Elefantentreue herrscht auch zwischen Johann Kresnik und dem eigenem "politischen Tanztheater" in der ersten Uraufführung für Bonn. Das Publikum der Bundesstadt konnte einige der künstlerischen Titanen oder historisch gewordenen Märtyrer, denen Kresnik Stücke widmete, schon kennen lernen: Frida Kahlo beispielsweise und Pablo Picasso. Das personifizierte große Leiden hieß Nietzsche oder Goya, Rosa Luxemburg oder Ulrike Meinhof; zuletzt stellten Kresniks "10 Gebote" braven Bremer Kirchenleuten die Frage nach Toleranz und Kunstfreiheit, über die sie prompt stolperten.
Jetzt steht mit der Familie Buendía aus "100 Jahre Einsamkeit" auch die Opfer-Geschichte eines ganzen Kontinents mit auf der Bühne, und Kresnik nutzt das plakativ und praktisch unverschlüsselt für seine Kritik an Globalisierung und Krieg: Melchiades ist im Roman eine Art poetischer Zauberlehrling, der die Wunder der Welt ins abgelegene Dorf bringt. Kresnik macht ihn kurzerhand zum Handlanger kolonialistischer Interessen, indem er ihm die amerikanische Flagge auf den Körper malt. Melchiades bringt nicht nur das Eis, sondern auch den Krieg nach Macondo, und aus der "Illusionsmaschine" des Romans macht Kresnik zusammen mit dem kolumbianischen Bühnenbildner Carlos Rios eine Video-Projektion mit Ausschnitten aus der Comic Serie "South Park" samt Saddam-Komik. Man muss gut adornitisch denken, um das nicht platt zu finden: immerhin wird hier im Wortsinne vorgeführt, wie die Bewusstseins-industrie auch noch das us-amerikanische Hegemonialstreben in lustigen Häppchen zu "verkaufen" vermag. Und die Opfer der Marquezschen "Bananengesellschaft" - beim Streik gegen die United Fruit Company wurden 3000 kolumbianische Bananenarbeiter getötet - verröcheln ihr Leben unter einem riesigen blaugelben Chiquita-Banner. Erst kommt der Karren mit goldgelben Früchten, dann die großen Messer, dann der Krieg. Wo die Großkapitalisten ihre so genannten Segnungen hinbringen, bleiben am Ende nur Tod und Elend: Kresnik hat für seine unmissverständliche Botschaft eigens Versehrte mit Beinprothesen gecastet. Der Irak lässt grüßen.
Das ist alles so überdeutlich und wenig subtil, dass es ärgerlich wäre, würden diese politischen Zeichen im phantastischen Bühnen-Zauber Kresniks nicht auf- bzw. untergehen wie eine Zirkusnummer im Tusch der Zirkuskapelle. Im Strom der Ereignisse ist selbst der Krieg nur eine Episode. Kreisförmig wie das Werden und Vergehen der Buendía-Familie ist das Bühnenbild angelegt, mit drei auf Schienen beweglichen halbrunden Podesten, die einen abweisend-abstrakten Hintergrund bilden, nach vorne geschoben aber ein variables Innenleben aufweisen. Hier wird, lateinamerikanisch blutvoll (einer der Söhne trägt locker 1 1/2 Meter Schwanz mit sich herum), das Leben mehr erobert als ertanzt: gewaltsam geheiratet, derb geliebt, schnell geboren; zehn Meter lange Unterröcke und eine Braut, die noch ein Kind ist, sind kein Hindernis. Verletzliche Nacktheit und verstörende Kraftmeierei halten sich die Waage, Sexualität ist noch Spiel, weniger Unterdrückungs-Instrument, die Bösen, das sind die anderen, die ihre Hände in Blut tauchen und ihre Körper hinter Ideologien verstecken. Kresnik lässt mit realistischem Zubehör - Hängematten, Strohhüten, Masken, Messer - eine überaus phantastische Welt entstehen, er hat einen Reigen choreographiert, in dem sich schnelle, grelle Ensemble-Szenen mit Bildern von großer Kraft und Poesie abwechseln.
Immer anwesend ist die alte Ursula Buendía, die Kresnik als sich Erinnernde zum Mittelpunkt des Stücks gemacht und mit einem Mann besetzt hat. Ihre Einsamkeit und ihr schmerzhaftes Erinnern sind in ein paar schöne Pas de Deux' gegossen, ein sprechender Kontrast zu den überbordenden Familiengeschichten; ihr zu folgen bedeutet, sich ins Labyrinth der Erinnerung zu begeben, wo Schönheit und Schrecken eine chaotische Verbindung eingegangen sind. Es ist nicht sicher, ob die Zuschauer sich in Kresniks oft ebenso labyrinthischer Bilderfolge immer zurecht finden, zumal die Kreisförmigkeit der Erzählung auch keinen eindeutigen Spannungsbogen zuläßt.
