Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Hürdenläuferin Jackie Baumann
"Die Wettkämpfe waren nur noch eine Belastung"

Jackie Baumann hat überraschend ihre Leichtathletik-Karriere beendet - mit nur 24 Jahren. Die mentalen Probleme hätten bei ihr Überhand genommen, sagte Baumann im Dlf. Sie kritisierte, dass im Sport fast nur über körperliche Verletzungen gesprochen werde, aber fast nie über die Seelischen.

Jackie Baumann im Gespräch mit Marina Schweizer | 08.08.2020
Die Hürdenläuferin Jackie Baumann
Die Hürdenläuferin Jackie Baumann hat ihre Leichtathletik-Karriere mit nur 24 Jahren beendet - "Ich konnte die mentale Belastung nicht mehr tragen", sagte sie im Dlf. (dpa / picture alliance / Fusswinkel)
Hürdenläuferin Jackie Baumann hat im Alter von 24 Jahren überraschend ihre Leichtathletik-Karriere beendet. Sie begründete ihren Rücktritt mit dem Druck rund um Wettkämpfe. "Ich konnte die mentale Belastung nicht mehr tragen, ich habe auch festgestellt, dass ich sie nicht mehr möchte", sagte die Olympia-Teilnehmerin von Rio de Janeiro 2016 und zweifache deutsche Meisterin im Dlf. Die Tochter von 5000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann galt als klare Favoritin über 400 Meter Hürden bei den nationalen Titelkämpfen am Wochenende (8./9. August) in Braunschweig.

Sie habe Wettkämpfe nicht genießen können, vielmehr hätten diese sie belastet und sich negativ auf ihre Gesundheit ausgewirkt. Am Ende sei sie nicht mehr bereit gewesen, dem Druck standzuhalten, sagte die Leichtathletin im Deutschlandfunk. Sie habe Ängste und Zweifel verspürt: "Irgendwann kommt man aus der Spirale nicht mehr raus, man ist gefangen in seinem eigenen Kopf." Im Deutschlandfunk berichtete sie von Schlafstörungen und einer schnellen Gereiztheit. Vor Wettkämpfen habe sie mitunter Würgereize verspürt oder sich übergeben müssen.
Fußballfans von Hannover 96 gedenken ihres früheren Torwarts Robert Enke mit einem Plakat. 
Sportpsychiater: "Müssen uns um die seelische Gesundheit kümmern"
Sportpsychiater Valentin Markser setzt sich dafür ein, die seelische Gesundheit im Spitzensport nicht zu vernachlässigen. Im Dlf-Sportgespräch kritisiert er Vereine und Verbände – sie hätten nach dem Suizid von Fußballer Robert Enke noch nicht genügend getan.
Wettkämpfe als Existenzproben
Teilweise seien Wettkämpfe für sie wie Existenzproben gewesen und hätten Existenzängste bei ihr ausgelöst, sagte Baumann. Die Probleme seien im Jahr 2016 aufgetreten und vor allem rund um die Olympischen Spiele in Rio massiv geworden. Danach seien sie auch nicht mehr weggegangen. Über Bestzeiten, gewonnene Läufe habe sie sich nie freuen können, es habe ihr keine Erleichterung verschafft, sondern im Gegenteil habe der negative Druck auf sie eher zugenommen, sagte die 24-Jährige.
Sie habe wegen ihrer Probleme auch mit Sportpsychologen und normalen Psychologen gesprochen. "Es war hilfreich darüber zu sprechen, aber ich hatte nie das Gefühl, dass die Strategien funktionieren", sagte die Lehramtsstudentin.
Baumann kritisierte, dass im Leistungssport vor allem über körperliche Verletzungen gesprochen werde. "Über die seelischen wird fast nie gesprochen", sagte die gebürtige Ulmerin. Sie begrüßte aber, dass sich in letzter Zeit vermehrt andere Leistungssportler über ihre psychischen Probleme geäußert haben.
Mertesacker - "Schlimm, wie wir Spieler in diesem System opfern"
Seine Aussagen über Druck im Fußball haben Diskussionen ausgelöst. Im Dlf-Sportgespräch spricht Fußballer Per Mertesacker über Lernprozesse, Höhepunkte seiner Karriere und Erfahrungen.
Besondere Beschaffenheit als Leistungssportler benötigt
Baumann stellte heraus, dass man als Leistungssportler eine besondere Beschaffenheit benötige: "Ich glaube, für Spitzensport braucht es mehr, als nur körperliches Talent und körperliche Fähigkeiten."
"Wenn es nur ums Gewinnen und Platz 1 geht, dann sind wir im gleichen Bereich, wie, warum fangen Sportler an mit Doping? Das ist der gleiche Druck, der auf einem lastet. Man weiß, man muss an dem einen Tag performen und alles abrufen. Aber das ist das System Sport, das war schon immer so. Vielleicht hat sich das in den letzten Jahren einfach so entwickelt, weil die Leistungen immer besser und besser werden und dadurch der psychische Sport auf die Athleten immer größer wird", sagte Baumann, die für LAV Stadtwerke Tübingen startete. Sie wollte dem "System Sport" aber nicht die Schuld für ihre psychischen Probleme geben.
Amt in der Leichtatletik zukünftig nicht ausgeschlossen
Sie werde nun ihr Lehramtsstudium für das Gymnasium in den Fächern Sport und Geschichte abschließen, sagte sie im Deutschlandfunk und betonte, dass sie sich aus dem Sport auch nicht komplett verabschieden wolle. Sie wolle weiter sportlich aktiv bleiben und schloss auch nicht aus, in der Zukunft irgendein Amt in der Leichtathletik im Hochleistungssport zu übernehmen. "Vielleicht bin ich dann glücklicher darüber", sagte sie.
Jackie Baumann war 2015 und 2016 deutsche Meisterin über 400 m Hürden geworden. Trotz Verletzungssorgen in den vergangenen Jahren hatte sie sich zuletzt in Topform gezeigt. Im niederländischen Papendal lief sie Mitte Juli mit 55,53 Sekunden eine persönliche Bestzeit.