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"Die Geschichte der Objekte ist absolut wichtig"

Die Geschichte des Kunstmarktes für exotische Gegenstände sei kaum erforscht, sagte Bénédicte Savoy, Kunsthistorikerin an der TU Berlin. Viele Objekte seien sehr gerne gekauft worden, weil sie die Ursprünge der Menschheit symbolisierten und nicht der fremden Kultur wegen, sagte Savoy.

Bénédicte Savoy im Gespräch mit Henning Hübert | 12.08.2015
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung des Bereichs Amazonien, Ethnologisches Museum
    Blick in die zukünftige Ausstellungsgestaltung des Bereichs Amazonien, Ethnologisches Museum (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, Ausstellungsgestaltung: Ralph Appelbaum Associates / malsyteufel)
    Gegenstände ist kaum erforscht. Man hat Einzelfälle, man kennt den Fall von einem, der zum Beispiel in Indien war, ein Ingenieur, der dann eine große Sammlung gesammelt hat, und dann hat er eine Ausstellung touren lassen durch ganz Europa, um sie zu verkaufen. Dann hat Dresden einen Teil davon gekauft, dann hat Berlin ein bisschen was gekauft, dann hat Paris ein bisschen was gekauft. Das war ein Modus. Man holt Gegenstände zurück nach Europa und lässt sie in Ausstellungsform touren, um sie zu verkaufen an Museen.
    Objekte sehr gerne gekauft haben, und zwar nicht nur, weil das fremde Kulturen waren oder so, also nicht wegen des Fremden, sondern eher wegen der Ursprünge der Menschheit.
    Das wollen wir wissen und das wollen die jüngeren Leute, für die solche Nationalgrenzen möglicherweise noch weniger bedeuten als für uns, das wollen sie wissen: Wie kamen die Sachen zu uns, warum sind sie hier, kann man die genießen, oder sind sie so belastet, dass man es eigentlich gar nicht sehen kann. Das muss man erst mal wissen, um überhaupt zu wissen, ob man sie zurückgeben will oder nicht. Die Geschichte der Objekte und ihres Weges zu uns ist absolut wichtig.
    Henning Hübert: In unserer Reihe "Das Humboldt-Forum und seine Geschichte(n)" fügen wir heute einen weiteren Baustein hinzu: Es geht ja um die Konzeption für die Museums-Etagen im neu aufgebauten Berliner Stadtschloss. Was kann man da präsentieren? Insbesondere der Umgang mit den Exponaten aus den ethnologischen Sammlungen, die in der Kolonialzeit oft als Trophäen aus Übersee nach Europa kamen, ist umstritten. In unserer Deutschlandfunk-Reihe hat das Mitglied der Gründungsintendanz Horst Bredekamp denn auch den vor-kolonialen Zustand im Berliner Schloss beschworen: Die Zeiten der Kunstkammer der Preußen-Könige, in der in einem großen Bereich Exponate außereuropäischer Kulturen gesammelt wurden - nicht als Trophäe, sondern aus Wissensdurst und auch Empathie und Sympathie für fremde Kulturen. Dieser Prozess solle nun gleichsam zurückgespult werden. Das Ziel: Die Objekte zu zeigen ohne einen hierarchischen Zusammenhang – was als Modell für das 21. Jahrhundert dienen soll.
    Darüber, wie diese vor-kolonialen außereuropäischen Sammlungen überhaupt entstanden sind, habe ich mit Bénédicte Savoy gesprochen. Die Professorin leitet das Fachgebiet für Kunstgeschichte der Moderne an der TU Berlin.
    Ich habe sie gefragt, für welche Sammlungen das überhaupt gelten kann, dass sie im 18. Und 19. Jahrhundert entstanden aus Empathie und Sympathie für fremde Kulturen.
    Bénédicte Savoy: Es sind in Berlin große Sammlungskonvolute gekauft worden von Reisenden, von Handelsreisenden, von Diplomaten, und diese Konvolute kamen nach Berlin und wurden dann vor Ort erforscht - nicht nur nach Berlin, sondern natürlich auch nach Paris, nach London, nach Dresden, nach Leipzig. Und mit diesen Objekten haben sich Dutzende von Wissenschaftlern sehr intensiv befasst. Sie haben sie in ihren Materialien erforscht, in ihrer Funktion erforscht und versucht, zu kontextualisieren. Das waren auf gar keinen Fall Trophäen.
    Hübert: Wie lief das denn dann ab, so ein Ankauf? Ein Segler, nehme ich mal an, der landet in einem anderen Kontinent. Wie ging der vor? Wissen Sie etwas darüber? Wie wurden diese Objekte erworben?
