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Humboldt-Forum Berlin
"Ganz Berlin ist eine Archäologie des 20. Jahrhunderts"

Was genau soll das künftige Humboldt-Forum im Berliner Stadtschloss beinhalten? Die ursprüngliche Idee einer Zweigstelle der Landesbibliothek wird von Berlins Regierendem Bürgermeister nicht mehr favorisiert. Berlin als Symbolstadt des 20. Jahrhunderts dort einen Raum zu schaffen, sei eine spannende Geschichte, sagte der Historiker Christoph Stölzl im DLF.

Christoph Stölzl im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 17.03.2015
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    An der Fassade des Berliner Schlosses - Humboldtforum wird gearbeitet, im Hintergrund ist links der Berliner Dom zu sehen; Aufnahme vom September 2014 (picture alliance / dpa)
    Stefan Koldehoff: Dass es das Humboldt-Forum im wiederaufgebauten Stadtschloss gegenüber der Berliner Museumsinsel einmal geben wird, das steht fest. Was sich hinter diesem klingenden Namen dann irgendwann einmal versammeln wird, darüber streiten allerdings noch die Gelehrten und diejenigen, die im Neubau/Altbau Platz nutzen dürfen.
    Das Land Berlin gehört dazu und das wollte ursprünglich eine Zweigstelle der Zentral- und Landesbibliothek dort unterbringen. Gestern Abend im Kulturausschuss der Stadt hat der neue Regierende Bürgermeister Michael Müller diese Idee allerdings verworfen und stattdessen eine Darstellung der Hauptstadt selbst vorgeschlagen. "Weltstadt Berlin" soll das Projekt auf 4000 Quadratmetern heißen und "aktiv erlebbar machen, was Berlin zur Weltstadt werden ließ."
    Professor Christoph Stölzl war nicht nur Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, dort unter anderem auch Kultursenator; er war auch einer derjenigen, die sich Anfang des neuen Jahrtausends vehement für den Wiederaufbau des Hohenzollern-Schlosses eingesetzt haben. Herr Professor Stölzl, um den künftigen Inhalt des Gebäudes mussten Sie sich damals noch keine Gedanken machen, oder?
    Christoph Stölzl: Nein. Wir haben damals nur darüber gesprochen, dass die Stadtgestalt repariert wird, dass dieser leere Fleck wieder ein angemessenes Gewicht bekommt, und fanden damals, der Inhalt werde sich finden, und das war ja auch so.
    Koldehoff: Und dann war aber relativ schnell auch klar, dass Land/Stadt Berlin mit hinein sollten. Was haben Sie denn zunächst mal von der Idee gehalten, das in Gestalt einer Bibliothek dort zu machen?
    Stölzl: Das folgte ja einem alten Muster. Pontus Hultén hat in Stockholm in den 60er-Jahren das Kulturhuset erfunden, Bibliothek, Museum, Ausstellung und Medien, hat das dann im Pompidou noch mal gemacht, hat gut funktioniert, eine moderne Bibliothek, und ich glaube, daher stammt auch die Berliner Idee und die ist ja nicht schlecht.
    Aber man könnte jetzt natürlich nachdenken: Die Zeit ist vergangen, Bibliotheken haben im elektronischen Zeitalter eine andere Rolle. Also ob wirklich da an der Meile, wo die meisten Kulturtouristen einfallen, unbedingt gelesen werden muss, darüber kann man füglich nachdenken, und das hat der Regierende Bürgermeister, glaube ich, ganz gut getan.
    "Schändliche Vernachlässigung von Tempelhof muss aufhören"
    Koldehoff: Es wird ja durchaus über einen alternativen Standort für die Bibliothek nachgedacht: der ehemalige Flughafen in der Stadt, mitten in der Stadt. Wäre das der bessere Ort?
    Radfahrer auf dem Tempelhofer Feld - die große Rund ist über sechs Kilometer lang.
