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Horst Seehofer
Der Bürgerministerpräsident

Aufschieben von Entscheidungen und Schielen auf Umfragen: Vor den bevorstehenden Kommunalwahlen in Bayern will Horst Seehofer auf Nummer sicher gehen. In eine Tradition mit seinen CSU-Vorgängern reiht er sich damit nicht ein.

Von Michael Watzke | 20.02.2014
    "Ich sage Euch: Wenn in der Bundesrepublik eine Volksabstimmung stattgefunden hätte, wie in der Schweiz - sie wäre nicht viel anders ausgegangen. Die Bevölkerung ist nicht dümmer und sie macht nicht mehr Fehler als wir Politiker. Und deshalb bin ich ein glühender Verfechter der Bürgerbeteiligung."
    Bürgerbeteiligung bedeutet für den CSU-Chef vor allem Demoskopie. Nichts hat größeren Einfluss auf Horst Seehofer als die regelmäßigen Umfragen aus der CSU-Zentrale und der Staatskanzlei. So - und nur so - ist sein plötzlicher Widerstand gegen Windräder, Donau-Ausbau oder neuerdings Stromtrassen zu begreifen.
    "Wenn wir die Bevölkerung fragen: Was schätzt Ihr an Bayern besonders? Dann kommt immer an erster Stelle: Landschaft, Natur. Und wir dürfen die Todsünde nicht machen: Dass wir unter ökonomischen Gesichtspunkten unsere wunderschöne Natur und Landschaft beschädigen oder gar zerstören. Das darf uns nicht passieren, liebe Freunde."
    Dabei hatte derselbe Seehofer in derselben Rede nur fünf Minuten vorher gesagt:
    "Das alles Entscheidende sind die Arbeitsplätze für die Menschen. Wenn die Arbeitsplätze verschwinden, ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann auch die Menschen verschwinden."
    Was ist denn nun das alles Entscheidende? Arbeitsplätze - oder Natur? Im Büro 125 des bayerischen Landtages sitzt Erwin Huber. Der Vorgänger von Horst Seehofer als CSU-Parteichef hat in seiner aktiven Zeit als Staatsminister einen Satz geprägt, der ihn bis heute verfolgt:
    "Wer einen Sumpf austrocknen will, darf nicht die Frösche fragen. Ich hab' das tatsächlich irgendwann einmal in den 90er-Jahren zitiert. Ich glaube, das stammt eigentlich von Mao. Erstaunlich, dass ein CSU-Politiker Mao zitiert. Es heißt, wir können nicht Politik machen nach dem totalen Konsens: Nur was 100 Prozent Zustimmung findet, das kann gemacht werden. Dann wären wir sehr schnell am Ende."
    Strauß war kein Konsens-Politiker
    Der Niederbayer Erwin Huber ist in der CSU noch unter Franz Josef Strauß aufgestiegen. Der alte Strauß, sagt Huber, war kein Konsens-Politiker. Umfragen habe er zwar registriert, aber wenn sie gegen seine politischen Überzeugungen sprachen, habe der CSU-Übervater sie ignoriert. Das hat Huber von Strauß gelernt:
    "Man kann nicht einfach aufaddieren: Da sind jetzt also 50 Prozent dagegen und 30 Prozent dafür, also Nein! Sondern man muss natürlich sagen: Es gibt eine besondere Verantwortung der Politik, das, was notwendig ist für das Allgemeinwohl, für die Zukunft, auch durchzusetzen gegen Widerstände."
    Beispielsweise eine schmerzhafte Verwaltungsreform. Die setzte Erwin Huber - damals Staatskanzleiminister unter Edmund Stoiber - 2004 gegen heftigen Widerstand der Beamten durch. Auch die Studiengebühren und das verkürzte Gymnasium G8 waren schon damals höchst umstritten. Huber und Stoiber zahlten politisch einen hohen Preis dafür. Sie verloren den Rückhalt in der Partei und beim Wähler. Aber:
    "Wenn man immer nachgibt, dann kann man vielleicht viel Beifall bekommen. Aber man versündigt sich an der Zukunft."
    Versündigt sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer an der Zukunft, weil er beifallssüchtig ist? Weil er stets alle Themen abräumt, die zu Kontroversen führen könnten? Erwin Huber antwortet auf die Frage nicht direkt, er lächelt nur vielsagend. Professor Werner Weidenfeld dagegen, Politikwissenschaftler der LMU München, erkennt in Seehofers Politik-Stil das Gegenteil früherer, großer Politiker wie etwa Konrad Adenauer:
    "Die Grund-Entscheidungen der Adenauer-Ära waren durchaus nicht von vornherein mehrheitsfähig. Also denken Sie an die Wiederbewaffnung: Die ganze Republik war gegen Wiederbewaffnung. Auch die westeuropäische Integration war nicht von Anfang an total nur populär, weil man damit ja gleichzeitig die deutsche Teilung vertiefte. Aber jemand wie Adenauer hat 1957 absolute Mehrheiten gewonnen. Das einzige Mal in der deutschen Geschichte, dass auf Bundesebene so etwas möglich war."
    Parteien können sich nicht mehr auf Stammwähler verlassen
    Allerdings, so Weidenfeld, war damals die Bindewirkung von Politik deutlich größer. Damals konnten sich Parteien auf Stammwähler verlassen. Heute entscheide sich der Wähler oft erst an der Wahlurne. Deshalb sei es durchaus wichtig, über neue Beteiligungs-Möglichkeiten für Bürger nachzudenken. Das Beispiel Schweiz allerdings, das Horst Seehofer so gern zitiert, taugt laut Weidenfeld dazu nicht:
    "Dabei wird übersehen, dass das, was die Schweiz ausmacht, nicht einfach diese Volksabstimmungen bloß sind, sondern das, was wir Konkordanz-Demokratie nennen. Nämlich die Schweiz versucht, einen Konsens herzustellen zu Themen, die aufkommen. Da wird ewig lange verhandelt, um diese Volksabstimmungen zu vermeiden. Damit alle zufrieden sind. Lieber ein paar Jahre später entscheiden. Und die Volksabstimmung kommt ja, in Anführungszeichen, dort nur im absoluten Notfall zum Tragen - nämlich dann, wenn sie es vorher nicht haben ausverhandeln können."
    Die Taktik Seehofer ist eine andere. Er schiebt Entscheidungen nur vorläufig auf. Etwa durch ein Stromtrassen-Moratorium. Oder bei der Rückkehr vom acht- zum neunjährigen Gymnasium, wie es die Freien Wähler in Bayern per Volksbegehren fordern. Seehofer liebäugelt mit dem Gedanken, denn das G8 ist in Bayern bei vielen Schülern und Eltern unbeliebt. Zwar will die CSU-Fraktion unbedingt am G8 festhalten. Aber Seehofer laviert:
    "Jetzt sollen erst einmal die Unterschriften eingereicht werden. Und dann muss das erst mal geprüft werden. Und dann werden wir in aller Ruhe in der Partei und der Fraktion beraten, wie wir weiter vorgehen. Mehr muss man heute nicht sagen."
    Denn in drei Wochen sind Kommunalwahlen in Bayern. Entscheidungen trifft Seehofer erst danach. Wer weiß, vielleicht dann sogar ohne Hilfe der Demoskopie.