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Hotel Liebestod

Marthaler ist ein Markenzeichen: Seit vielen Jahren macht er gemeinsam mit seiner Bühnenbildnerin Anna Viebrock Liederabende mit viel intellektuellem Mehrwert. "Tristan und Isolde" ist nun Marthalers erste Wagner-Oper. Sein Chefdirigent Eiji Oue versprach "Wagner pur".

Von Holger Noltze | 26.07.2005
    Als die verbotene Liebe auffliegt, geht gleißend die Deckenbeleuchtung an, das gar zu helle Licht ist der Feind der geheimen Liebenden. Wie Schachfiguren stehen da die "anderen" um Tristan und Isolde herum: Marke, der betrogene König, Kurwenal und Brangäne, die Vertrauten. Melot, der Verräter. Dann fängt einer der vielen Neonringe an zu flackern, bald ein zweiter, und zumindest Isolde ist auf einmal gar nicht mehr bei der Sache, bei der es ja immerhin um Vertrauens- und Ehebruch geht. Wie verzaubert schaut sie nach oben auf die Flackerröhren, versucht ihrem Tristan ein Zeichen zu machen: als sei eine kaputte Leuchtröhre ein Hoffnungssignal, das Licht könnte auch wieder verlöschen. Keineswegs hört sie da noch der Ansprache ihres Ehemanns zu – so herrlich strömend Kwangchul Youn Markes Trauer auch zu singen versteht:

    "Den unerforschlich furchtbar tief geheimnißvollen Grund, wer macht der Welt ihn kund?"

    Es ist der Moment, in dem die Zeit stehenbleibt, bevor Tristan auf seine Jenseitsreise muss, der sich hier nicht wie üblich Melots Speer ins Herz zieht, sondern in den Rücken gestochen wird. Solche Momente, in denen die Zeit einen Riss bekommt, gibt es reichlich in Wagners Oper, die er "Handlung" nannte, obwohl von Handlung kaum die Rede sein kann. Das kommt dem Regisseur Marthaler entgegen, der hier für seine Choreographien der Langsamkeit überreiche Gelegenheit findet. Konsequent nicht verdoppelt werden die Ekstasen der Musik, an keiner Stelle gerät die Liebe zum Gefuchtel. Die lassen ihre Hände hübsch bei sich, und wem es in dem Punkt auf action ankommt, dem wurde wohl bald langweilig - und hätte doch übersehen, welche Spannungszustände unter der kontemplativen Tapete herrschen. Fast als Karikaturen lässt Marthaler die Repräsentanten der Außen-Welt erscheinen, als wenn ihm hier alles auf ein paar winzige Gesten der Isolde ankäme: ein zeigender Finger, eine fallende Hand, ein unvermutetes Umsinken. Und er kann von Glück sagen, dass er eine Isolde hat, die dieses so streng minimalistische Konzept trägt:

    Nina Stemme ist das Ereignis dieser Bayreuther Neuproduktion, eine jugendliche Isolde von atemberaubender Präsenz und mit einer schier erotisierenden Höhe, ohne je zu forcieren. Die schwedische Sopranistin singt nicht nur mit nahezu vollkommener Leichtigkeit, ihr gelingt auch das Kunststück, sich im Wagnertheater der außerordentlichen Exaltationen sozusagen alltäglich zu bewegen, sogar ironisch.

    Im Marthalertheater muss sie dies zudem in gleich drei Rollen. Denn Anna Viebrocks wie immer kunstvoll angeschmuddelter Tristan-Raum wächst Akt für Akt nach oben, von unten kommt immer eine Zeit-Schicht dazu. Zu Beginn befinden wir uns vielleicht im mit allerlei Sitzmöbeln vollgestellten Salon eines heruntergekommenen Ozeandampfers, etwa 20er Jahre. Akt zwei spielt in den 60ern, in einem wohl DDR-ähnlichen Spitzelstaat. Am Ende liegt Tristan in einem heutigen Krankenbett, die Wände ringsum sind bekritzelt und bekratzt, nicht nur von dem demenzgreisen Kurwenal, der um und um laufen muss in seinem Schmerz über den leidenden Herrn. Andreas Schmidt sang das als Fischer-Dieskau-Parodie und kassierte Buhs. Robert Dean Smith bringt in seinem Tristan-Debüt fast alle Töne, die schönsten, lyrischen im zweiten, dem Liebesduett-Akt. Tristan stirbt aber nicht im Bett, sondern davor. Dann trifft Isolde ein. Kühl arbeitet Marthalers Tristan-Maschine, aber eben deswegen herzzerreißend, wenn sie sich jetzt auf das noch vom Sterben des Geliebten warme Lager legt. Und als sie den "Liebestod" singt, scheint der Neonröhren-Ufo-Himmel, der ganz am Anfang noch so etwas wie Utopie versprach, nicht noch einmal auf. Es gibt keine Hoffnung, tot ist tot, und das Geheimnis der Liebe ist nicht größer als das Geheimnis des Todes. "Tristan und Isolde" in Marthalers gnadenloser Sicht ist ein allerdings allertraurigstes Stück.

    Den Wundern der Tristan-Partitur blieb Eiji Oue, zum ersten Mal im Bayreuther Graben, noch etwas schuldig, zu hören war ein über weite Strecken pauschales Dauerforte. Als es vorbei war, küsste der Japaner den Bühnenboden, ein Zeichen des Respekts, wohl auch der Erleichterung. Marthaler/Viebrock kassierten überraschend lustlose Buhs. Man kann den neuen Bayreuther Tristan als Konfektion aus der Marthaler-Manufaktur kritisieren. Aber er geht weiter als die je knallbunten oder rabenschwarzen Rätselzeichen, die zuletzt in Paris, Basel, Stuttgart zu sehen waren. Weiter ins Dunkle, Ungemütliche.