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Hübsch geschlagene Luftbrücken

Ein neuer Geist der Zusammenarbeit, der Klimaschutz, Afghanistan und die Berliner Luftbrücke waren Obamas Themen bei seiner Rede vor 200.000 Zuschauern an der Siegessäule in Berlin. Damit löste er weithin ein positives Echo aus. Scheinbar lieben die Deutschen in Barack Obama ihren amerikanischen Traum.

Von Arno Orzessek |
    Vorab zwei schlichte Thesen:

    These Nummer 1: Die Deutschen lieben in Barack Obama ihr Wunsch-Amerika, an dessen Schulter man sich gern lehnt. Sie lieben in ihm ihren amerikanischen Traum, der viel mit Größe und Freiheit zu tun hat, aber nichts mit Abenteuern à la Irak.

    These Nummer 2: Wenn sich der Präsident der Vereinigten Staaten nähert, und sei es in der Vorläufigkeit eines Präsidentschaftskandidaten, werden gestandene Männer zu Buben, die plötzlich dicke tun müssen wie mit vierzehn.

    Zugegeben, beides war schon abzusehen gewesen, bevor sich das beißende Aroma durchgebrannter Hirnsicherungen über Berlin legte, zumal über die Medienstadt gleichen Namens, in deren Garderobe nur noch Mäntel der Geschichte ab Größe XL herumhängen ...

    ... und im übrigen so manche Frau bei Erwähnung des Namens Obama mit leuchtenden Augen auf Kennedys Außenpolitik kommt, als könne man mit dieser Außenpolitik noch heute wilden Sex haben. Die Übertragung vom größten Popstar der amerikanischen Politik auf seinen bisher hoffnungsvollsten Nachfolger funktioniert jedenfalls einwandfrei.

    Und das regt auch die Männer an. Während die Völker der Welt noch in Erwartung Obamas auf Berlin blickten, musste man nur das ZDF einschalten, um an Claus Kleber die Buben-These sofort bestätigt zu finden.

    Natürlich hätte der Moderator des heute journal, der in Wikipedia auf seine persönliche Bekanntschaft mit Ex-US-Präsidenten hinweisen lässt, den schwarzen Superstar und Senator aus Illinois gern für alle Deutschen interviewt und zwar in einem "intimen" Gespräch. Weil das aber irgendwie nicht ging, erklärte Kleber: "Meine SMS und meine Email" seien leider fruchtlos geblieben.

    Da konnte minder wichtigen Zuschauern das Handy in der Hand schwer werden. Wer anders als der propere Claus hat schon Baracks Mobile Phone Number im Speicher?

    Doch wenig später lief, wie vom Himmel selbst geschickt, eine Reporterin namens Kyrieleis ins Bild - und ihr seltener Name brachte alles wieder in die intellektuelle Spur. Kyrie eleison heißt 'Herr, erbarme dich'. Und vom Kyrie zum Hosianna - dem hebräischen Ruf Hilf doch! - und von dort zum Hallelujah - Lobpreiset Jahwe! - ist es nicht weit.

    Womit tatsächlich Barack Obama in den Mittelpunkt rückte, der Mann mit muslimischem Hintergrund, dem die christologischen Attribute medienseits wie Silberlametta angehängt werden, so dass man sich fragt, ob in seinem Pass tatsächlich Barack Hussein steht oder doch Barack Messias Obama.

    Dieser Obama hat in Berlin gestern nichts anderes als airlifts gebaut, Luftbrücken also, schön geschlagene Brücken aus Luft, über die die Träumer in ihren Träumen federleicht wandeln können.

    Es ist ja wahr, dass Obama auf die profan-reale Berliner Luftbrücke von 1948/49 angespielt hat - aber auf soviel Wortgeschmack darf der begabte Rhetoriker rechnen: Dass man seine Luftbrücke auch buchstäblich und bildlich nimmt, als das Kommunikationsvehikel eines politischen Schamanen, der genau weiß, dass die transatlantischen Geister der Verständigung sehr real, aber bisweilen äußerst flüchtig sind.

    Der elegante Tänzer und im übrigen wurfsichere Basketballer Obama ist allemal so schlau wie diejenigen, die heute 'Hosianna' rufen und sich für morgen schon mit 'Kreuziget ihn' munitionieren - und damit natürlich viel eher ein Nachfolger Clintons als Bushs jun.

    Sommermärchenwarm und für Historie empfänglich war die Berliner Luft, während Obama wieder und wieder die Brücke beschwor. Wenn man es richtig verstand, hat dieses schwebende Metapherbauwerk mehr mit Martin Luther Kings 'I have a dream' als mit Obamas originärem und vordergründig handlungssüchtigem 'Yes, we can' zu tun.

    Kein Wunder, dass die Begeisterung unter der Siegessäule nicht eben Loveparade-artig überschwappte und Augenzeugen später berichteten: Ein bisschen neumoderne Hippie-ness habe sich im Tiergarten schon ausgebreitet, aber letzte Vorbehalte seien stabil geblieben. Dieser erklärte Bürger aller Welt verkündete ja auch eher vage Visionen als krachende Zielmarken und Road maps dorthin.

    Er ist halt, siehe These 1, der Mann der Träume.

    Aber auch die Verzücktesten mussten in Berlin bald wieder an die Arbeit. Und genau das blüht demnächst auch dem Luftgänger Obama, der in fremden Ländern den charismatischen Heiland gibt, um sich seiner betrübten Heimat in dieser Funktion umso nachdrücklicher zu empfehlen.