    Radfahrer auf dem Tempelhofer Feld (Eric Pawlitzky)
    Stölzl: Es wäre jedenfalls ein Signal, dass diese schändliche Vernachlässigung von Tempelhof aufhört, denn dort kann nicht einfach eine Drachenwiese bleiben für immer, da muss man bauen. Das ist ja Berlin Nummer drei. Die Stadtmitte, dann der Westen, und wer auf die Landkarte schaut weiß, dort muss so was hin wie Manhattan und Central Park, jedenfalls Architektur und Natur und nicht nur Spazieren gehen und Hundi Gassi führen.
    Koldehoff: Hören Sie denn an der Stelle von der Bibliotheksidee im Moment noch was?
    Stölzl: Ich bin ja in Weimar, also ich bin weit ab von dem Berliner Schuss. Aber ich finde, dass jedenfalls es ein erster Ansatzpunkt ist, so was zu machen, denn wenn man einen neuen Stadtteil erschließt wie dieses Tempelhof - das ist ja Autobahn- und U-Bahn-Anbindung -, dann muss dort was hin, wo Leute einen Grund haben hinzugehen, und eine tolle Bibliothek ist ein Grund.
    Koldehoff: Nun kann man ja in Berlin sicherlich nicht darüber klagen, dass es zu wenig Orte gibt, an denen Stadtgeschichte gezeigt wird. Sie selbst haben dazu beigetragen, dass es noch ein paar mehr gab. Braucht es denn im Schloss tatsächlich noch einen zusätzlichen?
    Stölzl: Das muss man sich fragen. Aber wer wirklich von Karlshorst, also "Stunde null" 1945, bis zur Wannsee-Villa nach Potsdam rausfährt, der braucht ein Auto und muss viele Tage unterwegs sein. Das stimmt schon: Ganz Berlin ist eine Archäologie des 20. Jahrhunderts, aufregend tolle Orte. Aber für Leute, die relativ kurz da sind, ist das zu viel. Das kann man gar nicht abwandern, abfahren. Und auch gegenüber dem Deutschen Historischen Museum muss die europäische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart erzählt werden. Da bleibt für Berlin nicht so viel übrig.
    Ich finde es eine spannende Geschichte, darüber nachzudenken, dieses Ein- und Ausatmen dieser Stadt, dieser Symbolstadt des 20. Jahrhunderts, dieser Weltstadt Berlin von der Jahrhundertwende mit dem Expressionismus bis zu der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, Revolution, Rathenau-Mord, Menschenwerkstatt, wie das Heinrich Mann genannt hat, also moderne Kunst, Expressionismus, Döblin, Brecht, Weil, Drei-Groschen-Oper, UFA, Tonfilm, deutsches Hollywood, dann der Absturz in der Nazi-Zeit, dann "Stunde null", dann dieses Raumschiff nach dem Zweiten Weltkrieg. Berlin hat der Welt ganz viel Erzählstoff gegeben, und das komprimiert und spannend zu erzählen, sodass Leute, die da in die Mitte fallen - die kommen ja am Flughafen an, dann fahren sie dahin -, schnell sehen, wo bin ich eigentlich. Das fände ich nicht schlecht als Kontrapunkt zu dieser schönen Idee, die außereuropäischen Kulturen dort zu versammeln.
    Koldehoff: Das schreiben wir jetzt einfach nach der Sendung ab und schicken es dann an die Verantwortlichen in Berlin. Dann müssen die sich über ein Konzept gar keine Gedanken mehr machen. - Christoph Stölzl, vielen Dank, über die neue Diskussion ums Berliner Humboldt-Forum.
    Stölzl: Und Gruß nach Berlin.
    Koldehoff: Danke! Nach Köln, aber fast.
    Stölzl: Ach so! Stimmt - ja, ja. Auch gut, ist auch so. In die Welt!
    Koldehoff: Danke!
    Stölzl: Okay!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.