Archiv


Hühnerhälse im Schweinetrog

Lebensmittel.- Seit dem Aufkommen von BSE in den 90er-Jahren dürfen keine Schlachtabfälle von Rindern, Schweinen oder Hühnern an Nutztiere verfüttert werden, die in die menschliche Nahrungskette gelangen. Doch dieses Verfütterungsverbot soll nun entscheidend gelockert werden.

Von Michael Engel |
    Schlachtabfälle einfach zu verbrennen oder als Dünger auf dem Acker zu entsorgen, ist eine Verschwendung von Ressourcen. Das jedenfalls meint Professor Josef Kamphues, Direktor des Instituts für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Dass dies immer noch vor allem in Europa passiert, darüber kann sich der Wissenschaftler richtig aufregen.

    "Rund um Europa ist das, was wir hier besprechen, gängige Praxis. Wenn Sie in ein anderes Land gehen, Australien oder Neuseeland, alles, was dort an Schlachtnebenprodukten anfällt, wird an alles verfüttert. Und wir tun so, als wenn das etwas Ungewöhnliches ist. Ich habe nicht den Eindruck, dass Australien und Verantwortungsträger dort alle suizidgefährdet sind. Oder? Die machen es alle!"

    Nach einem Entwurf der EU-Kommission sollen Schlachtabfälle von Schweinen und Hühnern – immerhin fast die Hälfte des Lebendgewichtes – als Futtermittel recycelt werden. Das Ganze ist allerdings an mehrere Bedingungen gekoppelt: Erstens müssen die Abfälle von gesunden Tieren stammen. Darüber hinaus gilt ein "Intraspecies-Recycling-Verbot", wie Dr. Udo Wiemer vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erklärt:

    "Das heißt, es ist verboten, Eiweiß, das von einer Tierart gewonnen wird, an dieselbe Tierart zu verfüttern. Das heißt, es ist verboten, Geflügelprotein an Geflügel zu verfüttern. Zulässig wäre die Verfütterung von Geflügelprotein an Schweine. Wenn man dieses beachtet, ist das Risiko halt auch vernachlässigbar, so die wissenschaftlichen Stellungnahmen."

    Zulässig wäre demnach auch die Verfütterung von Schweineabfällen an Geflügel. Nicht sehr artgerecht, denn normalerweise essen Hühner keine Schweine. Auch Aquakulturen – Lachsfarmen zum Beispiel – sollen profitieren. Verboten bleiben soll die Verfütterung der Schlachtabfälle von Wiederkäuern wie Rinder, Schafe und Ziegen, damit nicht noch einmal ein Erreger wie die "Bovine Spongiforme Encephalopathie" – besser bekannt als "BSE" – um sich greift. Das heißt: Schlachtabfälle müssen nach Arten streng getrennt werden. Kontaminationen durch Rinderabfälle, so Dr. Matthias Greiner vom Bundesinstitut für Risikobewertung, dürfen nicht auftreten.

    "Und es ist aus unserer Sicht ganz wichtig, dass die Behörden, die diese Betriebe kontrollieren, eben auch das Werkzeug haben, um diese Kontaminationen aufzudecken. Und auch zu analysieren. Deswegen ist eine Weiterentwicklung der Methoden ganz wichtig, mit denen zum Beispiel Proteine von Rindern, vom Wiederkäuer, nachgewiesen werden können, zum Beispiel im Rinderfuttermittel. Und daran wird in der EU derzeit gerade intensiv auch gearbeitet."

    Auszuschließen ist so eine Kontamination nämlich nicht. Nach einer Risikobewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit könnte jedes Jahr ein zusätzlicher BSE-Fall auftreten, wenn versehentlich oder mit krimineller Energie Rinderabfälle in das Rinderfutter gelangen. BSE rangiert ganz oben in den Risikoanalysen. Normale Keime hingegen – Bakterien oder Viren – sollen durch eine Drucksterilisation des Materials bei 130 Grad Celsius problemlos abgetötet werden. Dr. Udo Wiemer vom Bundesernährungsministerium hofft auf eine Akzeptanz beim Verbraucher.

    "Was in den laufenden Monaten sehr wichtig ist, das richtet sich sowohl an die Verbraucher in Deutschland, aber auch an die europäische Kommission in Brüssel, es muss kommuniziert werden, dass bei Aufhebung das Verfütterungsverbot an landwirtschaftliche Nutztiere – ausgenommen Rinder – kein Risiko für die Verbraucher entsteht. Das muss deutlich gemacht werden. Nur so kann es Akzeptanz finden."

    Experten versprechen sich Vorteile vor allem für die Umwelt, wenn 150.000 Tonnen Eiweiß pro Jahr aus Schlachtabfällen recycelt werden: Weniger CO2, weniger Landverbrauch für die Futterproduktion. Dafür mehr Nahrung für die Menschheit, die im Jahr 2050 vermutlich die Neun-Milliarden-Grenze überschritten hat. Ob die Konsumenten hier zu Lande auch so denken, bleibt abzuwarten.