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Hürden für die Barrierefreiheit

Das Internet ist in der öffentlichen Verwaltung mittlerweile ein wichtiges Standbein.

Von Dietmar Reiche | 14.08.2004
    E-Government heißt das Schlagwort und beschreibt die ehrgeizigen Pläne der Regierung, bis Ende 2005 alle internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung Online bereit zu stellen. Auch Blinde sollen dieses Angebot nutzen. Dafür gibt es eigens die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik. Die Länder und Kommunen folgen diesem guten Beispiel, doch in Nordrhein-Westfalen klagen die Städte nun über hohe Umstellungskosten.

    Schaltfläche, Schaltfläche, Schaltfläche, nach unten, nach unten ….

    So klingt es, wenn Blinde mit einem so genannten Web-Screener über schlecht programmierte Internetseiten surfen. Das kleine Programm übersetzt am PC die aufgerufene Seite und kommt ins Stocken. Der Grund: Online-Angebote sind zwar oft schön bunt und multimedial, aber für Blinde ein Alptraum: es fehlen wichtige Beschreibungen von Bildern, Grafiken oder Schaltflächen. Doch es geht auch anders. Barrierefreier Internetzugang lautet die Lösung Iris Cornelssen, Computerexpertin von der Aktion Mensch.

    Barrierefreies Internet heißt einfach, dass jeder, der die Internetseite erreichen möchte, sie auch erreichen kann und die Inhalte erfassen kann. Also das heißt, dass sich alle Web-Designer von der Vorstellung verabschieden müssen, dass alle Mensch immer mit Tastatur Maus und Monitor vorm Internetanschluss sitzen, sondern dass es sehr vielfältige Geräte. Und die meisten Geräte, die Menschen mit Behinderung benutzen oder die Zusatzsoftware [...] also, das sind im Grunde die gleichen Schnittstellen und Standards, die da benötigt werden.

    In Nordrhein-Westfalen sollen neue Internet-Angebote bereits ab September barrierefrei sein. Der Altbestand muss bis Ende 2008 umgestellt werden. Doch die Städte fürchten die Kosten. Die Landesverordnung schieße über das Ziel hinaus und wirke sogar kontraproduktiv, erklärte Bernd Jürgen Schneider, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, NRW. Dies könnte dazu führen, dass die Kommunen ihre Online-Angebot ab 2009 Not gedrungen reduzieren müssten. Der "Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf" befürchtet nun eine Sparpolitik auf dem Rücken der Schwachen. Mit der Drohung das kommunale Internetangebot zu reduzieren, würden die Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt. Lutz Golan, Referent für Informationstechnologien beim Städte- und Gemeindebund, erklärt das Problem

    Wir können natürlich gerade bei kleineren Kommunen nicht verlangen, dass mit einem erheblichen Personal- und finanziellem Aufwand, die unbestimmten – das ist ein ganz wichtiger Punkt – die unbestimmten Forderungen der Verordnung tatsächlich eingehalten werden können., so dass sich eine Kommune, um sich der Gefahr einer Klage zu entziehen, möglicherweise entscheiden muss, zu sagen: Ich reduziere mein Angebot auf wirklich wenige Sachen , um sicherzustellen, dass kann ich der Verordnung entsprechend - wenn überhaupt möglich - anbieten. Alles andere, was ich gerne freiwillig machen würde, da begebe ich mich in die Gefahr einer Klage.

    Wie hoch die Zusatzkosten ausfallen, kann der Städtebund nicht beziffern. Für diese Verordnung gebe es keinerlei Berechnungen. Auch erste Schätzungen liegen noch nicht vor. Christian Schmitz vom Behindertenverband Aktion Mensch glaubt nicht an eine Kostenexplosion im Zuge der Umgestaltung. Im Gegenteil: die Rationalisierung durch das Online-Angebot schaffe finanzielle Spielräume., die man auch nutzen müsse.

    Die Kritik ist eigentlich nicht nachvollziehbar. Ein gewisser finanzieller Aufwand – klar, der steht außer Frage. Nur Internetauftritte müssen sowieso gepflegt und von Zeit zur Zeit überarbeitet werden.

    Der Städte und Gemeindebund NRW betont, dass Internet-Angebot der Kommunen sei eine freiwillige Leistung, um den Service für die Bürger zu verbessern. Der Vormarsch von E-Government sei kein Argument für einen vollständigen barrierefreien Umbau der Internetpräsentationen. Sämtliche Verwaltungsleistungen, die man Online abrufen könne, würden auch weiterhin im Rathaus angeboten.

    Den kommunalen Spitzenverband in NRW stört vor allem ein Passus in der Landesverordnung, wonach die barrierefreien Internetseiten auch mit zukünftigen Technologien funktionieren müssen. Bereits jetzt sei es nicht gewährleistet, dass die Softwarehersteller sich an die Standard-Empfehlungen halten. Lutz Golan:

    Im Aktuellen Internet-Explorer ist eine bestimmte HTML-Codierung nicht als darstellbar umgesetzt. Und zwar geht es darum, wenn innerhalb eines Textes die Sprache von Englisch nach Deutsch oder von Deutsch nach Englisch wechselt, dass dann in der HTML-Sprache dieser Sprachwechsel gekennzeichnet sein muss, laut den W3C Standard oder Empfehlungen. Der Internet-Explorer beherrscht diesen so genannten Tag nicht. Das heißt, ein Screen-Reader, der auf dem Internet-Explorer aufsitzt, würde möglicherweise in einem deutschen Text das Wort "Kommputa" aussprechen – anstatt Computer, obwohl ein englisches Wort gewählt ist bzw. angegeben ist, was er dann auch Englisch aussprechen sollte.

    Die Landesverordnung soll nun wieder auf den Prüfstand. Lutz Golan geht davon aus, dass
    der Städte- und Gemeindebund in Zusammenarbeit mit dem Land es tatsächlich schafft, die Verordnung in einiger Zeit so zu verändern, dass sie tatsächlich handhabbar sei.