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Horst Tappert alias Derrick war "eine gütige Kraft"

Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler, begründet die Popularität des verstorbenen Derrick-Darstellers Horst Tappert unter anderem mit der "vertrauenserweckenden Kraft", die Tappert in seiner Rolle verkörperte. Er sei nie ein Mann der Action und der List gewesen. Dramaturgisch gewann die Serie gerade durch ihre "Ruhepausen zum Rekapitulieren", bilanziert Gäbler.

Bernd Gäbler im Gespräch mit Karin Fischer | 16.12.2008
    Karin Fischer: Bekannt wurde Horst Tappert als Krimineller in dem Postraub-Dreiteiler "Die Gentlemen bitten zur Kasse" aus dem Jahr 1966. Sein Schauspielerleben bestimmt hat aber die Rolle des Oberinspektors Stefan Derrick. 24 Jahre lang hat er ihn gespielt. In 281 Folgen wurden 344 Menschen ermordet, davon 37 weibliche. Und wenn Hansjörg Felmy der Gentleman-Kommissar war, dann war Horst Tappert vermutlich einfach so etwas wie der deutsche Überpolizist. Er selbst sagte zu der Rolle, mit der ihn die ganze Welt identifizierte.

    O-Ton Horst Tappert: Ich glaube, diese Art der Beschränkung auf eine Rolle, die völlige Identifizierung mit der Rolle, auch innerlich, im Moment, wo gedreht wird, nur die Wahrheit zu sagen, das, was ich empfinde, das, was ich fühle, das, was ich denke. Ich glaube, das trägt dazu bei, dass man diesen Kerl halt mag.

    Fischer: So sah er sich selbst. Aber, und diese Frage geht an Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler, Politologe und ehemaliger Leiter des Grimme-Instituts, was haben die Deutschen gesehen, wenn sie Derrick sahen?

    Bernd Gäbler: Ja, hallo, Frau Fischer! Was haben sie gesehen? Sie haben einen sehr korrekten Beamten gesehen, der stets pünktlich war, gut gekleidet, einen Mann der Logik, einer der in den Tätigkeiten vor allen Dingen telefoniert hat, Auto gefahren ist und Verdächtige befragt hat, letztlich aber wohl auch eine gütige Kraft, eine vertrauenserweckende Kraft der Ordnung war.

    Fischer: Heute dürfen Krimikommissare ja auch mal die Waffen ziehenden Draufgänger sein und der "Tatort" speziell ist ja zum Umschlagplatz der brandheißen integrationspolitischen Themen geworden. Mit "Derrick" im ZDF waren das ganz andere Zeiten?

    Gäbler: Ja, wenn man sich vor Augen hält, was er alles nicht war, dann werden einem auch die Zeiten noch mal plastisch. Er war nicht exzentrisch, er war nie ein Mann der Action. Er war nie ein Mann der List, der tiefenpsychologischen Einfühlung, gar des Wahnsinns. Nein, es war wirklich eine Ordnungskraft, die meisten Bilder, die man von ihm sah, waren im Büro, immer mit einer Lampe und einer großen Karte hinter sich. Da war die Welt noch zu vermessen. Das Verbrechen war zu verorten. Und im Grunde genommen durch eine Art Allgemeinplätze am Ende, typisch ein Satz wie "Sie kannten doch ihre Tochter gar nicht" wurden dann die Verdächtigen überführt.

    Fischer: Wie kam denn diese Serie fernsehästhetisch, dramaturgisch daher?

    Gäbler: Ja, klassisch war für diese Dramaturgie eigentlich das, was es heute kaum noch gibt. Ich würde es mal nennen: die Ruhepause zum Rekapitulieren. Es schien eine Art Grundgesetz dieser Serie zu sein, dass man den Zuschauer auf keinen Fall irritieren darf. Charakteristisch auch oft parodiert sind diese Bilder, er steht vor einem Klingelschild und sagt noch mal: "Jetzt klingeln wir bei Müller." Dann sagte Harry Klein: "Dr. Müller." "Ah, der verdächtige Dr. Müller." Der Zuschauer soll immer auf Ballhöhe sein, immer mitgeführt werden, immer die Indizien werden vor ihm ausgebreitet. Er soll nicht irritiert werden, das Leben soll so überschaubar sein, wie es die Ordnungskraft, nämlich der am Ende die Verbrecher Überführende das Leben dann auch wieder macht.

    Fischer: Wenn wir den internationalen Erfolg, den riesigen dieser "Derrick-Serie" betrachten, worauf führen Sie den denn zurück? Ist das dann nicht vielleicht ein bisschen merkwürdiges Bild der Deutschen, das die Welt da bekommen hat?

    Gäbler: Sicher. Man sagt, die Chinesen hätten anfangs gedacht, jeder Deutsche habe einen kleinen Harry, der ihm immer den Wagen holt. Ich glaube aber, dass es so etwas ist wie diese Logik, eine Ordnungskraft des Vertrauens. Und das wird mit Deutschen offenbar assoziiert. Positiv gewendet könnte man auch sagen, Stabilität und Verlässlichkeit. Wobei man sagen muss, an zwei Punkten leuchtet schon etwas auf in dieser Serie, was neu ist. Erstens, das Verbrechen wird sozial verortet. Es ist nicht so, das Verbrechen ist die dunkle Seite von jedermann, sondern meistens ist das Verbrechen da, wo die Villa ist, München-Bogenhausen, bei den gehobeneren Schichten, da lauert der Abgrund. Und das Zweite, was wir oft spüren, ist, wenn nicht mehr Not und Arbeit die Familie zusammenhält, dann beginnt Entfremdung. Es gibt den herrischen Vater, meistens zwangsneurotische Sprösslinge, die der alte Herr nicht ranlassen will und, weil gelangweilt, dann oft hysterische Mütter.

    Fischer: Ganz kurz zum Schluss, Herr Gäbler, was war Horst Tappert nach dem "Derrick-Ruhestand"?

    Gäbler: Ja, Horst Tappert hat einige Interviews gegeben, die schon fast Abschiedsinterviews waren. Dann war er bei sich, und dass er dann erstmals die Differenz zur Rolle aufgemacht hat, sieht man an einer kleinen Geste. Die Rolle war neben Trenchcoat, Maßanzug und immer gut sichtbarer goldener Rolex, vor allen Dingen durch Tränensäcke und die Haartolle gekennzeichnet. Anders als John Connery, der noch zu Zeiten, als er schon James Bond spielte, sein Toupet abnahm, nahm Horst Tappert wirklich erst ganz, ganz spät, als er schon lange in Rente war, gewissermaßen demonstrativ das Toupet vom Kopf und sagte damit, jetzt bin ich nicht mehr Kriminaloberinspektor Stefan Derrick.

    Fischer: Herzlichen Dank an Bernd Gäbler, den Medienwissenschaftler und Politologe zu diesen Bemerkungen zum Tod von Horst Tappert.

    Gäbler: Gern geschehen!