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"Hotel Palestine" (Das System - Teil III)

Der vierte Teil des Schaubühnenprojekts, mit dem Falk Richter als Autor und Regisseur seit Januar versucht, "unsere Art zu leben" auszustellen, ist in kaum vier Wochen entstanden. Das merkt man dem Stück "Hotel Palestine" durchaus an. Es ist kein Stück mit Spielsituationen, sondern eine zu Recht als Projekt bezeichnete unfertige Montage von semidokumentarischem Textmaterial aus der Welt der offiziösen amerikanischen Verlautbarungen zum Irakkrieg. Hier prallen ganz konsequent keine Figuren, sondern nur mehr Haltungen und Meinungen aufeinander. Und hier wird keine Handlung entwickelt, sondern es werden Thesen in Mono- und Dialogen kritisch ausgestellt.

Von Hartmut Krug | 03.05.2004
    Die Szene ist ein schickes Hotelfoyer. Der Stücktitel verweist auf das Bagdader Hotel Palestine, in dem embedded oder eingebettete Journalisten während des Irak-Krieges wohnten und einmal auch von den Amerikanern beschossen wurden. Bühnenbildner Jan Pappelbaum hat in den offenen Bühnenraum eine lange Glaskonstruktion gehängt. Sie besteht links aus einem Bartresen, in der Mitte aus einer milchigen Projektionsfläche, auf der Infrarotbilder des Irak-Krieges eingespielt werden, und rechts aus einem langem Terrarium, über dessen Sanddünen lebhafte Geckos huschen. Ebenso lebhaft, aber zugleich routiniert und gleichermaßen kumpelhaft miteinander verkehrend wie beinhart auf ihren gegensätzlichen Positionen beharrend, so gehen hier vier Journalisten mit drei amerikanischen Regierungsvertretern bei einer Pressekonferenz um. Es werden die üblichen so kritischen wie offenen Fragen gestellt, und die Regierungsvertreter antworten arrogant ausweichend oder winden sich mit souveränenem Ungeschick heraus, wie man es aus der medialen Realität gewohnt ist. Gab es eine "unmittelbare Bedrohung" durch den Iran, die den Krieg gerechtfertigt hätte? Wieso gehen die USA mit den Gefangenen auf Guantanamo Bay so um, wie sie es nach den Regeln der Genfer Konvention nie dürften? (Antwort: es gibt eben gelegentlich aggressive Befragungsmethoden.) Wie viele Tote hat der Krieg bisher gekostet (keine Antwort), wie hat Präsident Bush den Tod seines Hundes aufgenommen (wortreiche Erklärungen), und wie viel Wiederaufbau-Aufträge hat die mit Vizepräsident Cheney verbundene Firma Halliburton erhalten?

    Es ist kein reines Kabarett, es ist kein Besserwisser-Seminar, das Falk Richter hier veranstaltet. Es werden Positionen aus- und gegeneinander gestellt. Das ist gelegentlich entlarvend für beide Seiten. Wenn Judith Engel als Journalistin mit schrecklich cooler Schwärmerei für den Krieg redet, als sei er eine Weiterbildungsveranstaltung, wenn Robert Beyer wie ein versteiftes Ausrufezeichen als amerikanischer Sprecher behauptet, die Amerikaner seien als Kriegführende Realisten, könnten aber auch das Schöne in der Welt erkennen, wenn die Antikriegshaltung der Deutschen als romantische Schwärmerei bezeichnet wird, dann geraten die Argumentation in Gegenbewegung und die Zuschauer ins Grübeln. Und wenn von Schülerdemonstrationen gegen den Krieg und vom Internet-Forum besetzter Häuser unter dem Titel "Häuser für den Frieden" geredet wird, dann werden das Groteske der Argumentationen auf beiden Seiten deutlich. Natürlich aber ist dies kein ausgewogenes Projekt, sondern eines, das die Kritik am Kriegswillen der Amerikaner kritisch angreift. Wenn am Schluss die Hoffnung der Amerikaner steht, "wir werden die Herzen der gesamten Menschheit erobern", dann wirkt das natürlich wie pure Naivität oder blanker Hohn.

    Das Problem des Abends ist, das er mit knapp einer Stunde eigentlich schon zu lang ist. Weil Falk Richter als Regisseur auch nicht viel einfällt, um die Text- und Thesenbrocken inszenatorisch zu verlebendigen. Die Schauspieler verteilen sich im Rau, besteigen gelegentlich die Theke, einer lagert sich auf der Projektionsfläche, ein anderer steigt, passend zum Bericht über den Wüstensturm, ins Terrarium, - doch das wirkt alles so beliebig wie hilflos. Kein großer Abschluß des vierteiligen Projektes, das insgesamt aber überzeugte.

    Es geht in allen Stücken des Projektes "Das System" um die Gewalt, und es geht um die Frage, wie sich die Individuen, hier die kreativ kritischen Angestellten der globalisierten und Medienwelt, zwischen medialer und Selbstinszenierung wahrnehmen oder gar verwirklichen können. In "Electronic City", Teil 1 des Systems, wird die Liebe zwischen einem unbehaust durch die Welt jettenden Angestellten und einer Springerin an einer Flughafen-Scannerkasse von einem Fernsehteam als Echtzeitsoup dokumentiert oder inszeniert. In "Unter Eis" wird die normale Gewalt zwischen verschiedenen Vertretern des Berufsstandes der Berater gezeigt, und in "Amok" geht es um Drehbuchproben zu einer Geschichte, in dem ein Mann Lehrer und Schüler erschießt. Auch in "Hotel Palestine" geht es um die unbegriffene und inszenierte Gewalt. Das gesamte Projekt ist ein gelungener Versuch, sich mit politischem Verhalten und privaten Haltungen unserer Zeit auseinander zu setzen.