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''How you look at it''

Das Wasser lebt. Und erzählt immer neue Geschichten. Bei der amerikanischen Fotokünstlerin Roni Horn werden die Wassermassen der Themse zu Hügeln und Falten, feinporigen Hautoberflächen oder Mondlandschaften, zu erstarrter Lava oder moosigem Gewebe. Manche dieser Bilder sehen aus wie gewelltes, gestanztes, geglättetes verchromtes Blech oder wie zerklüftete Wassergebirge, manchmal auch wie Schiefergestein oder wie Spiegel.

Christian Gampert berichtet | 27.03.2003
    Erstaunlich die unterschiedlichen Stimmungen dieser Serie: Roni Horn zeigt uns, wie man das Wasser gletscherartig aufhellen oder sandig eintrüben, gleißend aggressiv inszenieren oder depressiv verdunkeln kann. Es gibt Bilder, die springen einen grell an, andere lassen einen versinken in einer schwermetallisch anmutenden dunklen Flut. Allein der Umgang mit der Farbe ist ein Lehrstück: vom falben Graugrün bis zum bräunlich schäumenden Ocker, vom tintigen Blau bis zum Wüstensandgelb wird in dieser Studie alles durchexerziert – in fast klassischer Form, Thema mit Variationen.

    Roni Horn kommt von der Konzeptkunst. Zeichnung, Skulptur, Installation, alles hat sie gemacht, aber das Entscheidende sind immer die inszenierten Bezüge zwischen den Einzelteilen. Alles ist in Bewegung. Die Wasserbilder sind im Kreis gehängt, sie strukturieren einen Bereich. Die anderen Räume sind thematisch jeweils anders besetzt, am schönsten vielleicht bei der Konfrontation sich unmerklich verändernder Wolkenbilder mit den verzerrten, grimassierenden Portraits eines Clowns. Auch hier: keine Nachbearbeitung, allein mit der längeren Belichtungszeit zeigt uns Horn die milchige, sich ins Unscharfe wegdrehende Kopfbewegung, die an Francis Bacon erinnert.

    Auch die 64 schachbrettartig aufgereihten Schwarzweißbilder von den Umkleidekabinen eines isländischen Schwimmbads spielen mit dem Irritations-Effekt: eine labyrinthische Architektur aus gekachelten Gängen und Kabinen zieht uns hinein in eine Welt, in der die Menschen nur noch als schemenhafte Zeichen anwesend sind.

    Drei Monate pro Jahr verbringt Roni Horn in der Einöde Islands, um jenseits des Mediengetöses zum Wesentlichen zu kommen. Das sind für sie: die Natur, das Meer, Häuser, Gesichter, Tiere. Diese Themen werden im zentralen Ausstellungsraum in Winterthur ebenfalls kreisartig angeordnet: Das Licht, die Nebel über dem Meer verändern sich, Vögel brüten Eier aus und verlieren ihren Flaum, Bauern zeigen ihre vom Wind geröteten Gesichter.

    Dass auch ein Gesicht im Fluss sein kann, dass es sich im Lauf der Zeit in viele Gesichter verwandelt, das zeigt uns Roni Horn in einer Langzeitstudie über ein heranwachsendes Mädchen, das mal keck, mal trübe, mal ironisch und mal ernsthaft sich auf diese Fotosessions einlässt.

    Zum Schluss müssen wir noch einmal durchs Wasser, durch die Wasserbilder: Regentropfen fallen auf die Themse, kleine Einschläge, die Kreise ziehen und Gravitationsfelder bilden. Manche Fotos sind sind skulpturale, starre Muster, andere flirren wie bei Monet. In manchen sieht man wolkig aufgewühlten Uferschlamm, andere lassen einen in einer schweren Flut versinken. Nehmen Sie sich eine Stunde Zeit, sehen Sie diese Bilder an. Dann machen Sie Augen zu: alles fließt.

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