    Savoy: Das ist eine sehr interessante Frage, mit der wir - wir Historiker - uns seit wenigen Jahren befassen. Die Geschichte des Kunstmarktes für sogenannte exotische Gegenstände ist kaum erforscht. Man hat Einzelfälle, man kennt den Fall von einem, der zum Beispiel in Indien war, ein Ingenieur, der dann eine große Sammlung gesammelt hat, und dann hat er eine Ausstellung touren lassen durch ganz Europa, um sie zu verkaufen. Dann hat Dresden einen Teil davon gekauft, dann hat Berlin ein bisschen was gekauft, dann hat Paris ein bisschen was gekauft. Das war ein Modus. Man holt Gegenstände zurück nach Europa und lässt sie in Ausstellungsform touren, um sie zu verkaufen an Museen.
    Eine andere Möglichkeit war - die ist sehr gut belegt und da spielt tatsächlich Alexander von Humboldt eine Rolle -, dass Reisende, die zum Beispiel in Südamerika waren in den 1830er-Jahren, zurückkamen, nicht nur mit Objekten, sondern auch mit Zeichnungen dieser Objekte und Beschreibungen der Umgebung, also mit Arbeiten, die diese Objekte zum Sprechen bringen konnten im Nachhinein. Die haben sie angeboten an große Wissenschaftler wie Humboldt und darum gebeten, dass der vermittelt.
    Also haben wir im Louvre im Archiv oder auch in London Briefe von Humboldt, der sagt, da ist einer gekommen mit einer Sammlung aus Südamerika, ich war früher, als ich jung war, da und ich kann Ihnen bestätigen, diese Sammlung auch mit den Zeichnungen des jungen Mannes, der die Sachen vor Ort gezeichnet hat, diese Sammlung ist einmalig, die sollte der Louvre meinetwegen oder London oder Berlin kaufen.
    Dann haben die Museen je nach Budget, je nach Interesse gekauft, und ich glaube, für die Zeit, die Sie interessiert, für diese Zeit des mittleren 19. Jahrhunderts kann man sagen, dass die Museen zum Beispiel südamerikanische Objekte sehr gerne gekauft haben, und zwar nicht nur, weil das fremde Kulturen waren oder so, also nicht wegen des Fremden, sondern eher wegen der Ursprünge der Menschheit.
    Interessanterweise werden Objekte aus Mexiko als Hieroglyphen bezeichnet und gleichzeitig gesammelt wie ägyptische Kunst. Ägypten und Südamerika, das ist eins in den 1820er-, 30er-, 40er-Jahren, und zwar sowohl in Berlin als auch in London, als auch in Paris, und da mischen dieselben Leute mit, also nicht nur Alexander von Humboldt und Jean Paul, sondern die Reisenden, die argumentieren mit der Wichtigkeit Südamerikas im Vergleich zu Ägypten und das Interesse für Ägypten ist das Interesse für die allerältesten Spuren der Menschheit und der Schrift der Menschheit. Das interessiert die Leute.
    Humboldt hat viel aus Südamerika gesammelt
    Hübert: Alexander von Humboldt, der starb ja 1859. Merken sie, wo er die Hand drauf hatte, ein Mann, der ja wahnsinnig gerne kartografiert hat, alles ganz genau verzeichnet hat?
    Savoy: Ja. In Berlin, in Dahlem sind ein großer Teil der Objekte aus Mesoamerika, aus Südamerika, Teile von seiner Sammlung oder von Objekten, die er zurückgebracht hat, und das gilt auch nicht nur für Berlin, weil ja Alexander von Humboldt ein halber Franzose war. So ist das auch in Paris. Alexander von Humboldt hat Objekte mitgebracht einerseits und andererseits hat er in den Jahrzehnten danach, als er älter wurde, vermittelt.
    Das kann man sehr gut erkennen, wenn man in dem Archiven geht, und es wäre wirklich schön, wenn die aktuellen Museen das sichtbar machen würden, wer, wie sind diese Objekte gekommen, in welchem Kontext. Gerade zum Beispiel Zeichnungen, die zeitgleich mit dem Sammeln der Objekte entstanden sind, sollten meines Erachtens mit den Objekten zusammen gezeigt werden, denn erst die Zeichnung, erst das Interesse, das damalige Interesse, das damalige Zeichnen dieser Objekte bringt sie für uns nach 200 Jahren, 150 Jahren auch zum Sprechen. Also kann man diese Objekte von ihrer wissenschaftlichen Erkundung nicht trennen und auch nicht von der Geschichte ihres Weges zu uns.
    Hübert: Wie verändert sich denn für Sie die Qualität der Sammlungen im Verlauf des 19. Jahrhunderts, wenn wir uns annähern an die Epoche ab 1884 bis 1918? In der Zeit hatte das deutsche Reich ja Kolonien. Was merken Sie da, was verändert sich da?
