im Auto. Und es wird dir folgen." - "Hilfe!" Jay ist infiziert. Ein Dämon wird sie verfolgen. Langsam aber stetig. Außer sie schafft es, mit einem Unwissenden zu schlafen und ihm so den Dämon weiter zu reichen. Wie gut, dass es in ihrem Freundeskreis jemanden wie Paul gibt. Schüchtern, schmächtig und schon immer in Jay verliebt.
    "Erinnerst du dich noch. Wir haben damals diese Pornohefte gefunden. In der Straße bei Berrys Pizza. Oh und Gregs Mutter! Weißt du noch die Geschichte, als sie uns erwischt hat, als wir das Zeug gelesen haben?" - "Ja, sie hat das Zeug sofort eingesammelt. Dann ging sie zu meiner Mom. Am nächsten Tag wurden Kelly und ich aufgeklärt."
    Überzeugende Bilder für die Lustlosigkeit des Erwachsenwerdens
    "It Follows" ist ein Horrorfilm über einen sexuell übertragbaren Dämon. Man kann gar nicht anders, als ihn als AIDS-Allegorie zu lesen. Doch Mitchells Talent liegt auch in der Fähigkeit, tief in die Welt der Teenager einzutauchen und er findet so überzeugende Bilder für die lasche Lustlosigkeit des Erwachsenwerdens. Etwas, das nicht von ungefähr an Larry Clarks HIV-Film "Kids" von 1995 erinnert.
    Wobei man den satirischen Unterton des Drehbuches nicht vergessen sollte. Denn anders als in "Kids" besteht die Rettung der Figur in "It Follows" darin, den Nächstbesten mit dem Dämon zu infizieren. Und nicht nach der Infizierung mit der Übertragung aufzuhören. Ein kleiner aber sehr feiner Unterschied: In "It Follows" springen wir erst durch den Sex dem Tod von der Schippe. "Wenn ES sie tötet, geht ES zurück zu dem, der ES entfesselt hat und dann holt ES mich."
    Der Synthie-Soundtrack, die in ständiges Dämmerlicht getauchten Alptraumbilder, erinnern auch an Horrorfilme der 1980er Jahre. An Billigproduktionen von John Carpenter oder David Cronenberg, die sich auf drastische Weise mit der Illusionslosigkeit der amerikanischen Jugendkultur auseinandersetzten.
    Mitchells Gewaltbilder genügen sich nicht im reinen Exzess
    Doch David Robert Mitchell ist nicht an einer Gegenwartsdiagnose interessiert. Seine Gewaltbilder genügen sich auch nicht im reinen Exzess. Die Kunst von "It Follows" liegt darin, dass Mitchell die Elemente des Horrorfilms von den Rändern der Kinokunst in ihre Mitte überführt. Er kombiniert, wie jüngst die Australierin Jennifer Kent in "Babadook" oder die Österreicher Veronika Franz und Severin Fiala in "Ich seh, ich seh", den Horrorfilm mit dem distanzierten Blick des Arthousekinos. Daraus gewinnt "It Follows" seine verstörende Wirkung; spielt so mit der Urangst vor der eigenen Sterblichkeit.
    Und während die Teenagerin Jay sich durch ihren Sexdämon mit dem eigenen Tod befassen muss, gelingt das einer anderen Figur durch die intensive Dostojewski-Lektüre auf ihrem E-Reader. Memento mori. Es gibt keinen Ausweg aus dieser existenziellen Konfrontation. "Hilfe!" - Jay? Kannst du die Tür aufmachen?" - "Es ist hier." - "Nein, da draußen ist nichts."
    "It Follows" sieht zwar aus wie ein weiterer Teenager-Horrorfilm, aber Regisseur Mitchell nutzt das Genre für einen breiteren Diskurs. So wirft der Film einen sehr komplexen Blick auf die - vor allem männliche - Sexualität. Auf jenes unbewusste Unbehagen, dass Sex auch wie ein Exorzismus wirken kann. Doch diese Erlösung hat ihren Preis. Denn sie appelliert direkt an das Animalische und Zivilisationsferne in uns. "It Follows" visualisiert das in einer irritierenden Perfektion und stellt fest: Im finsteren Abgrund unserer Triebe ist jeder mit sich allein. Oder doch nicht? "Es ist daaaaa!"