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Humboldt-Forum
Die Kultur aus nicht-europäischen Ländern nicht absondern

Viele Objekte des Museums für Asiatische Kunst haben eine autonome Aussage, weil es "einfach ganz starke Kunstwerke sind", sagt Klaas Ruitenbeek, Direktor des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin, im DLF. Da merke man gar nicht, dass die vor 500 Jahren entstanden. Solche gehöre in die Mitte, in das neue Humboldt-Forum.

Klaas Ruitenbeek im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 06.08.2015
    Zhang Lu, Für den Freund die Zither spielen, Ming-Dynastie, China
    Zhang Lu, Für den Freund die Zither spielen, Ming-Dynastie, China (Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst, Foto: Jürgen Liepe)
    Maja Ellmenreich: Ein Umzug von Berlin-Dahlem nach Berlin-Mitte. Gerade mal zehn Kilometer sind das. Und wenn der Straßenverkehr gnädig ist, dann schafft es der Umzugswagen in einer halben Stunde von der Lansstraße bis zur Museumsinsel. Doch mit "einem Umzugswagen" wird es nicht getan sein beim Riesenumzug in vier Jahren. Dann nämlich werden das Museum für Asiatische Kunst und das benachbarte Ethnologische Museum ihre Heimstatt wechseln. Dann werden die außereuropäischen Sammlungen Berlins zum Humboldt-Forum, und das wiederum wird im wiederaufgebauten Stadtschloss zu Hause sein. In diesen Tagen beleuchten wir in "Kultur heute" das Humboldt-Forum von vielen Seiten, denn es handelt sich schließlich nicht nur um einen bloßen Ortswechsel mit neuen Räumen, neuer Adresse und neuem Namen. Im Humboldt-Forum sollen die Exponate auf zeitgemäße Art und Weise präsentiert werden. Und einer, der diese Präsentation ganz intensiv mit vorbereitet und für den tatsächlich der Umzug ansteht, ist der Direktor des Museums für Asiatische Kunst, der niederländische China-Kurator und Sinologe Klaas Ruitenbeek.
    Frage an ihn nach Berlin: Wenn im Humboldt-Forum alles besser, neuer und schöner werden soll, wird dann nicht Ihre bisherige Arbeitsweise infrage gestellt?
    Klaas Ruitenbeek: So ist es auch nicht unbedingt. Wir haben eine große Sammlung von ganz bedeutenden Kunstwerken aus Asien östlich vom Iran. Diesen Reichtum zu zeigen, das ist unsere erste Aufgabe. Weil wir so viel haben, müssen wir in Teilen des Museums wie in einem normalem Museum das machen. Aber wir wollen, dass das Humboldt-Forum als Ganzes doch weniger normal wird als andere Museen auf Museumsinsel. Es soll etwas Neuartiges entstehen, und das machen wir in bestimmten Bereichen. Überall da zu tun, wäre für Besucher zu ermüdend. Und auch unbefriedigend, denn man möchte ja berühmte Werke sehen können und auch in Ruhe betrachten können, wie man das selber möchte.
    Ellmenreich: Wie werden Sie die Auswahl treffen. Sie haben ja Abertausende Objekte in Museum für asiatische Kunst. Welche werden prioritär sozusagen das Privileg bekommen, auf besondere Art und Weise präsentiert zu werden und welche dürfen einfach wieder in die ganz normalen Vitrinen?
    Ruitenbeek: Ja, wir wechseln ja immer wieder. Viele unsere Werke, gerade Malerei aus Japan, China, Indien, ist ja auf Seide gemalt mit Wasserfarben, kann man nur so drei bis sechs Monate zeigen, dann wechseln wir. Also, sowieso gibt es immer wieder anderes zu sehen. Eine Museumsausstellung zu machen, heißt ja, Geschichten zu erzählen. Schon, wenn man nur zwei Objekte zusammen zeigt, erzählt man eine Geschichte – von der Farbe, von den Größen, von Altertum. Und mehr als früher werden wir doch noch die Gegenwart einbeziehen. Wir sind ja ein Museum für ältere Kunst, aber wir zeigen sie in der Gegenwart. Das ist an sich schon ein Gegenwartsbezug, aber das wird spannender, wenn man zum Beispiel Kuratoren aus unseren Herkunftsländern einlädt – Pakistan, Indien, aus Korea - und denen das Kuratieren teilweise übergibt. Wir sind ja jetzt in einer globalisierten Welt, es ist nicht mehr wie früher, dass wir Deutsche oder Europäer sagen: Jetzt werde ich Ihnen mal erklären, was chinesische Kunst ist.
    Ellmenreich: Kann man so weit gehen und sagen, dass Kunst aus China – und wenn sie auch jahrhundertealt ist – auch wirklich nur von Chinesen erklärt werden kann? Das also Geschichten nur von Menschen aus den Ländern zu erzählen sind?