    Savoy: Erstens verändert sich schlagartig die Zahl der Objekte. Wenn wir im 18. Jahrhundert, im frühen 19. Jahrhundert von ethnologischen Sammlungen reden, sind das Tausende von Objekten, aber nicht Zehntausende oder Hunderttausende. Die Zahl der Objekte wächst. Die Ursprünge verändern sich zum Teil, aber auch zum Teil nicht. Wenn man an die Pazifik-Sammlung, an die Südsee-Sammlung in Berlin denkt, ist sie ja schon seit dem 18. Jahrhundert angelegt worden. Sie vermehrt sich nur und ihre Qualität verändert sich auch, aber ich glaube nicht im Sinne von Trophäen, also nicht was diese Bereiche angeht, auch nicht was Amerika angeht.
    Die Trophäen sind möglicherweise Objekte, die in Kriegssituationen gewonnen wurden oder im Rahmen von Kriegen, wie die Benin-Sammlung aus Afrika. Das ist aber eine andere Geschichte und es ist eine Aufgabe der Museen, heute genau diese Geschichten so transparent wie möglich, so verständlich wie möglich, ohne die vielen Graustufen zu tilgen, zu erzählen. Das wollen wir wissen und das wollen die jüngeren Leute, für die solche Nationalgrenzen möglicherweise noch weniger bedeuten als für uns, das wollen sie wissen: Wie kamen die Sachen zu uns, warum sind sie hier, kann man die genießen, oder sind sie so belastet, dass man es eigentlich gar nicht sehen kann. Das muss man erst mal wissen, um überhaupt zu wissen, ob man sie zurückgeben will oder nicht. Die Geschichte der Objekte und ihres Weges zu uns ist absolut wichtig.
    "Museen sind wie menschliche Körper"
    Hübert: Das klingt auch danach, als ob es immer wichtiger wird, Kuratoren aus den Herkunftsgebieten unter Vertrag zu nehmen, um die Sammlungen zu durchforsten. Wie geht es denn eigentlich da zu in diesen Sammlungen, wenn Sie da hineingehen? Sind Sie da manchmal allein auf weiter Flur?
    Savoy: Das hängt von den Sammlungen ab. Sie haben Sammlungen in Europa, die eine sehr, sehr starke Trennung zwischen Schausammlung und Depot haben. Wenn das so ist, wenn nur die Zimelien, die besten Stücke gezeigt werden und der ganze Rest irgendwo weit weg aufbewahrt wird, das heißt, da wo die Arbeit der Wissenschaftler wirklich stattfindet, wenn sie sehr weit entfernt ist, dann spürt man das. Dann merkt man eine Sammlung, die nur als Präsentation da ist.
    In anderen Orten, in anderen Häusern lebt die Schausammlung von der ganz unmittelbaren Nähe der anderen Objekte, die eben nicht sichtbar sind, aber im Dialog mit denen sind. Ich muss immer Museen mit einem menschlichen Körper vergleichen. Ein Museum ist ein Organismus. Wenn Sie die Organe eines Menschen verpflanzen, dann funktioniert das halt nicht. Nur die Objekte zu verpflanzen, in neue Häuser zu bringen, in neue Zusammenhänge, funktioniert nicht, wenn Sie nicht den Kopf, also die Wissenschaft dahinter haben und die ganzen weniger interessanten Organe, kleine Wege, Vernetzung im Körper oder zwischen den Objekten mittransportieren. Das geht dann nicht, und das ist gar nicht einfach. Museen sind eigentlich eine neue Erfindung in Europa, neu im Sinne von 200 Jahre alt maximal, und von nun, von Ex Nihilo ein Museum gründen zu wollen, indem man nur die Objekte verpflanzt, ist wirklich schwierig.
    Hübert: Haben Sie vor Augen irgendein Objekt, was Sie gerne sähen im ethnologischen Teil des Humboldt-Forums?
    Savoy: Ja. Ich habe ganz viele Objekte, die ich gerne sehen würde. Es gab in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Neuen Museum, das heute noch existiert, aber damals der Ort für die ethnologischen Sammlungen war, ein Kajak, ein Kajak aus Nordamerika, aus Grönland. Dieser Kajak wurde im Führer durch diese Ausstellung so unglaublich mit unglaublicher Bewunderung beschrieben, wie leicht es ist und dass man als Seereisender in so einem Kajak 24 Stunden durch Sturm et cetera paddeln kann, und das sei der europäischen Kultur weit voraus. Das würde ich gerne sehen mit der Geschichte dazu, also mit der Geschichte der Bewunderung der Menschen des 19. Jahrhunderts für diese Objekte.
    Oder ich denke an sehr, sehr viele Objekte, die ich in Dahlem oft gesehen habe und sehr schätze. Die wünsche ich mir wieder im Humboldt-Forum. Aber ich fand sie auch sehr schön in Dahlem übrigens.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.