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HUGOs Visionen

Biologie. – Von langer Hand hatten die Wissenschaftler auf diesen Termin hin gearbeitet: Nächste Woche, genau 50 Jahre nachdem James Watson und Francis Crick ihr Modell von der Struktur des Erbmoleküls DNS veröffentlichten, sollte das menschliche Erbgut komplett dokumentiert vorliegen. Zwar trafen die Forscher diesen Termin nicht genau auf den Punkt, denn vor Herbst ist nicht mit der endgültigen Publikation zu rechnen, dennoch feierten sie bereits gestern anlässlich einer Pressekonferenz in Washington den Abschluss des Humanen Genom Projektes. Schon sprechen Experten von einer Ära des Erbgutes.

    Von Michael Lange

    Wenn die Genforscher eines ihrer Ziele erreicht haben, und ihren Geldgebern Rechenschaft ablegen. Dann ist das eine Gelegenheit für große Worte - so auch in Washington.

    Es ist ein großer Tag für die Wissenschaft, und ein großer Tag für die Menschheit.

    Ein bemerkenswertes Geschenk an die ganze Menschheit.

    Die Genom Ära ist jetzt Wirklichkeit.

    Die Sequenzierarbeiten am menschlichen Erbgut - das Entziffern der über drei Milliarden Buchstaben im Genom - wurde nun feierlich beendet. Auch mit einer Erklärung der sechs geldgebenden Regierungschefs: der USA und Großbritannien und der kleineren Partner: Deutschland, Frankreich, Japan und China. Bis zur Veröffentlichung der Projektergebnisse wird es allerdings noch ein paar Monate dauern. Wahrscheinlich darf im Herbst 2003 noch einmal gefeiert werden. Und dann - genau wie diesmal - wird der Präsident der internationalen Human-Genom-Organisation HUGO Francis Collins die passenden Worte finden.

    Dies ist ein Tag von historischer Bedeutung. Wir präsentieren die erste Ausgabe vom Buch des Lebens mit einer Bauanleitung für uns selbst. Für alle Zeit steht sie in einer öffentlich zugänglichen Datenbank. Sie steht uns und unseren Nachkommen zur Verfügung. Wir werden sie nutzen können: Jahrzehnte lang und Jahrhunderte lang.

    Als vor beinahe drei Jahren im Sommer 2000 zum ersten Mal gefeiert wurde, gab es zwar auch schon über drei Milliarden entzifferte Buchstaben im Erbgut, aber auch über 100 000 Lücken und viele Fehler. So gut wie alle Lücken konnten in den letzten Jahren geschlossen werden, erklärte jetzt der Leiter des Sequenzierzentrum St. Louis Bob Waterston.

    Damit seien 99 Prozent des zugänglichen menschlichen Genoms entziffert, so Waterston, was jetzt vorliege, sei extrem genau und vollständig.

    Im Sommer 2000 - als man das erste Mal feierte - habe das ganz anders ausgesehen.

    Die nun beendete Version, so Waterston, sei 300 mal besser als die damalige Arbeitsversion.

    Und in den nächsten Tagen gibt es noch einmal Grund zu feiern. Die Doppelhelix, die Struktur des Erbmoleküls DNA, wurde vor 50 Jahren veröffentlicht: am 25. April 1953. Deshalb meldete sich auch der Mitentdecker der Doppelhelix und erste Präsident des Human-Genom-Projektes in Washington zu Wort: Der heute 75jährige James Watson:

    Es wird oft behauptet, die Erforschung der Genetik werde schreckliche Folgen haben. Ich glaube: Sie hat schlimme Konsequenzen nur für Mutationen, die Krankheiten verursachen oder zu Totgeburten führen.

    Aber das Erreichen eines Meilensteins bedeutet natürlich nicht nur Rückblick. Gefragt ist der Blick in die Zukunft: Was kommt als Nächstes? Francis Collins, stellte als Beispiel ein Projekt vor, bei dem die Forscher einen kleinen Teil des Genoms genauer untersuchen wollen: 30 Millionen Buchstaben - das ist ein Prozent des Erbguts. Collins:

    Wir werden mit der Information aus diesem Abschnitt Stoffwechselwege und Netzwerke in der Zelle erforschen. Und damit können wir schließlich ein Computer-Modell einer menschlichen Zelle erstellen.

    Je mehr die Wissenschaftler über das Erbgut und dann auch über das Funktionieren der Zellen wissen, um so besser lassen sich Krankheit erforschen, verstehen und letztlich auch behandeln. Irgendwann. Die Genomentzifferung allein macht noch keine neuen Heilmethoden. Aber immer häufiger werden Mediziner und Pharmaforscher in Zukunft die Daten aus dem Genomprojekt nutzen können. Davon zeigten sich die Genforscher in Washington überzeugt. Francis Collins:

    Pressekonferenzen kommen und gehen. Aber die Genomsequenz, die wir der Welt heute geben, wird bleiben für alle Zeit.