    Ruitenbeek: Gar nicht. Erst mal ist Kunst, davon gehen wir aus, etwas Universales. Man sieht, auch wenn man aus einer ganz anderen Kultur kommt, dass das Objekt aus ferner Vergangenheit, aus weiter Ferne mit großer Sorgfalt als etwas ganz Besonderes gemacht ist. Man fühlt: Da hat man große Mühe gemacht. Aber es hilft natürlich, wenn da ein Kontext ist. Und dieser Kontext kann natürlich ganz unterschiedlich sein. Es kann historische Information sein – wie war die Welt damals – und das können, wenn es um ein chinesisches Kunstwerk geht, europäische Sinologen auch. Aber eben manchmal sogar besser, weil wir wissen, was unser Publikum an Vorwissen hat. Das wissen chinesische Kuratoren nicht, sie gehen davon aus, dass wir genau so viel wissen wie das chinesische Publikum.
    Ellmenreich: Bleiben wir mal bei der Kunst aus China. Stellen wir uns vor, wir haben es mit wertvoller Lackkunst aus China zu tun. Da bekommt der Kulturbeflissene ganz große Augen: Klar, das interessiert ihn, das möchte er sehen. Aber, Herr Ruitenbeek, halten wir mal einen Moment inne: Warum eigentlich sollte mich die Kunst, die vor vielen, vielen Jahren in einem fernen Land entstand – warum sollte die mich interessieren?
    Ruitenbeek: Es ist Neugierde. Wenn die Leute das nicht hätten, wären die Museen ja leer. Dann wären nur die Museen mit zeitgenössische Kunst voll Publikum. Und das ist nicht so. Aber man möchte dann doch ein bisschen geholfen werden. Und das ist die Aufgabe von Kuratoren, dass man diese Kunst aus alten Zeiten so zeigt, dass sie besonders relevant werden.
    Ellmenreich: Es geht Ihnen darum, Geschichten zu erzählen. Können Sie uns eine erzählen? Welche Exponate eignen sich aus Ihrer Sammlung besonders gut, um – wie Sie es vorhaben – im Humboldt-Forum Geschichten zu erzählen?
    Ruitenbeek: Dann ist es gut, von den Experimenten zu erzählen, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben: Zum Beispiel, wir haben eine schöne Sammlung von Objekten von dem Riukiu-Archipel, das sind Inseln südlich von Japan. Die waren bis etwa 1870 ein unabhängiges Königreich zwischen Japan und China, wurden danach von Japan annektiert, und die Bevölkerung dort lebt immer noch ein anderes Leben als in Japan. Jetzt haben wir einen jungen Künstler aus Okinawa eingeladen, um mit unserer alten Sammlung eine Installation zu machen, eine Ausstellung, die er kuratiert, die zeigt, wie er die alte Kunst aus seiner Inselgruppe jetzt empfindet. Und was er damit zeigen will, wie die Zeiten sich geändert haben. Eben viele Bewohner Okinawas sind nicht so glücklich mit der japanischen Oberherrschaft, sie möchten lieber Autonomie haben, das gilt auch für diesen Künstler. Sie sind auch nicht so glücklich, dass es seit 1945 eine riesige amerikanische Militärbasis gibt. Die sorgt immer wieder für Probleme: Die Mädchen werden angepöbelt, jetzt hat man sich entschieden, diese Basis zu verlegen, aber in ein Naturgebiet. Da wird dann die Natur geopfert für das Militär aus Amerika. Und diese Empörung zeigt er in seiner Installation, indem er zum Beispiel Stoffe, Textilien in der alten, herkömmlichen Technik druckt, in einer Art Batiktechnik, aber mit Motiven wie Tanks, Helikopter, Soldaten, in den bunten Farben der alten Technik. Aber wenn man gut hinschaut, sieht man: Ah, da ist was. Das ist eine Geschichte, die erzählt wird von einem Künstler mit unseren Sammlungsobjekten. So etwas zum Beispiel werden wir im Humboldt-Forum immer wieder machen.
    Ellmenreich: Das heißt, wir werden vielleicht an der einen oder anderen Stelle im Humboldt-Forum lernen können, dass die Zeiten gar nicht so lange zurück liegen, auch wenn es sich 200, 300 Jahre handelt.
    Ruitenbeek: Ja, das ist so. Eben weil das Objekte sind, die eine autonome Aussage haben, die einfach ganz starke Kunstwerke sind, dann merkt man gar nicht, dass die von vor 500 Jahren sind. Die sprechen noch mit genauso starker Stimme.
    Ellmenreich: In nur minimalen vier Jahren werden Sie ja umziehen. Und vor einigen Jahren wollten ja alle nach Berlin-Mitte – Werbeagenturen, Künstler, Gastronomen, Kulturschaffende natürlich auch. Worin besteht für Sie der Reiz, mit den großen Sammlungen aus Dahlem eines Tages in Mitte zu sein?
    Ruitenbeek: Das Wichtigste ist, das wir nicht mehr die Kunst, die Kultur von außerhalb Europas in einem Außenviertel zeigen, in "splendid isolation" könnte man sagen, in Abgesondertheit. Wir ziehen auf die Museumsinsel, wo die Kunst Europas und die Kunst des Nahen Ostens gezeigt wird. Auf der Insel haben wir dann einen Überblick über die Kunst und die Kulturen der Welt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.