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Hüterin der französischen Sprache

Wenn die Franzosen nicht mehr weiter wissen, was die Rechtschreibung angeht, ziehen sie das Dictionnaire, das Wörterbuch der Académie Française, zu Rate. Seit 1635 wacht diese Pariser Institution über die Reinhaltung der französischen Sprache.

Von Björn Stüben | 02.01.2010
    Die Radiostationen berichteten live, als 1962 erstmals kein Schriftsteller, sondern der Cineast Réné Clair in die Reihe der Immortels, der 40 Unsterblichen der ehrwürdigen Académie Française aufgenommen wurde. Den Festakt untermalte damals wie heute der Trommelwirbel der Republikaner-Garde.

    Die Gründung dieser ältesten noch bestehenden französischen Institution aus vorrevolutionären Zeiten wurde im Januar 1635 von Ludwig XIII. genehmigt und vom einflussreichen Kardinal Richelieu anschließend in die Tat umgesetzt. Die französische Sprache sollte von fremden Einflüssen bereinigt und durch die Herausgabe eines Dictionnaire, eines Wörterbuchs, vereinheitlicht werden. Längst gehören nicht mehr nur Schriftsteller oder Philosophen der Académie Française an, sondern auch Politiker wie Giscard d'Estaing oder Wissenschaftler wie der französische Kunsthistoriker Pierre Rosenberg, der die Bedeutung der Académie unterstreicht:

    "Der Platz des Französischen ist nicht mehr, was er war, natürlich. Und es ist sehr traurig zu sehen in vielen Ländern, dass man nicht mehr Französisch spricht. Man muss auch in Frankreich ein gutes Französisch sprechen. Die Sprache ist sehr durch englische Wörter jetzt beeinflusst und die Académie Française versucht natürlich, die französische Sprache noch zu schützen, wenn ich so sagen darf. Eine Sprache gut zu sprechen, ist eine Weise, sein Land zu verstehen."

    Einmal in der Woche treffen sich die Unsterblichen hinter denkmalgeschützten Mauern des 17. Jahrhunderts, wo sie seit 1986 an der neunten Ausgabe des Dictionnaire arbeiten. Tausende von neuen Wörtern, die in die französische Sprache eingehen sollen, werden diskutiert. In die aktuelle Ausgabe eingeflossen sind deutsche Wörter wie Brezel oder Knödel. Auch Litschi oder Kung-Fu aus dem Chinesischen und der Chianti oder die Cannelloni aus Italien gehören jetzt dazu. Aus dem Englischen kommen jedoch die meisten Neuzugänge, über die sich bereits der Académicien Maurice Druon 1991 seine Gedanken machte:

    "Wenn es doch ein gutes Wort im Französischen gibt, um etwas auszudrücken, dann ist es eigentlich nutzlos, hierfür ein englisches Wort zu gebrauchen. Aber wir schreiben nicht télécopie, sondern fax. Das englische Wort fax ist nun mal kürzer. Ich denke, dass eine Sprache nicht darunter leidet, wenn sie einige Wörter aus anderen Sprachen aufnimmt."

    Gleichzeitig jedoch hat die Loi Toubon, das 1994 nach dem damaligen Kulturminister benannte Gesetz zur Reinhaltung der französischen Sprache, englische Wörter wie Walkman und Software aus dem Französischen verbannt. Ein Gesetz, das ohne die Empfehlungen der Académie kaum denkbar gewesen wäre. Die alte Dame unter den französischen Institutionen wird heute oft als verstaubt und unzeitgemäß kritisiert. Das aus grünem Samt mit Brokatbesatz maßgeschneiderte Kostüm eines jeden Académicien, zu dem auch ein wertvoller Degen gehört, betrachten viele als Relikt aus vergangenen Zeiten. Und dennoch gilt als Krönung einer Intellektuellen-Karriere, in den erlauchten Kreis aufgenommen zu werden. Wird einer der 40 Fauteuils, der Académie-Plätze, durch den Tod eines Mitglieds frei, wählen die Académiciens einen Nachfolger. Wie wird man einer der Unsterblichen?

    "Mit Glück. Man muss natürlich Kandidat sein. Jeder kann Kandidat sein. Und man muss die 39 Kollegen anschreiben, persönlich schreiben oder sehen. Es ist sehr schwer, denn man kann nicht von sich selbst sprechen und von dem Académicien, den man sieht. Es ist sehr schwer ihm zu sagen, dass er der größte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist. Es gibt nur ein Gebiet, das Wetter, man kann vom Wetter sprechen."

    Pierre Rosenberg hat die Mitglieder der Akademie, die ihn schließlich 1995 in ihre Reihen wählten, offenbar überzeugen können. Emile Zola bemühte sich hingegen 22 Mal vergeblich. Als erste Frau wurde 1981 Marguerite Yourcenar aufgenommen, was damals eine kleine Revolution bedeutete. Heute gehören immerhin vier weitere Damen zu dem ehrwürdigen Gremium. Von ihrer Bedeutung als Wächterin über die französische Sprache hat die Académie Française nichts eingebüßt. Die in Europa einzigartige Institution ist so etwas wie ein Grundpfeiler des französischen Selbstverständnisses und scheint als solcher tatsächlich unsterblich zu sein.