Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Hugo Wolf: Quartettkompositionen

Norbert Ely | 25.04.1999
    Max Bruch - Kammerwerke Ensemble Ulf Hoelscher picture: dot.gif label: CPO Labelcode: LC 8492 Bestell-Nr.: CPO 999451-2

    Am Mikrofon begrüßt Sie Norbert Ely.

    Herzlich willkommen zu zwanzig Minuten Kammermusik, wie sie von stärkeren Gegensätzen geprägt kaum vorstellbar ist: Größer besetzte Ensemblemusik von Max Bruch und Quartettkompositionen von Hugo Wolf: * Musikbeispiel: Hugo Wolf - aus: Streichquartett d-moll, 1.Satz. Grave - Leidenschaftlich bewegt Vergleicht man Hugo Wolf und Max Bruch miteinander, - sie sind ohne weiteres als Zeitgenossen anzusprechen, obwohl Bruch 22 Jahre älter war als Wolf, diesen aber anderseits um 17 Jahre überlebte - vergleicht man diese beiden, so fällt einem eine Reaktion von Richard Strauss auf Hans Pfitzner ein. Eines Tages bemerkte jemand Strauss gegenüber, Pfitzner quäle sich richtig mit jedem Werk. Darauf Strauss: "Warum komponiert er dann, wann’s ihm so schwer fallt?" Hugo Wolf tat sich beim Schreiben wahrhaftig nicht leichter. Hinzu kam, daß es ihm an Metier fehlte, als er mit achtzehn Jahren mit der Arbeit an seinem d-moll-Quartett begann. Zudem hatte er offensichtlich vor, Beethovens Satztechnik mit Wagners musikalischer Rede zu vereinen, was ungefähr der Quadratur des Kreises gleichkam; jedenfalls geriet das Ergebnis so, daß die Quartettvereinigungen meist einen Bogen um das Stück machten, denn das Werk erschließt sich nicht so ohne weiteres, es ist immer wieder äußerst heikel in der Klangbalance, der Satz oft harmonisch kühn, bisweilen aber auch ausgesprochen sparsam, und die technischen Ansprüche sind hoch. Wolf war ja nicht unbedingt ein Streicher von Graden. Es mag sehr wohl sein, daß dieses Quartett überhaupt erst Ensembles zugänglich ist, die den ganz anderen Anforderungen gewachsen sind, welche die Kammermusik des ausgehenden Zwanzigsten Jahrhunderts stellt. Das Auryn-Quartett zählt unstreitig zu diesen Ensembles, und mit der Einspielung des d-moll-Werks von Wolf ist ihm ein Wurf gelungen. Diese vier Musiker gehen souverän mit dem Disparaten, dem scheinbar Unzusammenhängenden um; sie spielen auch das nicht ausdrücklich Gesagte, das Mitgedachte, den Anklang. Sie sind freilich dazu auch technisch in der Lage, können auf kleinstem Raum die gegensätzlichsten Ausdrucksmittel einsetzen. Anderseits trägt einen immer wieder der freie und noble Ton des Primarius Matthias Lingenfelder mit sich fort, was gerade den monodisch konzipierten Passagen bekommt, also dem Moment, wenn man so will, von Gesang in diesem Instrumentalwerk. Überhaupt gibt es immer wieder Stellen, in denen die einzelnen Stimmen so frei gestellt sind, das nun wirklich schier alles von der Tonqualität des jeweiligen Musikers abhängt. Und hier bewährt sich, daß die vier Mitglieder des Auryn-Quartetts nicht nur im Gesamtklang des Ensembles bestehen können. Das Ganze wirkt bei alledem unangestrengt und doch in hohem Maß sophisticated, mit einem Wort: ziemlich raffiniert. In einer weniger reflektierten Interpretation könnte der zweite Satz mit seinen "Lohengrin"-Reminiszenzen doch wohl schwer erträglich werden. * Musikbeispiel: Hugo Wolf - aus: Streichquartett d-moll, 2.Satz, Langsam Im Gegensatz zum Streichquartett d-moll wurde Hugo Wolfs ‘Italienische Serenade’ auf Anhieb ein Erfolgsstück. Sie darf natürlich auf dieser cpo-CD nicht fehlen. Hier treibt nun das Auryn-Quartett das Raffinement auf die Spitze, spielt die Serenade keineswegs als gewissermaßen hinlänglich bekannten Hit, sondern zelebriert sie als reizvolles intellektuelles Spiel. Die Leichtigkeit der Bogenführung kann einen schon in Erstaunen versetzen. * Musikbeispiel: Hugo Wolf - Italienische Serenade Soweit Hugo Wolfs ‘Italienische Serenade’ mit dem Auryn-Quartett. Auf der gleichen CD findet sich außerdem noch das ziemlich elegische Intermezzo in Es-dur.

    Musik völlig anderen Zuschnitts gibt es auf einer weiteren CD von cpo: Größer besetzte Kammerwerke von Max Bruch. Das Oktett für Streicher B-dur und das a-moll-Streichquintett stammen aus den letzten Lebensjahren des Komponisten unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Das Oktett ist geistvolle Reminiszenz an eine längst vergangene Epoche. Formal stellt es eine Mischung aus Kammermusik und Concertino dar: Die erste Violine ist über weite Strecken solistisch geführt. Das ist natürlich ein Fall für das Ensemble Ulf Hoelscher. Hoelscher spielte in jungen Jahren mit faszinierender Kompetenz und berückend schönem Ton die virtuosen Konzerte des 19.Jahrhunderts, wandte sich dann verstärkt der Literatur des 20. Jahrhunderts zu, eroberte aber auch für sich die Werke eine Louis Spohr, die einen völlig anderen geigerischen Gestus erfordern als Paganini oder Vieuxtemps, Saint-Saens oder Tschaikowsky. Hoelscher kann dem Adagio des dreisätzigen Oktetts die ganze Süße geben, die Bruch der konzertierenden Geige abverlangt, und er ist allemal Virtuose genug für die Ecksätze. Längst freilich ist er auch Kammermusiker par excellence, der für solche Werke gemeinsame Klangvorstellungen zu entwickeln sucht. So herrscht im Oktett eine ideale Balance. Nicht zuletzt gehören dem Ensemble Ulf Hoelscher so bedeutende Musiker wie der Bratschist Jörg-Wolfgang Jahn an, der einmal das Bartholdy-Quartett mitbegründete, oder der Cellist Martin Ostertag. * Musikbeispiel: Max Bruch - Streichoktett B-dur, 3.Satz. Allegro molto Das war Die neue Platte im Deutschlandfunk. Heute ging es um zwei neue Produktionen der Firma cpo: Quartettkompositionen von Hugo Wolf, gespielt vom Auryn-Quartett, und, wie im letzten Beispiel, Kammermusik von Max Bruch mit dem Ulf-Hoelscher-Ensemble.

    Am Mikrofon bedankt sich Norbert Ely für Ihre Aufmerksamkeit.