Darüber hinaus wird die Musik streckenweise zur dominanten dritten Kraft, dräut heftig und symbolschwer; sie muss die mangelnde Charakterisierung der Figuren aufwiegen. Und so ist Kresniks neue Choreographie eine Wunderkammer voll reicher Schätze und wie immer echtes Schautheater geworden; aber auch ein Bildersturm, der über uns hinwegfegt, ohne mehr als ein buntes Puzzle zu hinterlassen.
Jetzt steht mit der Familie Buendía aus "100 Jahre Einsamkeit" auch die Opfer-Geschichte eines ganzen Kontinents mit auf der Bühne, und Kresnik nutzt das plakativ und praktisch unverschlüsselt für seine Kritik an Globalisierung und Krieg: Melchiades ist im Roman eine Art poetischer Zauberlehrling, der die Wunder der Welt ins abgelegene Dorf bringt. Kresnik macht ihn kurzerhand zum Handlanger kolonialistischer Interessen, indem er ihm die amerikanische Flagge auf den Körper malt. Melchiades bringt nicht nur das Eis, sondern auch den Krieg nach Macondo, und aus der "Illusionsmaschine" des Romans macht Kresnik zusammen mit dem kolumbianischen Bühnenbildner Carlos Rios eine Video-Projektion mit Ausschnitten aus der Comic Serie "South Park" samt Saddam-Komik. Man muss gut adornitisch denken, um das nicht platt zu finden: immerhin wird hier im Wortsinne vorgeführt, wie die Bewusstseins-industrie auch noch das us-amerikanische Hegemonialstreben in lustigen Häppchen zu "verkaufen" vermag. Und die Opfer der Marquezschen "Bananengesellschaft" - beim Streik gegen die United Fruit Company wurden 3000 kolumbianische Bananenarbeiter getötet - verröcheln ihr Leben unter einem riesigen blaugelben Chiquita-Banner. Erst kommt der Karren mit goldgelben Früchten, dann die großen Messer, dann der Krieg. Wo die Großkapitalisten ihre so genannten Segnungen hinbringen, bleiben am Ende nur Tod und Elend: Kresnik hat für seine unmissverständliche Botschaft eigens Versehrte mit Beinprothesen gecastet. Der Irak lässt grüßen.
Das ist alles so überdeutlich und wenig subtil, dass es ärgerlich wäre, würden diese politischen Zeichen im phantastischen Bühnen-Zauber Kresniks nicht auf- bzw. untergehen wie eine Zirkusnummer im Tusch der Zirkuskapelle. Im Strom der Ereignisse ist selbst der Krieg nur eine Episode. Kreisförmig wie das Werden und Vergehen der Buendía-Familie ist das Bühnenbild angelegt, mit drei auf Schienen beweglichen halbrunden Podesten, die einen abweisend-abstrakten Hintergrund bilden, nach vorne geschoben aber ein variables Innenleben aufweisen. Hier wird, lateinamerikanisch blutvoll (einer der Söhne trägt locker 1 1/2 Meter Schwanz mit sich herum), das Leben mehr erobert als ertanzt: gewaltsam geheiratet, derb geliebt, schnell geboren; zehn Meter lange Unterröcke und eine Braut, die noch ein Kind ist, sind kein Hindernis. Verletzliche Nacktheit und verstörende Kraftmeierei halten sich die Waage, Sexualität ist noch Spiel, weniger Unterdrückungs-Instrument, die Bösen, das sind die anderen, die ihre Hände in Blut tauchen und ihre Körper hinter Ideologien verstecken. Kresnik lässt mit realistischem Zubehör - Hängematten, Strohhüten, Masken, Messer - eine überaus phantastische Welt entstehen, er hat einen Reigen choreographiert, in dem sich schnelle, grelle Ensemble-Szenen mit Bildern von großer Kraft und Poesie abwechseln.
Immer anwesend ist die alte Ursula Buendía, die Kresnik als sich Erinnernde zum Mittelpunkt des Stücks gemacht und mit einem Mann besetzt hat. Ihre Einsamkeit und ihr schmerzhaftes Erinnern sind in ein paar schöne Pas de Deux' gegossen, ein sprechender Kontrast zu den überbordenden Familiengeschichten; ihr zu folgen bedeutet, sich ins Labyrinth der Erinnerung zu begeben, wo Schönheit und Schrecken eine chaotische Verbindung eingegangen sind. Es ist nicht sicher, ob die Zuschauer sich in Kresniks oft ebenso labyrinthischer Bilderfolge immer zurecht finden, zumal die Kreisförmigkeit der Erzählung auch keinen eindeutigen Spannungsbogen zuläßt.
Darüber hinaus wird die Musik streckenweise zur dominanten dritten Kraft, dräut heftig und symbolschwer; sie muss die mangelnde Charakterisierung der Figuren aufwiegen. Und so ist Kresniks neue Choreographie eine Wunderkammer voll reicher Schätze und wie immer echtes Schautheater geworden; aber auch ein Bildersturm, der über uns hinwegfegt, ohne mehr als ein buntes Puzzle zu hinterlassen.